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Die WahrheitAlles muss auf den Tisch

Er war einfach da. Gekommen, um zu bleiben. Das hässliche Möbelstück wird unsere Hausgemeinschaft so schnell wohl nicht verlassen …

V or einigen Jahren habe ich an dieser Stelle engagiert darüber berichtet, wie in unserem heimischen Berliner Treppenhaus, das ein Treppenhaus der Mieter ist, in einem fort etwas auf der Fensterbank im ersten Stock platziert und getauscht wird. Platziert und getauscht werden bis heute dort Dinge des täglichen sowie des nicht alltäglichen Bedarfs. Zwei Beispiele sollen genügen, wir müssen ja schließlich zum diesmaligen Kern der Geschichte vorstoßen.

Ding eins, keine zwei Wochen ist es her: ein aufblasbares Kinderplanschbecken mit Loch. Wahrscheinlich war die Tonne für Plastikmüll voll. Geschenkt. Ebenfalls geschenkt: ein Lexikon Türkisch-Kabardinisch, im Frühjahr auf der Fensterbank, zerfleddert, doch nutzbar. Recherchen ergaben, dass die kabardinische Sprache aus dem Westkaukasus kommt und sie wohl mehr als 1,5 Millionen Menschen sprechen. Auch in der Türkei und in Deutschland parliert man auf Kabardinisch. Und im Nordkaukasus liegt die zu Russland gehörende Republik Kabardino-Balkarien. Unruhig dort, steht geschrieben, nicht im Treppenhauslexikon, sondern im Netz. Unruhig wie so vieles derzeit.

Plötzlich war er da

Aber jetzt zum eigentlichen Sujet dieses Textes: der Tisch. Der Tisch im Zwischengeschoss von zweitem und drittem Stock. Der Tisch war eines Tages plötzlich da. Er ist hässlich, der Tisch, aber niemand trägt ihn fort von seinem Platz vor dem Etagenfenster, niemand erbarmt sich seiner, niemand will ihn. Nicht mal das strenge Aufsehen des Hausmeisters hat er bis jetzt erregt; ja, wir haben noch einen echten Hausmeister, der im Haus wohnt, ich möchte ihnen das Modell sehr anempfehlen.

Eigentlich ist unser Hausmeister von der schnellen Eingreiftruppe, geht es darum, Dinge gnadenlos zu entsorgen, wenn diese nicht bei drei einen neuen Besitzer gefunden haben. Ein Tag wird ihnen gewährt auf der Fensterbank, oder es werden maximal zwei, und in Ausnahmefällen, wie den gesammelten Sammelbänden der Apotheken Umschau vielleicht sogar drei Tage. Nicht so verhält es sich seltsamerweise mit dem Tisch. Der Tisch steht dort jetzt seit mindestens drei Wochen, er trägt mittlerweile eine dicke Staubschicht auf seiner Glasplatte, traurig hält er sich aufrecht qua seiner vier hässlichen schwarzen Stahlrohrbeine. Alles an diesem Tisch ruft: „Nimm mich mit auf die Reise, alles besser als hier zu bleiben!“

Reisen mit dem Tisch

Das erinnert mich an ein sattes Erlebnis beim Einchecken in Berlin-Tempelhof, Jahre ist es her. Ein soignierter älterer Herr stand vor mir in der Schlange. Neben ihm ein Tisch, ungefähr von der Couchtischgröße jenes Tisches, der sich jetzt in unserem Treppenhaus Raum verschafft hat. Samt querlaufenden Stahlrohren zur Fernsehzeitschriftenablage. Als der Herr nach Handgepäck gefragt wurde, beschied er: „Der Tisch. Ich reise immer mit diesem Tisch.“ Es dauerte dann noch etwas mit dem Einchecken, und ich verpasste beinahe das Flugzeug. Was lernen wir daraus? Ein Tisch bleibt ein Tisch.

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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