Die Wahrheit: Endlich! Die Stauprämie kommt!
Das Bundesverkehrsministerium plant eine finanzielle Vergütung für staubedingte Verspätungen. Eine erste Testphase ist bereits angelaufen.
Kaum etwas regt hierzulande mehr auf als Fehlleistungen der Deutschen Bahn. Da reicht eine zehnminütige Verspätung im Fernverkehr, schon werden sämtliche sozialen Netzwerke hochgefahren und mit Schimpf und Spott über die „beschissene Pannenbahn“ und „ihre vier größten Feinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, hehe!“ geflutet. Und es sind nicht mal nur die direkt Betroffenen, die da mit höhnen. Auch die vielen Deutschen, die – wie Harald Schmidt mal vermutete – schlichtweg zu doof sind, mit dem Zug zu fahren, beteiligen sich an der Bahnhetze. Und das am liebsten immer dann, wenn sie mal wieder auf der Autobahn im Stau stehen.
Diese Autobahnstaus nehmen sie übrigens so unaufgeregt hin wie die Gründe dafür. Im ständig die deutschen Radioprogramme unterbrechenden Verkehrsfunk melden sie jedenfalls die verrücktesten Staulängen so launig als wären es witzige Statusmeldungen.
Und wenn sich gerade ein panzerähnlicher SUV in einen Kleinwagen gebohrt hat, ein tonnenschwerer Laster in ein Stauende gebrettert oder ein irrer Geisterfahrer in den Gegenverkehr gerast ist, wenn Reisebusse quer zur Fahrbahn oder brennende Wohnmobile auf der Überholspur stehen und man im kilometerlangen Stau dahinter mit Stunden zusätzlich rechnen muss, zeigt man sich in den Netzwerken allenfalls betroffen. Grundsätzlich verhetzt und verspottet aber wird das Kfz-Wesen deshalb nie. Doch wehe, ein ICE meldet mal einen Türschaden.
German Gruppendrang
Keine Frage: Die Deutschen stehen auf Stau. Ständen sie sonst ständig drin? Es gibt sogar Deutsche, die eigens Umwege fahren, um sich in einen Stau einzureihen. Die Massenpsychologie macht dafür den „German Gruppendrang“ verantwortlich, also jene diffus irrationale Verhaltensweise, die den typical German dazu zwingt, an so unerträglichen Massenaufläufen wie Reichsparteitagen, verkaufsoffenen Sonntagen oder Public-Viewing-Events teilzunehmen. Oder wie es speziell in der DDR einst zu beobachten war, wo sich die Deutschen ständig Warteschlangen anschlossen, ohne zu wissen, warum. Genauso drängt es sie zum Stau.
Staupsychologen sprechen von einem geradezu „stalingradhaften Hang zur Schicksalsgemeinschaft“, der Deutsche einen Megastau als ein beglückendes Gruppenereignis erleben lässt. So erklärt sich übrigens auch, warum sie sich so schwer tun, bei Stau die sogenannte Rettungsgasse zu bilden: Deutsche Autofahrer haben schlichtweg kein Interesse daran, dass Rettungskräfte anrücken und den Grund eines Staus beseitigen. Sie stehen einfach zu gern drin.
Um so seltsamer mutet da an, was jetzt das Verkehrsministerium auf die deutschen Autobahnen zu bringen plant: die finanzielle Vergütung für staubedingte Verspätungen. Nach dem Vorbild der sogenannten Fahrgastrechte, nach denen Bahnreisende bei einer Verspätung ab 60 Minuten einen Teil ihrer Ticketkosten erstattet bekommen, können nun auch Autofahrer eine angemessene Entschädigung beantragen. Schon ab 20 Minuten verspäteter Ankunft werden ihnen 25 Prozent, ab 40 Minuten gar 50 Prozent ihrer letzten Tankrechnung erstattet. Und wer länger als eine Stunde im Stau steht, kann sich den gesamten Gegenwert seiner letzten Benzinrechnung auszahlen lassen.
„StauZahlen“ heißt die Erstattungsmaßnahme, die derzeit von einer ministeriellen Projektgruppe unter Leitung von Staatssekretär Rolf Tutenklothen (CSU) ausgeheckt wird. Eine Testphase auf einigen niedersächsischen Autobahnen ist bereits angelaufen. Hier kassieren ausgewählte Autofahrer schon fleißig „Stauprämie“, wie Oke Kaltmann, 33, aus Buchholz i.d. Nordheide das nennt. Der Vertriebler für Ohrenstöpsel muss beruflich nach Hamburg pendeln und steht praktisch täglich im Stau. „Ich kann gar nicht so viel tanken, wie ich erstattet bekomme,“ schwärmt er.
Pneu a pneu
Nach Abschluss der Testphase soll StauZahlen „pneu a pneu auf allen Bundesautobahnen greifen“, kündigt Projektleiter Tutenklothen an. Das Erstattungsverfahren ist denkbar einfach. Autofahrer können ihre Verspätungen über eine kostenlose Smartphone-App melden. Zu den Angaben über Stauzeiten und Staulängen müssen sie lediglich ein Handyfoto ihrer letzten Tankrechnung einreichen. Die ihnen zustehende Erstattung wird dann umgehend überwiesen. Kommt einer auf mehr Verspätungspunkte als er getankt hat, kann er sein Stauguthaben über die App auf einem Verspätungskonto parken – bis er wieder über frische Tankquittungen verfügt. Wer kein Smartphone oder Bankkonto besitzt, kann sich seine Stauentschädigungen bei der nächstgelegenen Autobahnmeisterei in bar auszahlen lassen.
„Die Finanzierung der Autofahrerrechte erfolgt über die nächste Fahrpreiserhöhung bei der Deutschen Bahn sowie über die Einnahmen aus den nicht eingelösten Sanifair-Bons an den deutschen Raststätten“, erklärt Staatssekretär Tutenklothen. Und via Twitter teilt er mit: „Kann mir gut vorstellen, dass auch die Erlöse der für 2019 angedachten Innenstadtmaut für Elektro- und Liegefahrradfahrer in den Pool für die Verspätungsprämien wandern.“ Sein Tweet wird allerdings kaum beachtet. Zum Vergleich: Im ICE fällt für ein paar Minuten das WLAN aus. Ohne Ende Tränenlach- und Wut-Smileys!
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