Diebstahl der Mauertoten-Kreuze: Theater um 14 weiße Kreuze
Linke Extremisten? Nein: Kunst! Nach dem Diebstahl der Gedenkkreuze soll eine Performance entstehen, inklusive Hausdurchsuchung. Der Staatsschutz ermittelt.
BERLIN taz | Für Dieter Dombrowski, Vizepräsident des Landtags Brandenburg und Mitglied der CDU, ist die Sache sonnenklar: Bei den Leuten, die am Bundestag zunächst unbemerkt 14 weiße Gedenkkreuze zur Erinnerung an die Mauertoten abmontiert hatten, handele es sich um „linksradikale Asylrechtsaktivisten“. Und die Frage ist ja berechtigt: Wer Gedenktafeln abschraubt, um damit Aufmerksamkeit für die Grenzpolitik der EU zu erzeugen – kann der etwas anderes sein als radikal? Und links? Und Aktivist?
Am Montag hatte sich eine Gruppe des „Zentrums für politische Schönheit“ um dessen „künstlerischen Leiter“ Philipp Ruch dazu bekannt, jene weißen Kreuze am Bundestag abgeschraubt zu haben, die dort an Menschen erinnern sollten, die beim Versuch, aus der DDR zu entfliehen, an der Grenze ermordet wurden.
Die Gruppe behauptet, diese Kreuze „zu den Schwestern und Brüdern der Mauertoten“ gebracht zu haben, „die vor Europas Außenmauer auf ihren Tod warteten“, und verbreitete Fotos von Flüchtlingen an Europas Außengrenzen, die Nachbildungen der Kreuze in den Händen hielten. Aus Opferverbänden und aus Reihen der CDU hatte es darüber massive Empörung gegeben.
Der Staatsschutz beim Landeskriminalamt Berlin, der für politische Delikte zuständig ist, ermittelt offenbar intensiv, um die Kreuze bis zu den offiziellen Gedenkveranstaltungen am Wochenende wieder zu ihrem Ausgangsort zu bringen. Der politische Druck ist hoch: Wie sähe es aus, wenn die Gedenktafeln am 9. November nicht an ihrem Ort wären?
Doch was wie ein übliches Ermittlungsverfahren klingt, könnte sich in den kommenden Tagen zu einer Live-Performance der ganz neuen Art entwickeln: inklusive Hausdurchsuchungen und Staatsanwaltschaft. Denn die Gruppe, die mit ihrer Aktion auf die Tausenden Toten an Europas Außengrenzen aufmerksam machen will, versteht sich als politische Künstlergruppe – und treibt das Spiel um die Gedenksymbolik weiter voran.
In den Bergen von Gourougou
Dem Vernehmen nach hat die Polizei die Gruppe aufgefordert, die Kreuze auszuhändigen, doch die – ja, was denn: Künstler? Aktivisten? – geben nicht klein bei: „Wir sind bereit, Duplikate anzubringen, die besser sind als die Originale“, sagte Ruch am Dienstag der taz.
Die echten Kreuze, so behauptet die Gruppe, befänden sich derzeit bei malischen Flüchtlingen in den Bergen von Gourougou. „Den Betroffenen und Angehörigen der Opfer sei aber versichert, dass sie auf jeden Fall ans Reichstagsufer zurückkehren werden. Nur den 25. Gedenktag des Mauerfalls wollen und werden sie nicht in Deutschland feiern.“
Auch in anderer Hinsicht will die Gruppe die Deutungsmacht über ihre Aktion behalten: „Wir haben ein Stück geplant, in dem weder der Staatsschutz noch das SEK auf die Bühne stürmt, aber wir finden auch für sie einen Platz“, sagt Ruch provokant. Nun überlegt die Künstlergruppe, wie eine etwaige Hausdurchsuchung öffentlich zu inszenieren wäre – mit Kameras in den eigenen Arbeitsräumen?
Rückendeckung erhält Ruch von der Intendantin des Berliner Maxim Gorki Theaters, Shermin Langhoff. Sie sagte der taz: „Seit dem Tod von Christoph Schlingensief vermisse ich immer wieder eine starke, provozierende Stimme in der Kunstlandschaft, die politisch interveniert.“
Deshalb sei sie froh, dass es das Zentrum für Politische Schönheit gebe. „Die Aktion erzeugt Aufmerksamkeit für die katastrophale Situation der von Flucht betroffenen Menschen an den EU-Außengrenzen. Sie nimmt die Vergangenheit als Auftrag ernst.“
Tatsächlich ist die sogenannte Inszenierung, die Berlins Senatssprecher Richard Meng als „dumm und geschmacklos“ bewertete, Teil der offiziellen Eröffnungsaktion des internationalen Festivals „Voicing Resistance“, das am Freitag am Gorki Theater beginnt. Dann sollen Busse mit Aktivisten verabschiedet werden, die von dort direkt an die europäischen Außengrenze fahren, um mit Bolzenschneidern Löcher in den Grenzzaun zu schneiden. Das Theater – auf dem Weg in den Widerstand?
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