Die Wahrheit: Die Sorgen der Arschlöcher
Viel Verständnis für null Substanz plus Rassismus: Lustig wird es nicht, nehmen wir Vollpfosten jetzt und in Zukunft ernst.
Wir sind schuld. „Wir“, das sind Linke oder Liberale mit Abitur, Freischwimmer und schmalem Vorstrafenregister. Wir sind schuld an Trump und an Petry, an Le Pen, Kaczyński und Orbán. Das liest man dieser Tage oft, ob von Elisabeth Raether in der Zeit oder von Deborah Feldman in der taz: Unsere Überheblichkeit und unsere spöttische, im Grunde aber hilflose Arroganz gegenüber den – um hier einen allgemein verständlichen Arbeitsbegriff zu wählen – Arschlöchern habe erst zu diesem globalen Erstarken totalitärer Strukturen geführt.
Denn man müsse die Sorgen und Nöte dieser Arschlöcher unbedingt ernst nehmen. Und zwar auch noch die dümmsten und unbegründetsten. Die besonders. Wir sollen auf die gesellschaftlich Abgehängten zugehen, die wirklichen wie die eingebildeten, sie fürsorglich bei der Hand nehmen und zart ans Licht der Erkenntnis führen. Das ist die Verantwortung, die wir als Privilegierte haben.
Schon wenn die Angsthasen und Sorgenkaninchen mit für uns simplen Begriffen wie LGBTQIAPAOPEG (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, Queer, Intersex, Asexual, Plus, All, Other, Possibly, Existing, Groups) konfrontiert werden, entwickeln sie eine ganz dolle Wut und auch furchtbar schlimme Angst. Weil die Vollpfosten sich nicht so viele Buchstaben merken können, würde nun wieder die bürgerliche Arroganz behaupten. Vermeiden wir jedoch den alten Fehler und nehmen stattdessen die Ängste der Hirnverbrannten ernst, erblicken wir nur Homophobie und Furcht vor jeder Form von Veränderung, ob sie die Trottel nun groß betrifft oder nicht.
Sie ziehen trotzdem ihre Schlüsse daraus: „Müssen unsere Kinder jetzt alle zwangsschwul werden, weil wir nicht mehr ‚Weihnachtsmarkt‘ sagen dürfen?“, fragen nun die Schwachköpfe. Dass man etwas „nicht mehr sagen“ dürfe, ist eine ihrer Lieblingslegenden. „Darf ich jetzt etwa keiner Schlampe mehr auf den Arsch hauen?“, sorgen sich wiederum andere Sensibelchen um einen angemessenen Umgang zwischen den Geschlechtern. Und irgendeine rotgrüngenderversiffte Drecksau hat auch Pippi Langstrumpf umgeschrieben.
Im Verbund gegen die noch Schwächeren
Wir müssen die Ängste der Arschlöcher ernst nehmen, die so groß sind, dass sie sich nicht mehr gegen die Mächtigen verbünden können, die ohnehin dasselbe gewählt haben, sondern nur gegen die noch Schwächeren, die Außenseiter und allenfalls noch gegen arrogante Intellektuelle. Diese hochnäsigen Besserwisser sind es, die einen echten sozialen Protest von unten gegen oben verhindern. Im Rassismus, diesem hehren Aufschrei der gequälten Seelen armer und reicher weißer Menschen, liegt nun zwangsläufig der letzte Ausweg, den ihnen die Klugscheißer gelassen haben.
Am 25.11.2016 feiern wir im Heimathafen Neukölln in Berlin – Seien Sie dabei.
„Wertvolle Stimmen“, „Denkzettel“, „Wachmacher“ sind das in den Augen der Faschoflüsterer vom Verantwortungsfeuilleton. Auch müssten wir endlich begreifen, dass natürlich dort die Furcht vor dem Fremden am größten ist, wo das einzige entfernt ausländerähnliche Wesen ein einsamer Dönermann ist, der aus Selbstschutz so überangepasst agiert, dass man ihn fast schon selber für einen Nazi halten möchte.
Auch das ist unsere Schuld. Warum haben wir uns über die Idioten lustig gemacht? Wieso sind wir im Minirock in diese üble Bar gegangen? Alles ist unsere Schuld. Hätten wir nur den Arschlöchern zugehört und uns auf sie eingelassen! Folgerichtig machen wir uns auf die Suche nach einem solchen, um Wiedergutmachung an ihm zu betreiben.
Und da sitzt schon eines. Mit einem Bier. An einer Bushaltestelle. Was für ein aus Überheblichkeit geborenes Klischee!
„Heil Trump“, piepst der kapitale Hornochse. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“ Och, goldig! Wie der piepst. Von den Argumenten mal ganz abgesehen, fällt es schon schwer, so ein Gepiepse ernst zu nehmen. Aber gut. „Die Ängste ernst nehmen, die Ängste ernst nehmen, die Ängste ernst nehmen.“ Das ist unser verdammtes Mantra. Wir setzen uns neben das Rindvieh, schenken ihm ein Lächeln und streicheln ihm über den Unterarm. Es soll Vertrauen fassen. Schließlich hat es schon Sorgen und Ängste genug. Da soll es nicht auch noch vor uns Angst haben.
Es gut meinen
„Willst du einen Negerkuss?“, fragen wir, um gleich mal auf zwei Ebenen Zutrauen aufzubauen. Wir reichen ihm einen. „Ab heute wollen wir deine Ängste ernst nehmen.“ Behutsam betten wir den Spinner auf die Haltestellensitze wie auf eine Therapeutencouch. „Erzähl uns deine Ängste und Sorgen“, fordern wir ihn mit warmer Stimme auf. „Vielleicht auch deine Träume und deine Wünsche.“
„Kein so’n LTG-Blabla mit linksdrehender Volksverschwulung, die Chemtrails mit Aluraketen vom Himmel schrubben, Merkel muss ins Lager, Deutschland in den Grenzen des Pleistozäns, Ken Jebsen soll Reichskanzler werden, die Flüchtlinge dürfen nicht mehr in Turnhallen schlafen, die viel größer sind als die Wohnung, die uns das Amt bezahlt, deutsche Frauen sollen wieder Apfelkuchen backen, mit Sahne bitte, der Islam muss – schwupps – einfach verschwinden und, ach ja“, piepst er weiter, „wir möchten nicht mehr Arschlöcher genannt werden.“
„Ist okay.“ Wir wundern uns ein bisschen, schließlich ist er doch ein Arschloch. „Aber wie denn dann: Arschgesicht? Arschgeige? Nazi?“
„Nee!“ Er schüttelt den Kopf. „Auf keinen Fall. Nazi ist auch doof. Aber Besorgter Bürger wäre schön.“
Na gut, besorgter Bürger. Zuhören. Entspannen. Nachdenken. In unsere Mitte aufnehmen, das Gespräch suchen. Bei der Hand nehmen. Verstehen. Denn es sind eigentlich gute Menschen, auch wenn man es den rassistischen Pöblern nicht anmerkt, in die sich die oftmals stolzen Unterdrückten von einst verwandelt haben, die die elitären Schlauschwätzer zuweilen wirklich und wahrhaftig noch beschämen konnten.
Unsere eigenen Sorgen nehmen wir übrigens auch ernst. Sehr ernst sogar. Und deshalb nehmen wir den besorgten Bürger nicht nur bei der Hand, sondern ziehen ihn sanft, aber bestimmt hinter uns her. Er quengelt. Offenbar will er in eine andere Richtung. Nach rechts, vermuten wir mal.
Also packen wir energischer zu. Erstaunlich widerstandslos stolpert die Nulpe hinter uns her. Halten die sich denn gar nicht mehr fit in ihrer Hitlerjugend? Der Turnbeutelvergesser kann ja kaum den rechten Arm heben. Wir ziehen ihn zur S-Bahn, im Bahnhof die Treppe hoch und auf den Bahnsteig. Ein Zug fährt ein. Direkt vor dem springen wir auf die Gleise. Das Arschloch nehmen wir fürsorglich mit. Schließlich kennen wir unsere Verantwortung.
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