Die Wahrheit: Ungelogen einen Abstecher wert
Die merkwürdigsten Museen der Welt (7). Heute: Das vollkommen ehrliche, umgezogene Lügenmuseum in Radebeul, Sachsen.
„Ich bin Vertretung. Die ist strenger als die Stammkräfte“, sagt die Frau an der Kasse. Eine Lüge? Leider nein. Als Schreiber hatte ich nach freiem Eintritt gefragt. Nix zu machen! Kartenzahlung? „Nee, wir haben kein Gerät“ – wieder keine Lüge, sondern traurige Realität. Das soll das Lügenmuseum sein? Allerdings. Hier eine Lügenanhäufung zu finden, habe ich auch nicht erwartet. Schließlich besuchte ich dieses Museum schon Ende des letzten Jahrtausends, damals noch im brandenburgischen Gantikow beheimatet. Das liegt gut 100 Kilometer nordwestlich von Berlin, unweit jenes Kyritz/Dosse, das durch ein Kneipenlied („Karneval in Kyritz an der Knatter“) einen Hauch von Bekanntheit erlangt hat.
Richard von Gigantikow nennt sich der Museumsgründer, Reinhard Zabka heißt er bürgerlich. Schon zu DDR-Zeiten war er mit schrägen Objekten angeeckt, um in den neunziger Jahren in Gantikow sein Refugium zu finden. Dort hatte ich Zabka, bei einem Glas Wein, als unprätentiös und praktisch erlebt. Und ebenso das Museum: Ausstellungs- und Wohnräume waren nicht zu unterscheiden – ein Biotop, in dem bizarre Skulpturen wie Fontanes Wanderschuh und Readymades, etwa ein Buch „Was zählt, ist die Wahrheit. Briefe von Schriftstellern der DDR“ als Inkarnation des Lügen-Gegengeistes, artgerecht reifen durften.
Kurz, der Museumsname darf als Lüge verstanden werden, doch nicht als Etikettenschwindel: Dem Schrägheitsgrad, den er repräsentiert, zeigt sich die Ausstellung exakt verpflichtet. Und fügte sich damals, so mein Eindruck, organisch ins umgebende, vergilbte Sandland.
Doch hier muss ich mich getäuscht haben. Denn: Ich will das Museum wieder aufsuchen, liebäugle mit einem Hin-Zurück-Liegerad-Tagestrip – von Berlin aus wären das rund 230 Kilometer, zur Mittagsrast gäb’s den Museumsbesuch. Ja, Pfeifendeckel!
Zweitagesreise nach Radebeul
Die Gantikower liebten ihr Museum nicht. Nach Ablauf des Mietvertrags, lese ich im Netz, musste die Sammlung ausziehen. Zu besichtigen sei sie jetzt im sächsischen Radebeul. Einfach 200 Kilometer, das bedeutet eine Zweitagesreise für mich. Mehr als der höhere Zeitaufwand beunruhigte die Vorstellung: Was einst in morbiden, bäuerlichen Mauern Märkisch Sibiriens lag, wie mag sich’s wohl ausnehmen in der Hochburg der Flurbereinigung, jenem Radebeul, das zum Nachbarn Dresden eine Art Bonn-Köln-Verhältnis unterhält.
Tatsächlich gibt’s eine angenehme Überraschung. Früh halb sechs liege ich los; zehn Stunden später kommt’s zum eingangs wiedergegebenen Dialog. Serkowitz heißt der Stadtteil, im ehemaligen Gasthof gastiert das Museum, und siehe da: Die neue Heimat bildet einen nicht minder angemessenen Rahmen. Außen ranken Lügenmuseum-Aphorismen an der Fassade („Wenn du ‚Ich bin verlogen‘ sagst, sei ehrlich!“), innen lugen auf die Wand gepinselte gutbürgerliche Trinkersprüche zwischen den Exponaten durch.
Kleinode gibt es da, reizende Brückemaler-Fälschungen auf Heringsdosen etwa, Objektpointen wie das Ohr van Goghs, wenige Räume getrennt nur vom Ohr Erich „Horch-und-Guck“ Mielkes, oder eine verfaulte Holzleiter namens „Aufschwung Ost“. Wobei derlei milde Bild-Witzchen gottlob nicht repräsentativ sind. Eher wären da die zahlreichen Mobilés zu nennen: ein Miniatur-Kettenkarussel, worin Zahnbürsten kreisen, hat mir sehr eingeleuchtet.
Saalzierrat und Grandezza
Freilich muss jede Hervorhebung das Wesentliche verfehlen, welches hier eben im Ensemble- und Arrangementcharakter zu finden ist. Jedem Raum des Lügenmuseums eignet besondere Atmosphäre.
Im letzten und größten, dem Tanzsaal der Beletage, erreicht das Zusammenspiel von vorgefundenem Saalzierrat und Installationen wahre Grandezza.
Nicht weniger als das Auge wird das Ohr angesprochen – eindrückliche Combos aus teils aber auch recht betulich werkelnden Geräuschmaschinen.
Nachttopfmuseum, Am Bartelskamp 10, Wasbüttel
Erwähnenswert weiters die vielen bequemen Sofas: Nicht zum stylishen Stehempfang wird geladen, sondern zum aufmerksamen Runterkommen. Drei Museums-Ahnen ahne ich: Karl Valentin, der vor seinem Komikerdasein mit einem selbstgebauten Musikautomaten getingelt war. Kurt Schwitters, dem, mehr als seinen Collage-Kollegen, Liebe zum Ausgangsmaterial anzumerken ist. Und Jean-Pierre Jeunet, der schon vor seinem Erfolgsfilm „Amélie“, ja, speziell in „Delicatessen“, ein Hohelied der Trödelästhetik anstimmt. Die Mystik des Konkreten zu spüren; Alltagsgegenstände in Würde altern zu lassen – dieser rote Faden fesselt nicht nur mich.
Ganz andere Kaliber als ich lassen sich ebenso hier in Radebeul faszinieren: „Mir kenn’s Lüngmuseum jo in-un-auswendisch“, dröhnt eine Frau, die ihr Ferienkind hereinführt und im Patinaparadies vollkommen zu Hause ist. Ungelogen.
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