Die Wahrheit: Rote Socke mit Schuss

Oppositionsgeist, der beim unterbelichteten Publikum ankommt: Diether „Troubadix“ Dehm ist ein Schurke, der die Welt beherrschen will.

Besitzt ein Copyright auf Geschmacksentgleisungen: Diether Dehm. Bild: Philipp Schulze / dpa

Politisch interessierte Menschen wissen, dass man Parteien nicht wegen einzelner Personen wählen soll – genauso, wie man Parteien wegen einzelner Personen nicht nicht wählen sollte. Diether Dehm macht einem das nicht leicht. Denn der langjährige Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke ist das gammelfleischgewordene Beispiel für fast alles, was linke Protestbewegungen in den vergangenen vier Jahrzehnten unattraktiv, unappetitlich und unangenehm machen konnte.

In den an Geschmacksverbrechen nicht gerade armen ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahren verdingte Dehm sich als Liedermacher und vergällte jedem ästhetisch halbwegs begabten Menschen jedweden Demobesuch mit Polit-Gassenhauern wie „Aufsteh’n“, „Was wollen wir trinken (7 Tage lang)“ und „Das weiche Wasser bricht den Stein“, die er allesamt für die holländische Terrorgruppe Bots verfasste. Er dichtete für Heinz Rudolf Kunze, Zupfgeigenhansel und Geier Sturzflug; sein größter Hit war die für Klaus Lage geschriebene Spießerfantasie altgewordener Pennäler „1000 und 1 Nacht“, in Klammern: Zoom!

Doch Dehm besitzt nicht nur das Copyright auf unzählige Geschmacksentgleisungen musikalischer Art, sondern auch auf politische: Vor der Wahl zum Bundespräsidenten 2010 verglich er die Entscheidung zwischen Wulff und Gauck mit jener zwischen Hitler und Stalin; die Zeit-Journalistin Elisabeth Niejahr fragte er im Vier-Augen-Gespräch – Brüderle im Geiste –, was der Unterschied zwischen Onanie und Geschlechtsverkehr sei.

Gegenüber dem russischen Auslandssender The Voice of Russia wähnte er Teile der deutschen Medien kürzlich in den Händen US-amerikanischer Geheimdienste. Und mit Geheimdiensten kennt sich Dehm aus: Die Stasi führte ihn jahrelang als IM „Dieter“ und „Willy“ in ihren Akten; als Manager Wolf Biermanns soll er über den Ausgebürgerten noch nach dessen Übersiedlung berichtet haben.

Als altgedienter Marxist ist Dehm natürlich Dialektik-Profi: Kommunist und Unternehmer, Kritiker der Mainstreammedien und Gesellschafter des privaten Dudelfunks FFH, Mitglied im Bund der Verfolgten des Naziregimes und manischer Israelkritiker. Wobei es Antisemitismus in Deutschland zum Glück nicht gibt, denn: „Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben“– so jedenfalls Dehms höchst eigenwillige Definition. Wo kämen wir schließlich hin, wenn jetzt auch noch die nicht toten Juden Ansprüche stellten? Eine Logik, nach der auch Ausländerfeindlichkeit erst bei der Ermordung fremd aussehender Menschen beginnt und Sexismus bei einer Vergewaltigung.

Wo eine Bühne ist, da ist auch Publikum!

Nur folgerichtig, dass der Barde, dessen Geltungsbedürfnis die Körbchengröße seiner Initialen hat, neuerdings auch beim wöchentlichen Stelldichein der Politaktivisten mit amtlichem Sockenschuss mitmischt: den neuen Montagsdemos für den Frieden. Denn wo eine Bühne ist, da ist auch Publikum! Verschwörungstheoretiker, Obskuranten, Reichsdeutsche und Esoterikspinner – für Dehm kein Problem, vielmehr das ideale Auditorium für seine Politfolklore.

Wie alle Berufsjugendlichen trägt der diplomierte Sonderpädagoge seine überkommenen Überzeugungen wie eine alte, abgegriffene Lederjacke auf, in der Hoffnung, dies halte ihn jung. Dehm würde einem noch eine Militärparade als Friedensdemo verkaufen, solange es gegen Amerika geht.

Seinen Auftritt vor dem Brandenburger Tor beginnt er mit Brechts „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“, die Dehm gerne in Stellung bringt, wenn es gilt, sich gegen Antisemitismusvorwürfe zu schützen. Es folgen der Bots-Heuler vom „Weichen Wasser“, eine eigene Übersetzung des Lagerfeuerklassikers „Bella Ciao“ sowie das für Klaus Lage verfasste und von Dehm als Nummer-eins-Hit angekündigte „Monopoli“, das es tatsächlich zwar nur auf Platz 47 der Single-Charts schaffte. Geschenkt – man kann sich schließlich nicht jeden Nummer-47-Hit merken.

Wichtiger ist sowieso die politische Botschaft, und da kommt Dehm zu der überraschenden, mutigen und vermutlich bereits im Kindergarten gewonnenen Erkenntnis, dass Krieg „immer irgendwie scheiße“ sei. Oppositionsgeist, der beim politisch unterbelichteten Publikum ankommt.

Und so fragt man sich schlussendlich nur, wie es ausgerechnet eine intellektuelle Flachzange wie Dehm zum europapolitischen und mittelstandspolitischen Sprecher seiner Fraktion, zum Mitglied im Bundesvorstand der Partei sowie zum Schatzmeister der Europäischen Linken bringen konnte? Wollten ihn die Genossen mittels Beschäftigungstherapie und Mandatshuberei vom Verfassen neuer Songs abhalten? Das wäre doch glatt ein Grund, seine Partei zu wählen.

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