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Digitale Maßnahmen gegen das VirusDas Handy als Schutz vor Corona

Mit Bluetooth und einer App kann das Smartphone helfen, das Coronavirus einzudämmen – auch ohne den Datenschutz zu verletzen.

Nimm das, Virus! Mann mit Handy Foto: Emmanuele Contini/imago

BERLIN taz | Die Empörung war groß, als CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen wollte, die Standortdaten aller Mobiltelefone erfassen zu können, um die Corona-Epidemie einzudämmen. Das Vorhaben wurde erst mal zurückgezogen.

Und tatsächlich wäre ein solches Modell, das analysieren würde, welches Handy wann mit welcher Sendeantenne verbunden ist, fragwürdig. Es würde komplette Bewegungsprofile ermöglichen, ohne großen Nutzen zu bieten – denn die sogenannten Funkzellen, die damit erfasst werden, sind so ungenau, dass auf diese Weise gar nicht ermittelt werden kann, welche Menschen sich so nahe gekommen sind, dass eine Ansteckung mit dem Coronavirus möglich wäre.

Es gibt aber eine andere Möglichkeit, genau das festzustellen, ohne dass dabei überhaupt personenbezogene Daten erhoben werden. Sie beruht auf dem Funkstandard Bluetooth, der auf allen modernen Smartphones vorhanden ist und der es ermöglicht, über kurze Distanzen eine Funkverbindung zu anderen Geräten aufzubauen, etwa zu schnurlosen Kopfhörern. Über Bluetooth kann recht genau ermittelt werden, in welchem Abstand sich ein Handy von einem anderen befindet.

Dieses Verfahren macht sich eine App zunutze, die in Singapur zur Verfolgung möglicher Infektionsketten genutzt wird und die in modifizierter Form auch in Deutschland zum Einsatz kommen könnte.

Modell Singapur

Die dort genutzte Anwendung namens „Trace Together“ zeichnet auf, welche Handys einem anderen über einen bestimmten Zeitraum nahe gekommen sind. Wird ein Nutzer positiv auf Corona getestet, werden alle, die sich in den Tagen zuvor in seiner Nähe aufgehalten haben, informiert und ebenfalls getestet.

Während in Singapur zumindest im Fall einer Infektion die Identität der Kontaktpersonen offengelegt wird, könnte die App nach Ansicht von ExpertInnen so modifiziert werden, dass sie komplett ohne persönliche Daten auskommt. Wie das aussehen könnte, hat der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsreche, Ulf Buermeyer, mit zwei Co-Autoren auf Netzpolitik.org dargestellt.

Es ist möglich, datenschutzsensible Tracking-Apps zu entwickeln

Anke Domscheit-Berg, Linkspartei

Eine App, deren Installation freiwillig ist, würde über Bluetooth ermitteln, welche Handys sich beispielsweise für mehr als 15 Minuten in weniger als 2 Metern Abstand vom eigenen Handy befinden. Übertragen würde dabei nur ein anonymer, temporärer Identifikationscode, der lokal und verschlüsselt auf dem Handy gespeichert wird. Absolute Standortdaten würden dabei nicht erfasst, es kommt nur auf die physische Nähe von zwei Geräten an.

Erst wenn ein Nutzer positiv getestet wird, werden die Codes seiner Kontakte aus den letzten Tagen mit seiner Einwilligung an einen zentralen Server übertrage, der etwa vom Robert-Koch-Institut betrieben werden könnte. Auch dieser würde aber nicht die Identität der Betroffenen kennen, sondern könnte über die Codes lediglich eine Nachricht an die zugehörigen Geräte schicken.

Bluetooth-Lösung konsensfähig

Deren NutzerInnen könnten sich dann auf Grundlage dieser Information ihrerseits schnell testen lassen – sofern bis dahin ausreichende Testkapazitäten bestehen. „Eine Kontaktnachverfolgung von möglichen Sars-CoV-2-Infizierten mit Handydaten muss nicht zu mehr Überwachung führen, sondern kann auch datenschutzfreundlich ausgestaltet werden“, so die Autoren.

Und während es gegen Spahns ursprünglichen Pläne zur zentralen Handyortung massive Bedenken beim Koalitionspartner wie bei der Opposition gab, können sich mit einer solchen datenschutzverträglichen Bluetooth-Lösung offenbar viele anfreunden.

„Eine rechtskonforme, freiwillige und zielgenaue App kann und muss ein wesentlicher Baustein zur weiteren Eindämmung des Coronavirus werden“, meint etwa Konstantin von Notz, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag. „Spätestens wenn wir in der Situation sind, aus dem ‚Lockdown‘ wieder hochzufahren, bedarf es solcher Anwendungen.“

Je weniger Daten, umso mehr Akzeptanz

Auch Anke Domscheit-Berg, Netzpolitikerin der Linken, zeigt sich offen für eine solche Lösung. „Es ist möglich, datenschutzsensible Tracking-Apps zu entwickeln, die durch hohe Akzeptanz und große Verbreitung stark dazu beitragen können, Sars-CoV-2-Infizierte noch in der Inkubationszeit zu erreichen, dadurch früher als bisher zu testen und Infektionsketten zeitig zu unterbrechen“, erklärte sie.

Damit die App wirklich einen Nutzen habe, müssten die Testkapazitäten so ausgeweitet werden, dass alle Kontakte von Infizierten schnell getestet werden können, so Domscheit-Berg. Auch die SPD-Chefin Saskia Esken erklärte, sie unterstütze eine freiwillige, datenschutzkonforme App: „Die würde ich auch selbst installieren“, schrieb sie auf Twitter.

Und auch in der Bevölkerung scheint eine solche App auf Akzeptanz zu stoßen. In einer Umfrage, für die Wissenschaftler der Universität Oxford in der vergangenen Woche über 1.000 Deutsche befragten, erklärten etwa 70 Prozent, sie würden eine solche App „auf jeden Fall“ oder „wahrscheinlich“ nutzen; weitere rund 20 Prozent würden das „vielleicht“ tun.

Das wichtigste Gegenargument ist die Furcht vor mehr Überwachung. Je weniger Daten die App sammelt, desto größer dürfte demnach die Akzeptanz sein.

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22 Kommentare

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  • Anke Domscheit-Berg: „Es ist möglich, datenschutzsensible Tracking-Apps zu entwickeln, ...“

    Voraussetzung dazu wäre u.a. ein datenschutzsensibles Mobiltelefon. In Deutschland sind anonyme SIM-Karten faktisch illegal, somit ein Handy (sofern nicht aus oder im flight mode) immer ein Tracking Device.

    Darüberhinaus sind Android und iOS nicht datenschutzsensibel, jedoch der Marktanteil von halbwegs vertrauenswürdigen Smartphones (eigentlich nur Librem 5 und PinePhone) nichtmal im Promillebereich.

  • Ich kann mit der einen wie mit der anderen Lösung leben, da ich schon seit langer Zeit kein Handy mehr habe. Ein Smartphone erst recht nicht. Allein wegen der Umwelt. Und weil ich die Marktdominanz von Google und Apple ablehne. Und aus vielen anderen Gründen...

    Vermutlich wird es bald eine Ausgangssperre für Menschen ohne Handy (a.k.a. elektronische Fußfessel) geben.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    intelligent, demokratisch, überzeugender ansatz!



    ohne staatstrojaner...

  • Die Verdopplungsraten in Südkorea und China scheinen dem Vorhaben recht zu geen. Südkorea hat ohne Lockdown eine Verdopplungszeit von 27 Tagen China von über 500 Tagen. Dort ist es aber auch Pflicht eine wirksame Maske zu tragen.

    Die Epidemie ließe sich nach einer Studie die im Auftrag des Innenminseriums erstellt wurde, unterdrücken, wobei mit 12.000 Opfer zu rechnen wäre. Ließe man sie ungehemmt laufen und verböte lediglich Großveranstaltungen, wäre mit 1,2 Millionen Opfer zu rechnen.

    Mit wirsamen Mundschutz, der Dritte schützt, sollte der Lockdown aufgehoben werden können.

    • @kamera mann:

      Es wird wohl daran liegen, dass dort nur ein Bruchteil der Anzahl an Viren in den Atembereich des anderen und auf Flächen kommen. Der Atemschutz dient dem Infektionsschutz. Das Tracking dient dem Überwachungsstaat.

  • egal wie viel Datenschutz versprochen wird. ich habe null Vertrauen, null Vertrauen dass doch nicht eine Hintertür gibt, ein Sicherheitsproblem.



    Außerdem hat nicht jede-r ein Smartfon oder dergleichen (in meinem umfald jedenfalls) und ich selbst werde niemals Bluetooth (was ja die Batterie von meinem alten Gerät sofort leer frisst) an machen.



    Ich habe große Bedenken gegen sowas und werde dies freiwillig nicht nutzen.

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Hörnchen:

      lieber nicht schimpfen auf dinge, die freiwillig sind - und einem letztlich selbst helfen würden, wenn sie von anderen mit anderer auffassung getan werden.

  • Es geht also auch ohne den Ausverkauf von Datenschutzrechten, prima.

  • Der Server am RKI brächte nicht einmal die Geräte kennen, wie es hier dargestellt wird. Es reicht völlig, wenn die App sich täglich einmal beim Server meldet und fragt, ob die eigene ID relevanten Kontakt mit einer positiv getesteten ID hatte. Der Handy-Besitzer entscheidet selbst, ob er sich testen lassen will. Kein Zwang, keine Aufdeckung der eigenen Kontakte, keine Standortdaten, nicht einmal der Überträger wäre bekannt - kein Groll, kein Unmut, kein Strafverfahren.

    • @ben99:

      Wie gelangen die IDs der Infizierten an den Server?



      Und der Server im RKI ist nicht angreifbar?



      Und die IP, MAC-Adresse, IMEI des Geräts sind nicht erkennbar?



      Netzverbindungen werden nicht protokolliert?

      Es gibt reichlich non-trivial Sicherheitsfragen, die bei einem PIA zu durchdenken sind.



      Und bei Gesundheitsdaten ist ein PIA verpflichtend.

  • Jetzt soll Handytracking auch noch "normalisiert" werden? Wird dann Handybesitz zur Pflicht, bzw, zum erforderlichen Standard, um nicht nicht als asozial zu gelten? Mit der Freiwilligkeit ist das ja immer so eine Sache, besonders wenn "Leben schützen" oder "Tod oder Leben" angeführt werden.



    Mit 5G werden übrigens die Funkzellen deutlich verkleinert - ganz praktisch, wenn sich schon mal alle ans Tracking gewöhnt haben, um sozial kompatibel zu sein.



    Es wäre m.E. deutlich dringender (und schneller), repräsentative Tests durchzuführen, damit die Gefährlichkeit des Virus korrekt eingeschätzt werden kann.



    Und was nützt diese App dem Pflegepersonal, dem kaputt gesparten Gesundheitssystem, dem dementen Bewohner eines Pflegeheims? Was sollte ich daraus schließen, dass ich in der Nähe der Käsetheke vor 10 Tagen einem Unbekannten mit Grippesymptom begegnet sein soll.



    Die einzige bisher sinnvolle Maßnahme ist, Leuten mit Rüsselpest den telefonischen Krankenschein für 14 Tage zu ermöglichen, damit sie nicht andere bei der Arbeit, beim Arzt, in der Schule anstecken.

  • Wichtig ist, dass die IDs auf gar keinen Fall rückrechenbar sind.Aus der ID darf es keinen Rückschluss auf die konkrete Person geben können.

    Dann ist das durchaus vorstellbar.



    Denn so wäre ein Transport der IDs und ein Abgleich möglich.

  • Seitens des Datenschutzes scheint die Lösung auf den ersten Blick erträglich zu sein.

    Allerdings hat sie 2 Nachteile, die den nutzen in D stark schmälern.

    In Deutschland besteht (bezogen auf die Gesamtbevölkerung) eine größere Zurückhaltung bei der Nutzung von Smartphones über alle Kanäle. Es gibt also weniger Daten.

    Und all diejenigen, die Corona für einen Witz oder für eine großen Verschwörung halten, diejenigen also, die ihre Mitmenschen am meisten gefährden, werden einen Teufel tun, eine App zu laden und Bluetooth einzuschalten.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ich würde wetten, daß die App nicht ohne unterstützende "Nudging"-Maßnahmen ausgerollt wird.

      • @jhwh:

        Erst mal warten, bis sie da ist und dann von den Experten analysieren lassen. Nicht von vor herein meckern :-)

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Meckern ? Um Gottes Willen :) Die App ist wahrscheinlich eine sehr vernünftige Maßnahme.



          Mit "Nudging-Maßnahmen" meinte ich kleine Erleichterungen für App-Nutzer bspw. eine Fastlane bei Sicherheitskontrollen oder erweiterte Toleranzradien / Gruppengrößen bei Ausgangseinschränkungen. Das überzeugt dann auch die von Ihnen beschriebenen schwierigeren Fälle.



          Vielleicht gibt es Singapur oder Südkorea sogar schon eine App für Sicherheitskräfte, die Handys auf die Installation der Corona-App und eingeschalteten Blauzahn überprüfen kann.

          • @jhwh:

            Eine App für die Polizei, die im Vorbeigehen prüft, was ich so installiert habe, würde mich dann doch bedenklich stimmen :-)

  • Ja, ohne Scheuklappen mal denen die was besser können nachmachen. Ohne German Angst wegen Allem. Dass in diesem Fall Singapur oder auch Korea, Japan, Schweden auch ohne Masseneinsperrung auskommen und besser dastehen als DE scheint offensichtlich. Packmers.

    • @Tom Farmer:

      Nix "Packmers", ich will mich nicht unter dem Vorwand der Pandemie in einen Überwachungsstaat zwängen lassen.

    • @Tom Farmer:

      Wer wurde denn in D eingesperrt?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Komme hier nicht weg gerade, ansonsten....Ochjo, Goldwaage....

        • @Tom Farmer:

          Nix Goldwaage. Es ist unredlich, lasche Maßnahmen mit Übertreibungen zu beschreiben...