Die Waffe des Amokläufers: Zugang im Dunkeln
Der Münchner Amokläufer nutzte eine Glock-Pistole, die er im Darknet kaufte. Die Regierung prüft nun strengere Waffengesetze.
Noch zwei weitere Stunden wird der junge Mann durch die Gegend irren, dann erschießt er sich vor eintreffenden Polizisten. Die Beamten finden neben ihm die Pistole, eine Glock-17, neun Millimeter. In seinem Rucksack liegen noch 300 Schuss Munition.
Es ist eine der zentralen Fragen: Wie kommt ein 18-Jähriger an eine Schusswaffe und so viel Munition? Hätte man das verhindern können?
Die Seriennummer der Glock war herausgefeilt. Inzwischen aber stellten die Ermittler fest: Es war eine reaktivierte Theaterwaffe, 2014 zugelassen.
Die Glock-17 ist eine weit verbreitete Waffe, Polizisten vieler Länder nutzen sie im Dienst. Pikant: Auch der Erfurter Schulattentäter von 2002 schoss mit einer Glock-17. Wusste der Täter davon? Laut Polizei hatte er sich intensiv mit früheren Amokläufen befasst.
Erworben im Netz
Laut bayerischem LKA erwarb er die Waffe über das Darknet. Die Ermittler fanden entsprechende Chatnachrichten. Preis und genaue Vertriebswege seien noch unbekannt, hieß es am Sonntag. Die Waffe dürfte auf dem Onlineschwarzmarkt deutlich über 1.000 Euro gekostet haben – viel Geld für einen Jugendlichen, der sich laut Ermittlern nur mit Zeitungsaustragen etwas dazuverdiente.
Das Darknet stellt die Ermittler schon länger vor Probleme. „Der illegale Handel mit Waffen findet zunehmend auch im Internet statt“, sagte am Sonntag eine Sprecherin des Bundeskriminalamts. In einem BKA-Lagebild heißt es, sowohl die Anonymität als auch die Erreichbarkeit, „einfach und ohne tiefergehende Computerkenntnisse“, mache das Darknet bei Kriminellen so beliebt. Auch Bayerns LKA-Chef Robert Heimberger sprach von schwierigen Ermittlungen. Das Darknet sei „ein Fass ohne Boden“.
Auch das Problem der reaktivierten Waffen ist nicht neu. Sogenannte Dekorationswaffen sind in Deutschland und vielen anderen Ländern erlaubnisfrei erhältlich – Pistolen oder Gewehre, die entschärft wurden und als Sammlerware angeboten werden.
Im Internet allerdings kursieren Anleitungen, wie sich viele dieser Waffen relativ leicht wieder reaktivieren lassen. Auch die Attentäter auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris hatte solche umgebauten Dekowaffen verwendet.
Diskussion über Waffengesetze
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte am Sonntag, es sei nach München „sehr sorgfältig“ zu prüfen, ob es Handlungsbedarf bei den Waffengesetzen gebe. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) forderte bereits eine Verschärfung. Ein psychisch kranker Jugendlicher dürfe nicht an Schusswaffen gelangen, sagte er der Funke-Gruppe. Es müsse alles getan werden, um „den Zugang zu tödlichen Waffen zu begrenzen und streng zu kontrollieren“.
Bis München sah die Bundesregierung in diesem Feld indes keinen Handlungsbedarf. Stets verwies sie auf die bereits „strengen Gesetze“. Erst im Juni hatten die Grünen die Regierung in einem Bundestagsantrag aufgefordert, die Waffengesetze zu verschärfen – ohne Folgen.
Die EU-Kommission hatte bereits nach den Paris-Attentaten einen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Waffenerlaubnisse sollen künftig erst nach medizinischer Untersuchung erteilt, Waffenscheine befristet und auch unbrauchbar gemachte Waffen in nationale Waffenregister aufgenommen werden.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Sonntag, Deutschland werde sich „konstruktiv“ an der Arbeit an der EU-Richtlinie beteiligen. Alles Weitere werde man sehen, wenn die Faktenlage in München klar sei.
Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic fordert bereits klare Schritte. „Das deutsche Waffenrecht ist zu lasch. Es ist immer noch zu einfach, an Waffen zu kommen.“ Mihalic plädierte deshalb erneut für eine Gesetzesverschärfung. „Der Umbau von Deko-Waffen muss verhindert werden. Auch der Zugang zu illegalen Waffen ist ein großes Problem.“
Schätzungen gehen von bis zu 20 Millionen illegalen Waffen in Deutschland aus. Nach aktuellsten offiziellen Zahlen beschlagnahmte die Polizei im Jahr 2014 bei Straftaten 443 Waffen. Nur fünf Prozent davon wurden von den Tätern legal gehalten – der Rest war illegal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt