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Die WahrheitDie Erfindung der deutschen Küche

Nach der Zerschlagung der Cuisine française blieb den Preußen nur Hausmannskost. Ein Ereignis, das sich heute zum 150. Male jährt.

Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871 Foto: Anton von Werner/Wikimedia Commons/taz

Wir schreiben das Jahr 1871. Das Königreich Preußen hat gerade den französischen Kaiser Napoleon III. ordentlich paniert und aus seinem Empire die heiße Luft wie aus einem Soufflé gelassen. Und während die Pariser Commune gerade den Ofen anwirft, um der Bourgeoisie in die Suppe zu spucken, kommt in Versailles etwas ganz anderes auf den Tisch.

Alle Menschen, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, kennen dieses Gemälde von Anton von Werner. Oder sagen wir, fast alle. Okay, ein paar. Na gut, einige wenige. Grund genug, mal genauer auf das Bild (siehe Bild) zu schauen: Was sehen wir hier eigentlich wirklich?

Das Bild zeigt ein absurdes Ritual einer sichtlich bewaffneten Parallelgesellschaft in einer abgeschlossenen Echokammer, die noch dazu völlig verspiegelt ist. Kein Wunder, sind doch die Spiegel Ausdruck des narzisstischen Weltbildes der handelnden Personen. Die Tatsache, dass einer der Abgebildeten – ein gewisser Wilhelm (4) – sich danach sogar jahrelang als „Kaiser“ ansprechen ließ, zeigt sehr klar, wie sehr die Mitglieder dieser Blase aus lauter alten, weißen Männern den Kontakt zur Realität bereits verloren haben.

Fehlen doch hier nicht nur Frauen völlig, sondern auch Vertreter anderer marginalisierter Gruppen, wie Franzosen, Österreicher oder Dänen. Es ist nicht einmal ein Vertreter der EU oder wenigstens der OSZE auszumachen. Einzig ein gewisser Herzog Ernst (1), Schwager der englischen Königin, verströmt ein wenig internationales Flair, aber das auch nur am linken Bildrand. Sein deprimierter Gesichtsausdruck („Ich hab echt nie Glück. Mein Bruder ist mit der englischen Königin verheiratet und ich steh hier im hintersten Eck“) spricht Bände.

Der Einwand, dass es sich hier um die Abbildung eines rein nationalen Ereignisses handelt, lässt sich leicht entkräften. Glänzen doch nicht nur der bayerische und der württembergische König – so etwas gab es damals noch – durch Abwesenheit, sondern auch der sächsische. Es ist nicht zu leugnen: Hier feiert sich die militante Preußen-Bubble hart selber. Ausnahmen bilden – nach dem oben genannten Ernst – lediglich Friedrich (5), der Großherzog von Baden, dessen angespannte Körperhaltung und versteinerter Gesichtsausdruck eindeutiges Unwohlsein erkennen lassen („Und dem Nächsten, der sagt: Es gibt badische und symbadische, dem knall ich eine“) und der mit 76 Jahren wohl schon an der Schwelle zum Greis stehende bayerische Heerführer Jakob von Hartmann (7), der erst in diesem Moment zu erkennen scheint, in welchen Schlamassel er sein Heimatland da hinein manövriert hat („Wos? Ja, zefix! Und jetzt soi uns a so Saupreiß’ regier’n? Dafia hauns ma do in Minga auf d’Wiesn a Mass übern Schädl.“)

Hackordnung

Den von ihm angesprochenen preußischen Generalleutnant Leonhard von Blumenthal (8) plagen einstweilen ganz andere Probleme, wenngleich auch er um seinen Nachruf bangt („Wenn der Bismarck nur einen Schritt zur Seite macht, bin ich völlig verdeckt. Und dann wird das nichts mehr mit den vier Straßen in Berlin, die meinen Namen tragen“). Und so beginnen – wie das bei hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaften oft zu beobachten ist – sofort die internen Machtkämpfe um Rang und Einfluss. Die sogenannte Hackordnung muss ausgehandelt werden. Und den Begriff „Hackordnung“ darf man durchaus wörtlich verstehen, wenn so viele der Beteiligten Säbel tragen.

So ist im Bildvordergrund zu sehen, wie ein gewisser Generalfeldmarschall Moltke (10) aggressiv um die Benennung extraterrestrischer Unebenheiten nach seiner Person verlangt („Also wenn der Blumenthal so viele Straßen kriegt, dann möchte ich zumindest einen Mondkrater“). Das klingt heute undenkbar, aber der Mann hat seinen Willen bekommen.

Seltsam abwesend erscheint dagegen sein Kollege Albrecht von Roon (6), dessen Mimik sich entweder als Ausdruck einer aufkommenden Übelkeit deuten lässt – zu deren möglichem Grund wir gleich kommen – oder eines inneren Konflikts („Moment mal … Ich bin hier, aber ich war da doch gar nicht dabei“).

Was passiert hier eigentlich?

Was uns – endlich, endlich! – zur Kernfrage des Bildes bringt: Was passiert hier eigentlich? Was ist der Anlass für den Tumult in diesem Spiegelkabinett der Waffennarren? What’s the trouble in the bubble?

Es ist so: Der Oberkellner in der Bildmitte (9) hat die undankbare Aufgabe, den aufgebrachten Milizionären mitzuteilen, dass sie aufgrund ihres aggressiven Verhaltens im Ausland in den letzten sechs Jahren keinerlei Lebensmittellieferungen aus den soeben verheerten Gebieten erwarten dürften, wodurch sich das Speisen- und Getränkeangebot auf Produktionen aus dem heimischen Markt beschränkt. Im Klartext: Statt Champagner und Bœuf bourguignon gibt es nur mehr Grünkohl und Pinkel, Bratwurst und Graubrot.

Sicher tragen manche die Nachricht mit Fassung (12), anderen bleibt dagegen der Mund vor Entsetzen offen stehen (11). Doch die Vertreter der jüngeren Generation zeigen Initiative. So beschließt der Sohn des sogenannten Kaisers, Friedrich (3), heimlich die Gründung eines veganen Restaurants („Schnell irgendwo in Berlin eröffnen, weil mein Hairstyle wird frühestens in 150 Jahren wieder hip“), sein unbekannter Antagonist (13) auf der gegenüberliegenden Seite des Bildes dagegen macht die kulinarische Not zur Tugend („Dann wird eben jetzt nur noch gegrillt!“). Und findet damit auch sofort Anhänger (14, 15: „Ja, geil, lasst uns Fleisch in Kohle verwandeln!“).

Kulinarische Folgen

Die schweigende Mehrheit allerdings, allegorisch vorne links in Lackstiefeln ins Bild gesetzt, übt sich bereits in gedanklicher Emigration („Wenn das so ist, dann geh ich entweder zur Fremdenlegion oder werde Sozialist“). Und sogar der sogenannte Kaiser hat einen Moment der ungewohnten Klarheit („Na, dann hoffe ich, dass in spätestens 47 Jahren der ganze Zinnober vorbei ist“). Ein Wunsch, der, wie wir heute wissen, in Erfüllung gehen sollte.

Um die kulinarischen Folgen abzufedern, schuf die deutsche Ingenieurskunst späterhin den Toast Hawaii und die Currywurst, für deren Zutaten (Ananas, Currypulver) allerdings Kolonien errichtet werden mussten. So gelangten auch Zimt, Kokos und Gewürznelken für die expandierende Lebkuchenproduktion ins Land, wodurch der nachfolgende Küchenchef, Wilhelm II., einen derartigen Heißhunger auf exquisite internationale Geschmäcker entwickelte, dass die heiße Schlacht am kalten Buffet („1. Weltkrieg“) nicht mehr zu vermeiden war.

Und so schreibt die Küche bis heute Geschichte. Und wird dies noch weiter tun. Bis zum jüngsten Gericht.

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13 Kommentare

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  • NÖ. Das Gemälde hat mit irgendeiner Reichsgründung nichts zu tun. Sie jubeln alle weil der Chef (inder Mitte) gerade ankündigte, dass der Vegantag (später irrtümlich als Sedantag bezeichnet) abgeschaffen ist und ab sofort vom pfälzer Saumagentag ersetzt. Die Szene fand im landauer Gasthaus "Zum treuen Husaren" statt. Ist heute noch fast so geblieben, bis auf einige Spiegel, die in der folgenden Sauferei zugrunde gingen.

  • Das Bayrisch ist soweit schon okay, aber da fehlt ein zweites ‚a‘:

    „...soi uns a so _a_ Saupreiß‘...“

    • @Saile:

      Baierisch ;).

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch ergänzt 🥳

    “ - "...Ich möchte nicht tot und begraben sein



    Als Kaiser zu Aachen im Dome;



    Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet



    Zu Stukkert am Neckarstrome.







    Zu Aachen langweilen sich auf der Straß'



    Die Hunde, sie flehn untertänig:



    »Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird



    Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.«"



    (Heine - Deutschland, ein Wintermärchen)“

    kurz - Mal sehn - fällt noch was ein?! 🤫

    • @Lowandorder:

      Später

      Eine Eiche überschattet mich; wenn sie wüßte, wer ich bin, täte sie es sicherlich nicht, aber es ist eine schwedische Eiche, also ist sie nicht organisiert . . . die Hummeln besuchen die Blumenbüros, trinken in jeder Blüte einen kleinen Schnaps und machen ein ungeheuerliches Gesumm . . . wenn sie nachher nach Hause kommen, werden sie wahrscheinlich erzählen, wie furchtbar sie an diesem Mittag-Morgen zu tun gehabt haben . . . die Zigarre setzt schöne, weiße Asche an. Das macht immer sehr nachdenklich; so nach Tisch hat man die vernünftigsten und unfruchtbarsten Gedanken.



      Da erzählt uns Emil Ludwig von Bismarck, wie er sich in Göttingen als Student und in Berlin als Auskultator und in Aachen als Regierungsreferendar – nein, in allen drei Städten als Mann heiter durch die Gegend geliebt hat. (Da diese Zeitschrift in Deutschland erscheint, muß ich hinzusetzen: »Bravo! Hurra! Nochmal lieben!«) Bismarck war damals um die Zwanzig.



      Das geht uns gar nichts an. Aber nun war da im Jahre 1870 sein großer Tag, das Werk seines Lebens stand aufgebaut, sein Name ging über die Welt. Die kleinen Damen, die er damals geliebt hat, waren um diese historische Zeitenwende etwa Mitte Fünfzig, soweit sie noch lebten. Wenn sie, was zu hoffen steht, nicht untergegangen waren, so hatten sie vielleicht geheiratet oder waren ältere Fräulein geblieben . . . Und nun lasen sie seinen Namen in der Zeitung, sahen sein Bild, überall . . . was denken sich Frauen in solchen Augenblicken –?



      Otto . . . Blicken sie träumerisch in den Kamin? Wenn sie aber keinen haben: schreiben sie einen Brief? Nicht anzunehmen, wenn der Klassenunterschied schon in Aachen bestand, und um wieviel ist er nun gewachsen! Was denken sie? Denken sie an Einzelheiten? sind sie stolz? Lesen sie: » . . . in den erblichen Fürstenstand erhoben . . . «, und denken sie: er hatte solche geringelten Socken an, die mochte ich immer so gern . . . was denken sie –?

      & Rest ff

      • @Lowandorder:

        ff & fin

        Das werden wir nie wissen. Sie denken auch nicht den hundertsten Teil dessen, was ein Mann denkt, sie dächten es – und der hundertste Teil sieht auch noch ganz anders aus. Jetzt läßt sich von der unorganisierten Eiche eine Made an einem Faden herunter und will sich auf die Zigarre setzen – die Hummeln – Bismarck – »Typisch zersetzender Gedanke! Kulturbolschewismus! Am Heros nur die irdischen Leidenschaften sehen . . . Bismarck als Mensch . . . ihm eben der reine Gedankenflug versagt . . . klassenbewußte Arbeiter sieht, daß der Adlige die Mädchen des unterdrückten Volkes aussaugt . . . vom theosophischen Standpunkt . . . schon vom rein sportlichen Standpunkt . . . zersetzender berliner Geist . . . Kulturbolschewismus dieser Epoche . . . « Antenne geerdet, aus.



        Was mögen sie aber wirklich gedacht haben –?

        · Peter Panter



        Die Weltbühne, 16.07.1929, Nr. 29, S. 110.



        ——-



        www.zeno.org/Liter...e/1929/Sp%C3%A4ter

        kurz - echt getzt mal - Genug gewürdigt!

  • Wieso die Betonung aus "weiße männer"? Das bild ist aus dem 19 Jahrhundert. Da fand kaum globaler Austausch statt. Erübrigt sich von selbst wieso die leute dort weiße männer sind, und nicht divers.

    • @KeinGott KeinStaat:

      Damit hätten wir dann weiss abgefrühstückt. Und Männer? Jetzt ziehen Sie sich nicht darauf zurück, dass Frauen zu der Zeit noch als kindgleich unfähig galten - wie im Artikel erwähnt gab es schon englische Königinnen.



      Deutschland war mit der Emanzipation eben immer schon massiv hinterher...

      • @Mainzerin:

        ...hat dann aber den Frauen früher das Wahlrecht gegeben als Großbritannien.

  • Einen württembergische König gab es zu jener Zeit nicht und der bayerische König hatte sich dem Kochen bereits abgewandt und nahm statt dessen angeblich wohl schon Schwimmunterricht.

    Toast Hawaii und die Currywurst können auch nichts mit Kolonien zu tun haben, da die jeweiligen Ressourcen nie in den Kolonien angebaut worden sind.

  • Die Gründung des Kaiserreichs vor 150 Jahren hat zweifellos Auswirkungen bis in die Gegenwart. Zum einen das Ende der deutschen Kleinstaaterei, zum anderen ein forcierter Nationalismus, der mit zwei Weltkriegen ins Verderben geführt hat

    Schade dass die taz es nicht für nötig befindet diesen Jahrestag mit all seinen Folgen ernsthaft zu bewerten.

    • @Argonaut:

      Ja wie? Nur - “…zu beim Essen kann mich gar nichts stören…“

      Wennse bei Napoleon gern anfangen wollen.



      “ In Deutschland beendete Napoleon die starke Zersplitterung in eine Vielzahl von klei- nen geistlichen und weltlichen Herrschaften und schuf größere politische Gebiete. So wurden 1803 auf Druck von Napoleon 112 deutsche Kleinstaaten und Reichs- städte aufgehoben und den größeren Fürstentümern zugeschlagen.“



      &



      Beim Würdigen - den guten Max Lehmann - ein Kenner&Könner seines Fachs - nicht vergessen.



      Zumal die Würde ja bekanntlich unfaßbar ist. Gellewelle.

      unterm———



      200 Jahre Bismarck: Blut und Eisen



      Seiner Zeit voraus: Der Historiker Max Lehmann legte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Otto von Bismarcks Gewaltpolitik bloß.“ Rudolph Walter -



      taz.de/200-Jahre-Bismarck/!5014316/



      &



      www.perlentaucher....mann/bismarck.html



      KLAPPENTEXT



      Max Lehmann (1845-1929) widersprach mit seiner Bismarck-Vorlesung an der Universität Göttingen seit 1906 der landläufigen Glorifizierung des Reichsgründers. Er gilt als der bedeutendste und profundeste Kritiker borussischer Geschichtsschreibung. Im Dezember 1906 schrieb er: "Bis jetzt bin ich wegen der in meiner Bismarck-Vorlesung begangenen Ketzereien noch nicht gesteinigt, aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben." Lehmann weist Bismarcks "Blut- und Eisen-Politik" von 1862 bis 1871 als demokratiefeindlich, engstirnig preußisch und kriegerisch zurück. Sie führte im Hohenzollernreich zum Triumph des Schwertglaubens über das zivile Denken. Fortan existierte auch die europäische Mächtekonstellation des Wiener Kongresses nicht mehr.“

      kurz - Dann könnts gelingen. Nur Mut.



      Bis Iason Pelias das Vlies überreichte.



      Dauerte ja auch ne Weile - kerr!

  • Herrlich. Es halt kein jüngstes Gerücht!



    Wer im Geschichtsunterricht nicht nur Doppelkopf in der letzten Bank gespielt hat!



    Ist auch hier klar im Vorteil. Wollnichwoll.



    Oder wie‘s die Kölsche einst zu sagen wußten:



    ”Wat schieße di donn? Seh di nit - daß hier Lück stonn!



    Um resigniert fortzufahren:“Da hamer ever inne erm Verwandtschaft ingeheiert!“



    Na Si‘ cher dat. Da mähtste nix. Normal.

    unterm—— nach Merz - Lasset di Printe —



    Es war bei Preußens eine Strafversetzung - nen Job in Aachen!



    aka Aix-la -Chapelle aka Aken.



    Ach herm - 🥳 -