Die Wahrheit: Forcierte Lügen
Wenn es keinen Gott gibt, kann es auch keine Gotteskrieger geben: Warum man Islamisten nicht mehr Islamisten nennen sollte.
![](https://taz.de/picture/93881/14/Islamisten.jpg)
Krieg vernebelt die Sinne und trübt das Sprachvermögen. Der Krieg ist die hohe Zeit der Phrasen. Was insbesondere der dümmste aller Gemeinplätze zeigt, der pünktlich zu jedem Kriegsbeginn auftaucht: „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges.“ Im Krieg wird am meisten gelogen, heißt es. Tatsächlich aber wird nicht nur im Krieg gelogen. Bereits in der Zeit davor gibt es keine zwingende Wahrheit. Schließlich ist das wesentliche Mittel der Politik die Lüge. Und der Krieg ist nur die Fortsetzung der Politik mit erweiterten Mitteln. Krieg ist die Zeit der forcierten Lüge.
Kürzlich bezeichnete die Süddeutsche Zeitung die Fanatiker des selbsternannten „Islamischen Staats in Irak und Syrien“ (ISIS) als „Pol-Pot-Islamisten“. So wie in den siebziger Jahren die Roten Khmer unter Pol Pot Kambodscha mit ihrer radikalen Ideologie in eine gesellschaftliche Steinzeit befördern wollten und dabei Millionen Menschen töteten, so würden nun die ebenfalls in schwarze Kleidung gewandeten ISIS-Kämpfer einen „neuen Bildersturm“ auslösen, meinte die SZ-Korrespondentin Sonja Zekri und ging nach dem bewährten journalistischen Grundsatz vor, dass man etwas Neues mit alten Bildern erklären muss, um dem Leser ein Phänomen verständlich zu machen. Ähnlich verfuhr kurz darauf der Schriftsteller Navid Kermani, als er in der Berliner Zeitung vor einer „Pol-Pot-Version des Islam“ warnte.
Längst haben sich die gängigen Bezeichnungen abgenutzt, weil sie erstarrt sind. So agierte der „Terrorist“ früher als Einzeltäter oder trat in kleinen Gruppen auf. Doch spätestens seit dem Elftenseptember sind „Terroristen“ allgegenwärtig. Kürzlich wurde bekannt, dass die USA Hunderttausende Personen auf einer „Terrorliste“ führen. Der amerikanischen Terrorpanik ist es geschuldet, dass unzählige Personen inzwischen „Terroristen“ sind oder zumindest terrorverdächtig. In dieser massenhaften Übertreibung verliert „der Terrorist“ sein Alleinstellungsmerkmal.
Mehr denn je sind „Terroristen“ unterwegs, neuerdings ergänzt um das Wort „Miliz“, das die Asymmetrie des Krieges zwischen Staaten und nichtstaatlichen Organisationen widerspiegeln soll, aber auch den sprachlichen Beigeschmack hat, dass da einer am Krieg beteiligt sei, der normalerweise gar nicht mittun dürfe. Ist Krieg nicht etwas für Nationen und Armeen? Was wollen dann diese Amateure dabei?
Kein Gott, keine Gotteskrieger
In der Ukraine treiben nach Meinung des Westens „prorussische Separatisten“ ihr Unwesen, während für die russischen Medien „Volksmilizen“ ihre „neurussische Heimat“ gegen eine „faschistische Clique“ verteidigen. Sich vom Volkskörper separieren – das mögen gerade die Deutschen nicht, während Volksgenossen in Russland immer gut ankommen. Der Neo-Imperator Wladimir Putin handelt schließlich stets im Sinne des Volkes, das dann allerdings wie in allen Kriegen am Ende die Rechnung zahlen muss. Aber klug, wie er ist, hat Putin seine völkerrechtswidrige Annexion eines fremden Staatsgebietes sprachlich vorbildlich vorbereitet. Und im Propagandakrieg ist jede Lüge erlaubt.
So verkündete nach dem vorerst letzten Gazakrieg, während die israelische Armee abrückte, ein Sprecher der Hamas im internationalen Fernsehen, dass „Israel als Verlierer vom Schlachtfeld“ ziehe. Hinter ihm waren Bilder eines völlig zerstörten Landstrichs zu sehen, in dem es keine Gewinner oder Verlierer mehr gab – erst recht nicht eine siegreiche Hamas. Diese Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn lässt die Übertreibungen entstehen, die den Krieg besonders in Arabien prägen. Und längst haben sie sich in der vermeintlich objektiven Nachrichtensprache westlicher Medien eingenistet.
Selbst wenn sich die ISIS-Soldaten, die auf ihren schwarzen Fahnen buchstäblich die Worte des Koran vor sich hertragen, namentlich auf den Islam berufen, haben sie mit dem Islam so wenig zu tun wie die Roten Khmer mit dem Marxismus eines bärtigen Herrn aus Trier. Im Namen eines Gottes einen Krieg zu führen, ist unmöglich. Denn es gibt keinen Gott und erst recht keinen Gott, für den ein Krieg geführt werden kann. Deshalb kann es auch keine „Gotteskrieger“ geben, wie es immer wieder in den Medien heißt. Wer die Soldateska der ISIS derart in höhere Sphären befördert, macht sich mit ihr gemein und tappt in ihre Falle. Denn es geht den Fanatikern einzig und allein um Macht, vor allem die Macht der (sprachlichen) Bilder. Die spirituelle Note ist nichts als Beiwerk.
Allein deshalb sollte man sie auch nicht „Islamisten“ nennen. Umgekehrt wäre es schon sehr merkwürdig, wenn man die im Irak kämpfenden amerikanischen Söldner als „Christisten“ bezeichnen würde. Wobei diese Kräfte mit Dollar-Noten bezahlt werden, auf denen das Motto „In God we trust“ prangt.
Soldaten sind Mörder
Mit Worten kann man keine Kriege gewinnen. Überlegungen zur Sprache in Kriegszeiten scheinen lediglich akademischer Natur zu sein. Um gewalttätige Mörder zu besiegen, braucht es noch gewalttätigere Mörder oder brutalere Waffen. Und doch kann Sprache einen anderen Beitrag leisten.
So könnte man zum Beispiel verhindern, dass deutsche Jugendliche in den Religionskrieg ziehen, indem man ihnen vermittelt, dass das von der Popkultur geprägte Auftreten der sogenannten Islamisten nichts als Lüge ist. Dass die langhaarigen, bärtigen Krieger allenfalls die verbrauchte Orient-Sehnsucht der Abendländler bedienen. Dass ein Krieg kein Karl-May-Festspiel ist, sondern ein von Versagern betriebenes schmutziges Geschäft.
Wer den ehrbaren Beruf des Pizzabäckers an den Nagel hängt, um ein Selbstmordattentat zu begehen, ist keine Null, weil er Pizzabäcker gelernt hat, wie es mit leicht hämischem Unterton in westlichen Medien suggeriert wird. Er ist ein Versager, weil er zum Massenmörder wurde und sich im Namen einer Religion für politische oder strategische Interessen benutzen ließ.
Dringend notwendig aber ist es, die sich selbst übertreibende Rhetorik des Krieges zu durchbrechen. Steigerungsformen müssen heruntergeregelt werden, Bilder abgerüstet. Man muss sich aus dem Wortfeld des Krieges lösen – zum Beispiel, indem man ein zivilgesellschaftliches Vokabular verwendet. Warum nicht die Fanatiker der ISIS klar und deutlich als „Mörder“ bezeichnen? Sie sind keine „Terroristen“ oder „Gotteskrieger“. Sie sind Soldaten. Und Soldaten sind Mörder, um das bekannte Wort Tucholskys aufzugreifen. Tucholskys Leistung bestand darin, dass er den Krieg seiner Legitimation entkleidete. Der Soldat lernt nichts als das Töten, und auch wenn für ihn der Krieg mit Werten wie Ehre und Ruhm verbunden ist, wird er nichts anderes tun als ein gewöhnlicher Mörder: Menschen töten.
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