Diskussion um Cannabis und Heroin: Keine Heroin-Krise in Sicht
Der scheidende Leiter der Jugendpsychiatrie der Hamburger Uniklinik beschwört ein Heroin-Revival herauf. Suchtforscher:innen widersprechen.

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme widersprechen die Fachstelle für Suchtfragen „Sucht.Hamburg“, das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) Hamburg und das Frankfurter Institut für Suchtforschung Thomasius’ Darstellung jetzt. Die verfügbaren Daten zeigen nämlich: Hamburg ist weit entfernt von einer neuen Drogenkrise.
Der Abendblatt-Text zeichnet ein düsteres Bild: Die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene habe eine „Allverfügbarkeit“ der Droge geschaffen, die Jugendliche dazu treibe, ihren „Kick“ in gefährlicheren Substanzen wie Heroin zu suchen. Thomasius spricht von einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Cannabis, vergleichbar mit Alkohol, und beschwört Bilder von Dealer:innen herauf, die Minderjährigen kostenlos Heroin anbieten, um sie abhängig zu machen – ein Szenario, das an „Christiane F.“ erinnert. „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschreibt die Geschichte einer Jugendlichen, die in den 1970ern in Berlin in die Heroinsucht abrutscht. Ihr Schicksal prägte damals das Bild der Drogenkrise und wurde zum Symbol für die Gefahren harter Drogen.
Keine Anzeichen für einen Anstieg
Doch die Stellungnahme der Suchtforscher:innen macht klar: Diese Behauptungen sind übertrieben und empirisch unhaltbar. Es gebe „derzeit keine belastbaren Hinweise auf einen Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen seit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene“, schreiben sie. Man müsse deshalb bei Thomasius’ Aussagen „eher von anekdotischer Evidenz als von epidemiologisch relevanten Entwicklungen ausgehen“, das heißt: Thomasius mag das so erleben, die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache.
Es sei zwar richtig, dass das UKE aktuell von jugendlichen Heroin-Konsument:innen vermehrt in Anspruch genommen werde, und auch aus anderen Suchthilfeeinrichtungen gebe es Berichte, dass diese etwas häufiger von jungen Menschen aufgesucht werden, die Opioide konsumieren – allerdings nur selten Heroin. Ein kausaler Zusammenhang mit der Cannabis-Legalisierung sei aber „zu weit hergeholt“, heißt es in der Stellungnahme. Die These sei durch keine Daten gestützt.
Aus der gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Suchtberatungen
Obwohl zwei Studien, die 2024/25 repräsentativ unter Hamburger Jugendlichen und Lehrkräften erhobene „Schulbus“-Umfrage zum Umgang mit Suchtmitteln und die mit Frankfurter Jugendlichen durchgeführte Studie „Monitoring-Systems Drogentrends“, noch ausgewertet werden müssten, ließen sich aus ersten Sichtungen keine Anzeichen dafür erkennen, dass der Umgang von Jugendlichen mit Cannabisprodukten und anderen Drogen gegenüber den Vorjahren angestiegen wäre.
Heroin nehmen nur sehr wenige
Vieles deute darauf hin, so die Suchtforscher:innen, dass „der erfreulich rückläufige Trend auch in der Verbreitung des Kiffens unter den Jugendlichen – trotz der Legalisierung – weiterhin anhält“. Auch der Konsum von Ecstasy sei gesunken, die Verbreitung von Heroin bleibe „im Promillebereich gleichbleibend niedrig“.
Daten der Polizei decken sich mit dieser Einschätzung. Aus Hamburgs Polizeilicher Kriminalstatistik 2024 geht hervor, dass die Zahl der erfassten Rauschgiftdelikte 2024 insgesamt um etwa ein Drittel auf 11.313 Fälle gesunken ist – was auf das Konsumcannabisgesetz zurückzuführen sei. Heroinkonsumdelikte sind um 242 Fälle (–16,9 Prozent) zurückgegangen.
Auch Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht laut NDR keine Anzeichen für einen massiven Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen. Heroin spiele in Hamburg nur eine untergeordnete Rolle, Hinweise auf eine gezielte Strategie von Dealer:innen, Jugendliche mit Heroin süchtig zu machen, gebe es nicht.
Von einem Heroin-Revival und einer Neuauflage der Drogenkrise der 1980er kann in Hamburg also keine Rede sein. Mit der “‚Wiederbelebung‘ der Geschichte von „Christiane F.“, vermuten die Suchtforscher:innen deshalb, solle „öffentlichkeitswirksam das vor gut einem Jahr in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz als gescheitert erklärt werden“, noch bevor die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation dieser Gesetzesänderung, an der das ISD beteiligt ist, vorliegen. Vorläufige Daten zur Folgen der Legalisierung deuten laut der Forscher*innen auf etwas anderes hin: „Cannabis ist für Jugendliche so unattraktiv wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr.“
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