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Doku über Ai Weiweis OperAlles ist Kunst – und Politik

Der Künstler Ai Weiwei mag keine Opern und hat doch eine inszeniert. Der Dokumentarfilm „Ai Weiweis Turandot“ erzählt von den widrigen Umständen.

Herrschende und Unterdrückte: eine Szene aus Ai Weiweis „Turandot“-Inszenierung Foto: Rise And Shine Cinema

Obwohl sein Titel anderes vermuten lässt, hat dieser Film nur am Rand mit Musik zu tun. Das liegt nicht nur an seinem zentralen Protagonisten, der gleich zu Beginn verkündet, er möge Opern nicht und höre auch fast nie Musik. Etwas weniger überspitzt äußert Ai Weiwei sich beim Zusammentreffen mit dem Ensemble des Teatro dell’Opera di Roma, an dem er Giacomo Puccinis „Turandot“ inszenieren soll: „Ich mag es, Dinge zu tun, in denen ich nicht gut bin“.

Eigentlich ist er in vielen Dingen gut, die bei einer Opernproduktion gebraucht werden, und um das, was er nicht kann, kümmern sich ja die anderen. Zu diesen gehört die Choreografin Chiang Ching, eine Freundin von Ais Familie, die schon seinen Vater, den regierungskritischen Dichter Ai Qing, gut kannte. Ein jahrzehntealtes Foto wird eingeblendet: Junge Menschen sitzen um einen Tisch, ein Baby ist dabei, das muss wohl der kleine Weiwei sein.

Der große Weiwei, auch daran erinnert der Film, legte sich später ernsthaft mit der chinesischen Führung an, als er nach dem verheerenden Erdbeben in Sichuan von 2008 die Namen von Toten sammelte, die die Regierung nicht veröffentlichen wollte – Abertausende von Kindern waren gestorben, weil Schulgebäude nicht erdbebensicher gebaut worden waren –, und ein großes internationales Kunstprojekt daraus machte. 2011 wurde Ai verhaftet und saß fast drei Monate im Gefängnis, auch daraus wurde später Kunst.

Chiang Ching zuliebe habe er der römischen Oper zugesagt, sagt Ai, aber zum Teil auch wegen des Stoffes; denn 33 Jahre zuvor hat er als Statist in Franco Zeffirellis „Turandot“ an der New Yorker Met mitgewirkt. Auch damals gehörte Chiang Ching als Choreografin zum Team.

Der Film

„Ai Weiweis Turandot“. Regie: Maxim Derevianko. Italien/USA 2025, 77 Min.

Nun, 33 Jahre später in Rom, schreibt man das Jahr 2020, und in den Probenbetrieb platzt die Hiobsbotschaft, dass das Theater coronabedingt schließen muss. Das sei in den 140 Jahren seines Bestehens noch nie passiert, sagt, um Gelassenheit bemüht, der Direktor, sogar während der Spanischen Grippe sei gespielt worden. Ai Weiwei sagt, als Künstler nicht arbeiten zu können, fühle sich so an, als würde einem das Haus über dem Kopf abgerissen. Der Film blendet über zu Szenen vom Abriss seines einstigen Ateliers in Peking.

Überfall Russlands auf die Ukraine

Regisseur Maxim Derevianko, der damit seinen ersten Langfilm vorlegt, wird zu Beginn des Projekts andere Vorstellungen über thematische Schwerpunkte gehabt haben als am Ende herausgekommen ist. Während der Arbeit an der Opernproduktion schlug das Weltschicksal gleich zweimal zu; denn kurz nachdem die Proben endlich wieder aufgenommen werden konnten, überfiel Russland die Ukraine.

Dirigentin Oksana Lyniv, beinahe zu Tränen bewegt nach einer Chorprobe, während der die SängerInnen mit großem Abstand zueinander im Probensaal saßen, erzählt, dass ihre Eltern nicht zur Premiere kommen könnten wegen des Krieges. Als es so weit ist, tritt sie mit blaugelber Schärpe um die Taille auf.

Ai Weiwei hat als Bühnenbild eine 3D-Weltkarte geschaffen, auf der die Herrschenden oben und die Unterdrückten unten platziert sind. Um das Verhärtete der Situation zu verbildlichen (Turandot ist die, die all ihre Freier zu köpfen pflegt), lässt er die Singenden statuarisch auf der Bühne stehen, während ein chinesischer Operndarsteller die Emotionen der Figuren in Bewegung übersetzt. Videoprojektionen von politischen und menschlichen Katastrophen der letzten Jahrzehnte laufen im Hintergrund.

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Trailer „Ai Weiweis Turandot“

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Von Ais Konzept vermittelt der Film eine gute Vorstellung, von der Inszenierung werden nur kurze Schnipsel gezeigt. Das geht in Ordnung, denn durch die Lage der Dinge ist es weniger ein Film über eine politisch interpretierte „Turandot“ geworden als vielmehr eine Dokumentation über die Herausforderungen künstlerischer Arbeit in politisch sehr prekären Zeiten. Ein echtes Zeitdokument eben.

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