Diskussion um Pädophilie: Die Grünen und die Opfer
Die Grünen sehen keine Notwendigkeit, eine Anlaufstelle für Opfer sexueller Gewalt einzurichten. Junge Mitglieder finden die Forderung gar „lächerlich“.
BERLIN taz | Ein Opfer sexueller Gewalt aus der „Kommune Dachsberg“ wirft den Grünen „Zynismus“ im Umgang mit ihren Pädophilie-Verstrickungen vor. „Es wird immer genau so viel eingeräumt, wie anhand der Faktenlage nicht mehr zu leugnen ist“, kritisierte der 48-Jährige in einem Interview mit der Welt. Der nicht namentlich genannte Lektor wohnte dem Bericht zufolge mit seiner Familie fünf Jahre in der alternativen Wohngemeinschaft im nordrhein-westfälischen Kamp-Linfort.
Vereinsvorsitzender dieser Lebensgemeinschaft sei Hermann Meer gewesen, ab 1980 Mitglied des NRW-Landesvorstands. Dem Grünen wird vorgeworfen, freien Sex mit Kindern propagiert und selbst unter 14-Jährige missbraucht zu haben.
Der heute 48-jährige Exbewohner hatte der Welt im Juli unter Pseudonym über seine Erlebnisse berichtet, er fühlt sich als Opfer und fordert, die Grünen müssten einen „Runden Tisch“ und einen Entschädigungsfonds einrichten. Auch der Erziehungswissenschaftler Manfred Kappeler hatte in der taz an die Grünen appelliert, endlich eine Telefonhotline für Opfer sexueller Gewalt einzurichten.
Die Grünen hingegen sehen nach wie vor keinen Bedarf für eine eigene Opfer-Anlaufstelle. Auf taz-Anfrage teilte Parteichefin Claudia Roth mit: „Ich will nicht, dass wir als Partei die Instanz sind, die definiert, wer ein Opfer ist und wer nicht.“ Deshalb habe man den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter beauftragt, „alle Fakten offenzulegen und alles, was innerhalb der Grünen an Debatten, Beschlüssen und eventuell auch Taten geschehen ist, schonungslos und sorgfältig wissenschaftlich zu untersuchen“.
Grüne Jugend: Forderung „lächerlich“
Die Opfer sollten bitte dem Wissenschaftler „ihre Kenntnisse und Erfahrungen“ für seine Studie zur Verfügung stellen. „Sie können sich auch gerne bei uns Grünen melden, wir stellen dann den Kontakt mit Walter her.“ Auf den Fall der „Kommune Dachsberg“ ging Roth nicht ein, sondern teilte nur mit: „Wenn damals Menschen an ihrer Seele oder ihrem Körper verletzt wurden, dann tut mir das unendlich leid.“
Auch junge Grüne lehnen eine Opferanlaufstelle ab. Es sei besser, wenn die Grünen „potenziellen Opfern“ den Kontakt mit dem Göttinger Politikwissenschaftler herstellten, sagte Gesine Agena, 26 Jahre, Mitglied im Parteirat. Andernfalls drohe nur der Vorwurf: „Ihr wollt da was verharmlosen oder eingreifen in die Aufarbeitung.“
Die Sprecherin der Grünen Jugend, Sina Doughan, nannte die Forderung nach einer Telefonhotline für Betroffene „wahnsinnig lächerlich“. Das Thema werde zur Zeit „bewusst hochgezogen“, nicht zufällig kämen gerade jetzt die Zeitzeugen „aus den Ecken gekrochen“. Nach der historischen Verantwortung ihrer Partei gefragt, sagte sie, es gebe in allen jungen Parteien „verrückte Gruppen“, die versuchten, die Parteilinie zu untergraben.
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