Direkte Demokratie in Hamburg: Volksbegehren verfassungswidrig

Das Hamburgische Verfassungsgericht urteilt zugunsten des Senats. Der kann sich weiterhin über Bürgerentscheide auf Bezirksebene hinwegsetzen.

Hintereinanderstehende Plakate zum Volksentscheid "Volksentscheide verbindlich machen"

Kein neues Thema in Hamburg: Verbindliche Volksentscheide wurden auch schon 2007 gefordert Foto: Jens Ressing/dpa

HAMBURG taz | Das Hamburgische Verfassungsgericht hat am Freitag entschieden, dass die Forderung nach verbindlichen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf Bezirks- und Senatsebene gegen die Landesverfassung verstößt. Die Volksinitiative „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide jetzt verbindlich machen – Mehr Demokratie vor Ort“ hatte sich dafür aufgestellt, doch der Hamburger Senat klagte gegen das Ansinnen – mit Erfolg. Nun darf das Volksbegehren nicht weiter fortgeführt werden.

Mitte 2019 hatte die vom Verein „Mehr Demokratie“ angeführte Volksinitiative ihre Arbeit aufgenommen. Insgesamt hatten sich rund 30 Bürger­initiativen in dem Bündnis vereint, um künftig auch Bürgerentscheide auf Bezirksebene rechtlich bindend zu machen. Anfang 2020 überreichte die Initiative dafür im ersten Schritt mehr als 14.000 Unterschriften im Rathaus.

Seit der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Hamburg habe der Senat über zwanzig Bürgerentscheide und Bürgerbegehren evoziert – also außer Kraft gesetzt oder die Bezirke angewiesen, die aufgeworfene Frage in seinem Sinne zu bearbeiten. Das kann der Senat immer dann anordnen, wenn er gesamtstädtische Interessen von den Bürgerbegehren berührt sieht.

Das wollte die Initiative unmöglich machen: „Erfolgreiche Bürgerentscheide oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden“, lautete eine ihrer Kernforderungen. „Dabei fordern wir nur, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte“, sagte Initiativen-Sprecher Bernd Kroll vor der Entscheidung.

Hamburger Senat klagte gegen Volksinitiative

Im Senat gab es von Anfang an wenig Begeisterung für die Initiative. In der Klageschrift heißt es, dass die Initiative für ein solches Vorhaben auch eine konkrete Gesetzesänderung liefern müsste. Darüber hinaus verstoße die Initiative mit der Forderung gegen das Demokratieprinzip. Würde der demokratisch gewählte Senat keine Macht mehr über die ihm untergeordnete bezirkliche Verwaltung ausüben dürfen, könne er laut der Klageschrift seine „parlamentarische Verantwortung“ nicht mehr sicherstellen.

Das Verfassungsgericht folgte der Ansicht des Senats einstimmig. Es stellte fest, dass die Abstimmungsvorlage „keine sachgerechte Abstimmungsentscheidung“ der Bür­ge­r:in­nen ermöglicht. Diese könnten anhand der Begründung weder die Auswirkungen der Änderungen überblicken noch die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen.

Vor allem aber wären die Forderungen der Initiative nur umsetzbar, wenn die sogenannte Einheitsgemeinde in Hamburg beseitigt würde. In der durch die Landesverfassung festgelegten Struktur sind die Bezirke in Hamburg nicht autonom. Anders als Gemeinden in Flächenländern haben Bezirke keine Zuständigkeiten, über deren Umsetzung sie frei entscheiden können. Der Senat führt und beaufsichtigt die gesamte Verwaltung – auch die der Bezirke.

„Die Komplexität der Änderungen und die grundlegenden Folgen für die Verfasstheit der Freien und Hansestadt Hamburg erschlössen sich jedoch ohne besondere Vorkenntnisse des Hamburgischen Verfassungs- und Verwaltungsorganisationsrechts nicht“, teilten die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen mit.

Volksinitiative will weitermachen

Die Volksinitiative zeigt sich nach dem Urteil entspannt: Auch wenn das Verfassungsgericht das beantragte Volksbegehren vorläufig gestoppt habe, so hätten die Rich­te­r:in­nen doch das Ziel der Initiative für zulässig erklärt.

„Durch die heutige Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts besteht endlich Klarheit, dass wir Bürgerentscheide und Bürgerbegehren in Hamburg verbindlich machen können“, sagt Sprecher Kroll. Aufgeben wolle man nicht. Vielmehr zeigt sich Kroll sogar zufrieden, weil das Gericht der Initiative für die Zukunft geholfen habe: „Das Verfassungsgericht hat sogar aufgelistet, was genau wo geändert werden muss.“

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