Queerer Maler Navot Miller: Ist das dieser Künstler von Instagram?
Mit seiner „New Queer Intimists“-Malerei begeistert der im Westjordanland aufgewachsene Navot Miller das Internet. Was macht seinen Reiz aus?
Müssen Künstler gute Verführer sein? Bevor ich eine von Navot Millers pinkglühenden Malereien in echt gesehen hatte, strahlten sie mir bereits auf Instagram entgegen. Ohne dem schönen Mann Mitte 30 jemals begegnet zu sein, sah ich ihn schon auf Fotos und Videos, die Galeristen, PRs und Freunde gepostet hatten.
Ich sah seine nicht ganz so jüdisch-orthodoxen, blondgefärbten Schläfenlocken und die markante Brille mit dem dicken Rahmen. Navot Miller ist eine schillernde Figur, stellte ich fest, und fragte mich dabei: Müssen Gegenwartskünstler in Berlin genauso verführerisch sein, wie Influencer auf Instagram? Ist Navot Millers bunte Kunst Instagram-Kunst?
Das erste Mal fragte ich mich das im September 2023. Navot bewarb gerade seine Wandmalerei „Lago di Homo“ im C/O Berlin mit einem lässigen Social-Media-Trailer. Durch meinen Newsfeed kursierten Aufnahmen von ihm beim Malen, von halbnackten Männerkörpern am Comersee, und darübergelegt, der Sound einer Sprachnachricht, in der Navot in melancholischem Ton mit einem unbekannten Adressaten flirtet.
Beim Anschauen des Trailers hatte ich das Gefühl, dass in diesem Video, in Navots suggestiv flüsternder Stimme etwas lag, das mich anschrie: Der Schein trügt! Achtung, gleich passiert die Katastrophe! Ein Badeunfall? Der Break-Up nach der Sommerliebe? Ein Nuklearkrieg? Nichts davon passierte. Kurz danach, am 7. Oktober 2023, überfiel die Hamas Israel: die echte Katastrophe.
Navot kam zum Studium nach Berlin
2013 war Navot von dort nach Berlin gekommen, um Architektur zu studieren – und um endlich grenzenlos schwul sein zu können, anders als in seinem ultrareligiösen Heimatdorf im Westjordanland. Gut eine Dekade lang hatte Navot den Berlin-Traum eines queeren Expats gelebt.
Er wohnte im Kunsthaus KuLe in der Auguststraße, experimentierte an der Kunsthochschule Weißensee mit neuen Medien und im Möbel-Olfe am Kotti mit den Männern. Dann, vor kurzem, habe er Berlin endgültig verlassen, wie er im Gespräch sagt. Seit dem 7. Oktober sei ihm klar gewesen: „the good days are over.“
Seine aktuelle Ausstellung findet trotzdem in Berlin statt. Bei der Galerie Dittrich & Schlechtriem. Für die hat Navot wieder mal einen seiner Instagram-Trailer erstellt. Die Ausstellung trägt den symptomatischen Titel „Paradise“.
Nach Marcel Proust und seinem verlorenen Paradies muss ich Navot erst gar nicht fragen, meinem effekthascherischen Versuch kommt er zuvor: Ja, in der Ausstellung gehe es auch um Verlust – um die good days, die er hier in Berlin als schwuler Jude vor dem 7. Oktober erlebt habe. Dann fügt er hinzu: „Nur werde ich nicht gern in Schubladen gesteckt.“ Seine Kunst soll mehr sein als ein Identitätskonflikt in bunten Bildern. Und? Ist sie das?
Farben und Perspektiven
Bunt sind seine großformatigen Bilder auf jeden Fall. Fast immer malt Navot, der sich selbst gar nicht als Maler sieht, in den vier Grundfarben Rot, Gelb, Grün und Blau – plus Pink. Sein Farbspiel wirkt kindlich und naiv, Körper werden darin plötzlich lila und schlaksig, Perspektiven flach, wie bei den Fauvisten. Einen Identitätskonflikt kann ich auf den ersten Blick nicht finden.
Allgemein ist Navots Kunst eher konfliktscheu, dafür ziemlich immersiv. Oft erstrecken sich seine geometrischen Farbornamente über den Rand der Bilder hinaus, füllen ganze Ausstellungswände und ziehen einen durch die verlängerten Perspektiven in die Bildräume rein. Seine hypnotisierende Farbpalette kopiert Navot teilweise von den Color Codes poppiger Kinderspielzeuge.
Er verwendet also einen Marketingtrick, der nicht nur die Aufmerksamkeit von Kindern affektvoll frisst. Ich stoße wieder auf die Anfangsfrage: Ist Navot Miller ein Instagram-Künstler? Wie ein Influencer wirkt er zumindest in unserem Videocall.
Der Künstler als Influencer
Nach seiner Ausstellungseröffnung hat sich Navot zur Erholung an die spanische Costa Brava zurückgezogen, baut dort mit anderen Queers ein altes Castel zum Retreat um. Gekonnt agil bewegt er jetzt die Handykamera im Takt seiner Kopfbewegungen – die rosa und grünen Fresken hinter ihm verwischen zu einem Farbenmeer.

Mich, sein Publikum, spricht Navot klar und direkt an, setzt rhetorische Pausen ein, lässt seinen Blick dabei nachdenklich durchs Off streichen, um dann umso hyperaktiver und unterhaltsamer zu seinen Erzählungen zurückzukehren: „Ich liebe Shows! Seit ich in New York lebe, hänge ich nur noch mit Leuten vom Broadway ab.“
Es macht Sinn, dass Navot das sagt. Die ganze Idee dieses Textes zielt darauf ab, dass er das sagt. Er muss das sagen. Und plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Idee mit ihm als virulentem Showman und der Instagram-Tauglichkeit seiner Kunst so passend ist.
Die Performance endet nie
Klar, Navot performt permanent. Seine Show bei Dittrich & Schlechtriem eröffnete er mit einer salon-artigen Enthüllung seiner Malereien, riss publikumswirksam seidene Duschvorhänge von den Bildern, die Online-Verwertung des Happenings war vorprogrammiert. Genauso bei seiner Ausstellung „A Pink Shul“ im Spätsommer 2024.
Vor sein omnipink koloriertes Synagogenpanorama installierte er eine Gebetbank zum Niederknien, tauchte den gesamten Galerieraum von Wannsee Contemporary in die titelgebende Farbe. Wieder gelang ihm damit der algorithmische Durchbruch, zumindest in Berliner Kunstkreisen.
Trotzdem ist Navot ein ernstzunehmender Mensch. Zum Beispiel, wenn es um die politischen Bedingungen seiner Existenz als schwuler Jude geht. Dann sagt er schmerzhaft realistisch: „Ich weiß nicht, wie lange ich noch Rechte haben werde.“ Auch Avi Feldman, der Wannsee Contemporary betreibt, betont, dass er sich mit niemandem so ehrlich streiten kann, wie mit Navot.

Und dann war da ja auch noch mein treffsicheres Gefühl, damals, bei Navots Social-Media-Trailer fürs C/O, als sich dieser mysteriöse Schatten über die fröhliche Inszenierung legte. Okay, ein letzter Blick auf Navots Kunst: Was soll die Show?
Bilder wie Momentaufnahmen
„Mir wird schnell langweilig,“ sagt Navot in unserem Videocall. „Und mich inspirieren alte Film-Trailer.“ Seine Bilder seien für ihn Momentaufnahmen seines Lebens, collagiert aus Fotos und Videos, die er mit seinem Handy macht. Eigentlich so, wie seine Instagram-Trailer. Navots Stars: Meistens enge Freunde und Liebhaber, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr Teil seines Lebens seien, so sagt er. Mit dem Malen wolle er sie zurückholen – das verlorene Paradies, you know?
Deshalb also die biedermeierlichen Interieurs, in denen sich ausgefickt schlappe Männer auf Betten zu schützenden Körperknäueln falten. Deshalb die Naturszenen mit Navots Freunden als arglosen Wandervögeln, die vor gewaltigen Gebirgskulissen abhängen, oder als irrlichternde Ayahuasca-Hippies am schäumenden Meer stehen.
Was genau aber Navots Innerlichkeitsparadiese bedroht, bleibt unsichtbar. Nur eines spürt man immer: die Perspektive des Danach. Von der aus schauen wir auf Navots gemalte Safe Spaces, wie in die Puppenzimmer einer Modellwelt, im Wissen, dass diese Welt eigentlich nicht mehr existiert. Ein schales Gefühl.
Darin ähnelt Navot David Hockney, dem Einsamkeitsmaler der Hollywood Hills. Auch Navots Figuren drehen sich introvertiert vom Betrachter weg – schließen ihn aus. Ihre Blicke gehen sehnsuchtsvoll über den Bildrand hinaus, weisen wage auf das, was uns noch unbekannt ist: die Zukunft. Beides sind Gesten aus dem Repertoire der Romantik.
Das offene, unsichere Niemandsland
Durch Edward Hopper und seine populären Amerika-Miniaturen sind sie auch zum beliebten Stilmittel filmischer Suggestion geworden und damit zur Inspiration für Navot. Verführung bedeutet hier nicht überwältigendes Immersionsspektakel, sondern enigmatische Verweigerung – das Ende der Show, nur wollen wir sie dann erst recht.
Als ich durch Navots Ausstellung „Paradise“ gehe, fallen mir sofort die am Boden liegenden Duschvorhänge auf. Auch hier ist die Show schon gelaufen. Auf den Bildern begegnen mir die nackten Männer, die Navot am Eröffnungsabend enthüllt hat; ein melodramatischer Soundtrack schallt über eine kleine Musikbox in den Ausstellungsraum und zerrt mich schonungslos in die gewünschte Gefühlslage von Navots weicher Bilderwelt. Billige Verführung, denke ich mir, Instagram-Kunst.
Dann bricht die Musik für einen Moment ab. Ich stehe vor einem der Gemälde, starre die entblößten Körper an und fühle mich plötzlich so, als wäre ich derjenige, der nackt vor ihnen steht – ein ertappter Voyeur. Rausgeworfen aus der wärmenden Immersion, entfremdet von der scheinbar heilen Welt der Bilder, finde ich auch in meine nicht mehr zurück.
Ich dissoziiere. Einen Augenblick lang stecke ich in dieser Zwischenwelt fest und checke erst jetzt: Das ist der Ort, an den Navots Verführungskunst mich eigentlich bringen will. In dieses offene, unsichere Niemandsland, das Kunstberlin mal war und das Instagram nie sein wird.
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