Die Wiederholungswahl und Die Linke: Linke Politik auf der Kippe
Der Linken drohen Verluste. Damit würden Personen, die derzeit linke Berliner Politik prägen, den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus verpassen.
Der Landesverband leidet vor allem unter dem verheerenden Zustand der Bundespartei und deren Umfragetief. Dabei versucht man alles, um die Eigenständigkeit zu betonen. Geworben wird mit dem Label „Berliner Linke“, wobei beiden Wörtern das gleiche Gewicht zugemessen wird. Die Botschaft dahinter: Die Linke in der Hauptstadt hat mit den Querelen der Bundes-Linken nichts zu tun. Statt Auseinandersetzungen mit Wagenknecht-Positionen – mit Alexander King vertritt nur ein Abgeordnete deren Linie – stehe sie für Geschlossenheit und einen eigenständigen Weg. Im Selbstbild der Linken Berlin heißt das: ein erfolgreicher Spagat zwischen Regierungsfähigkeit und Systemkritik.
Paradigmatisch dafür steht ihr Umgang mit der Wohnungs- und Mietenpolitik. Obwohl man sich 2021 vom Posten des Stadtentwicklungssenators schweren Herzens trennen musste, ist das Thema der Markenkern der Landespartei geblieben. Parlamentarisch ringt man dabei um die oft kleinsten Kompromisse mit der SPD, gleichzeitig versteht man sich als Flügel der sozialen Bewegungen und präsentiert sich als einziger Garant für die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co. enteignen.
So versucht die Linke auch in diesem Wahlkampf mit aller Kraft ihr Kernthema nach vorne zu schieben: Es sei eine „Mietenwahl“, so heißt es mantramäßig aus der Partei. Seit Neuestem gibt es gar eine eigene Website unter diesem Namen, auf der die – durchaus fundierten – mieten- und stadtenwicklungspolitischen Konzepte der Berliner Linken zusammengefasst werden. Doch die Seite offenbart auch ein Problem der Partei: In ihrer Wahrnehmung hängt sie stark an einzelnen, meist jungen und angriffslustigen Abgeordneten, denen sie zugleich nicht allzu viel Vertrauen schenkt.
Wenn die Linke Prozentpunkte verliert
So ist die Mietenwahl-Website ein Projekt ihres Fraktionssprechers für Mieten und Wohnen, Niklas Schenker, der auch im Impressum aufgeführt ist. Der 30-jährige Schenker ist seit der Wahl 2021, bei der er zum ersten Mal ins Abgeordnetenhaus einzog, das Gesicht der Partei zum Thema. Er ist dabei, wenn die Parteispitze ihr Konzept für ein kommunales Neubauprogramm vorschlägt, und dauerhaft medial präsent – auch durch seinen eigenen mietenpolitischen Podcast.
Nach der Wahl allerdings könnte es für Schenker mit der Parlamentskarriere vorerst wieder vorbei sein. Wenn die Linke Prozentpunkte – und damit Mandate verliert –, droht die Partei plötzlich ohne ihren Mietenexperten dazustehen.
Auch die zweite Fachfrau für das Thema, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin Katalin Gennburg, muss um ihr Mandat bangen, obwohl sie wie keine andere für einen radikalen, also vor allem eigenständigen linken Kurs ihrer Partei steht. 24 Abgeordnete hat die Fraktion derzeit, von denen 21 über die Landesliste abgesichert waren; sechs Abgeordnete, drei mit und drei ohne sicheren Listenplatz, gewannen ihre Wahlkreise direkt. Bei dem vorhergesagten Verlust von zwei Prozentpunkten wird sich die Zahl jener, die über die Landesliste einziehen, reduzieren.
Mit Listenplatz 19 ist Gennburg, die einen Platz vor Schenker liegt, akut gefährdet. Für sie gibt es, anders als für Schenker, immerhin noch die realistische Möglichkeit einer Direktwahl: 2021 gelang es ihr, ihren Treptower Wahlkreis zum zweiten Mal zu gewinnen. Damit es dazu wieder kommt, hat sie im Wahlkampf Unterstützung von Parteigenoss:innen aus Thüringen und auch von der Bundesvorsitzenden Janine Wissler bekommen.
Die hinteren Listenplätze
Dass die Unterstützung für die beiden Mietenpolitiker:innen im eigenen Landesverband dagegen nicht allzu groß ist, zeigen nicht nur ihre hinteren Listenplätze, sondern auch ihre schlechten Wahlergebnisse bei der Aufstellung der Liste vor der Wahl 2021. Gennburg und Schenker erhielten die schlechtesten Ergebnisse der vorderen 20 Plätze. Vielen in der Partei sind sie offensichtlich zu radikal, zu wenig kompromissbereit in einer Koalition mit Sozialdemokraten, die in ihren Themen oft gänzlich andere Positionen vertreten.
Die Unterwürfigkeit, mit der die Partei 2002 erstmals in eine Berliner Regierung eintrat, beseelt davon, nach langem Paria-Dasein als PDS endlich angekommen zu sein, ist nur zu Teilen überwunden; sie blitzt auf im Wunsch vieler nach möglichst geräuschloser Regierungspolitik. Auch Flügelkämpfe zwischen Reformern und Linken spielen hierbei eine Rolle. Der linke Flügel, der zumindest noch kritisch auf Regierungsbeteiligungen schaut – Gennburg und Schenker etwa waren gegen eine Koalition ohne die feste Zusage, den Enteignungsvolksentscheid umzusetzen –, ist bei den Reformern um Klaus Lederer, die von jeher die Zügel fest in den Händen halten, nicht sonderlich wohlgelitten.
Einfacher haben es dagegen Kandidaten aus dem Lager der Parteiführung. Und so ist einem Mietenpolitiker der Einzug ins Parlament sicher: Kurzzeit-Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel. Der vergleichsweise weniger angriffslustige Scheel steht auf Platz 4 der Landesliste und hat nach seinem Mandatsverzicht am Anfang der Legislatur nun seine Rückkehr angekündigt.
Ebenfalls ein Wackelkandidat
Neben der Mietenpolitik droht ein weiterer für die Partei wichtiger Politikbereich nach der Wahl personell geschwächt zu werden. Der innenpolitische Sprecher Niklas Schrader, der zu den öffentlich wahrnehmbarsten seiner Fraktion gehört, ist mit Listenplatz 17 ebenfalls einer der Wackelkandidaten, wenn die Linke Stimmanteile einbüßt. Dabei ist Schraders Name eng verknüpft mit den Erfolgen einer – zumindest in Teilen – liberalen Innenpolitik der vergangenen Jahre, wie dem Polizeigesetz.
Zunächst einmal könnte sich für die Linke auch bei einem Stimmenverlust nach der Wahl wenig ändern. Eine Wiederauflage der Koalition mit SPD und Grünen, womöglich unter Führung Letzterer, gilt weiterhin als wahrscheinlichstes Szenario. Doch die Probleme drohen im Verlauf der dann noch etwa dreieinhalb Jahre laufenden Legislatur größer zu werden. Denn Erfolg und Mobilisierungskraft der Linken sind eng mit ihrer Ausstrahlung in ihren Kernthemen verknüpft. Hierbei ist die Mietenpolitik noch wichtiger als andere Sozialthemen, weil hier die Unterschiede zu den Koalitionspartnern deutlicher zutage treten.
Doch ohne ihre inhaltlich profiliertesten und eine gewisse Radikalität ausstrahlenden Abgeordneten wird die öffentliche Wahrnehmung schwieriger zu erreichen sein. Allein die Regierungsbeteiligung reicht für die Linke nicht aus, um im großen linken Milieu der Stadt – das zu einem nicht unwesentlichen Teil schon jetzt Kleinparteien oder aber auch die Grünen wählt – ausreichend auf Resonanz zu stoßen. Die Ruhe und Geschlossenheit, die die Berliner Linke derzeit noch öffentlich ausstrahlt, muss also nicht bleiben. Eine herbe Wahlniederlage könnte sie nicht nur inhaltlich schwächen, sondern auch innerparteiliche Differenzen wieder stärker zutage treten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen