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Diskussion um US-RaketenEntscheidung mit kleiner Reichweite

Die deutsche Politik reagiert auf Bidens Kurswechsel in der Ukraine weitgehend positiv. Aber kündigt sich auch ein Umdenken bei der eigenen Linie an?

Bleibt dabei? Scholz mit Präsident Selenskyj bei dessem Berlinbesuch im Oktober Foto: Ebrahim Noroozi/ap

Berlin taz | In Deutschland trifft Joe Bidens Ankündigung, dass die Ukraine US-Raketen mit einer Reichweite bis zu 300 Kilometern auf russischem Gebiet einsetzen darf, auf ein geteiltes Echo. Die Union will, dass Deutschland dem Beispiel von Biden folgt. „Es wäre logisch, wenn Deutschland sich wie die USA verhielte“, sagt CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul. Allerdings ist die Aussage interpretationsoffen. Denn es gibt in der Ukraine keine deutschen Waffensysteme, die eine Reichweite von 300 Kilometern haben. Die Ukraine verfügt über eine – allerdings unbekannte – Zahl von britischen, französischen und US-Raketen mit Reichweiten von 250 bis 300 Kilometern.

Die US-Regierung geht offenbar davon aus, dass Kyjiw die US-Raketen ATACMS nutzen wird, um den bevorstehenden Großangriff von russischen und nordkoreanischen Truppen auf die grenznahe Region Kursk zu stoppen. In Kursk hat die Ukraine russisches Gebiet besetzt. Das kann für Kyjiw ein taktischer Vorteil sein, falls der nächste US-Präsident Donald Trump einen Deal Frieden gegen Gebietsabtretung zugunsten von Russland forcieren würde. Offenbar ist Bidens Entscheidung auch ein Signal an Nordkorea.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock unterstützt den neuen Kurs der US-Regierung. Die Ukraine müsse die Abschussbasen im Inneren Russlands erreichen können, von denen aus Russland die Ukraine bombardiert, so die Außenministerin. Das sei „im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts“ legitim. Baerbock und der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck fordern ebenso wie viele Unionspolitiker, dass Deutschland das Waffensystem Taurus an die Ukraine liefern. Die Marschflugkörper haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) will das nicht – und ist auch nach Bidens Kursschwenk nicht willens, seine Haltung zu ändern. Das ist bemerkenswert, weil Scholz’ Ukraine-Politik sich bislang stets wesentlich an den USA orientierte. So revidierte Scholz im Juni 2024 das Verbot, deutsche Waffen auf russischem Gebiet einzusetzen kurz nachdem Biden diesen Schritt gegangen war. Doch Joe Biden ist nur noch zwei Monate im Amt.

Vermeidung von Eskalationsgefahr

Mit Blick auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump haben sich auch die Koordinaten deutscher Politik verschoben. „Die Abstimmung der Bundesregierung mit den USA wird künftig nicht mehr so eng sein, wie sie es mit Joe Biden war“, sagt SPD-Politiker Ralf Stegner zur taz. Das Nein von Scholz zu der Lieferung von Taurus sei mit der Vermeidung einer Eskalationsgefahr „gut begründet“. Dieser Grund sei ja „nicht entfallen“. Die Auswirkungen von Bidens Kurswechsel auf die deutsche Politik hält Stegner insofern für überschaubar. „Für Deutschland bedeutet das nichts Besonderes.“

Die FDP hatte kürzlich öffentlich darüber spekuliert, im Bundestag einen Antrag für die Taurus-Lieferung einzubringen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte erklärt, dass auch Union und Grüne dafür stimmen würden. Allerdings entscheidet über die Lieferung von Waffensystemen – anders als über den Einsatz der Bundeswehr – nicht der Bundestag, sondern der Bundessicherheitsrat und damit der Kanzler, der dem Gremium vorsteht.

Zudem klingen die Stimmen aus der Union für eine schnelle Lieferung von Taurus eher gedämpft. CSU-Chef Markus Söder betonte zwar, die Union sei „immer offen bei Taurus“ gewesen. Nun aber müsse man abwarten, was Trump vorhabe. Die Union will im Wahlkampf offenbar den Eindruck vermeiden, den Krieg in der Ukraine unbedacht anzuheizen und Olaf Scholz somit ein Wahlkampfthema frei Haus zu liefern.

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