Die Ukraine nach dem EU-Gipfel: Langer Krieg, langer EU-Beitritt
Kyjiw hofft auf einen zügigen EU-Beitritt. Aus Polens neuer proeuropäischer Regierung kommt nun der Ruf nach 20 Jahren Sperre für ukrainische Waren.
Ebenfalls vergangene Woche wurde der Machtwechsel in Polen vollzogen und der neue proeuropäische Premier Donald Tusk vereidigt. Aus Polen kamen am Wochenende weniger solidarische Parolen für die Ukraine als vorher. Der neue stellvertretende Landwirtschaftsminister Michał Kołodziejczak, Vorsitzender der zu Tusks Koalition gehörenden AGROunia, sagte im polnischen Privatradio Rmf24, dass der polnische Agrar- und Verbrauchermarkt vor der Ukraine geschützt werden solle, 20 Jahre lang nach dem ukrainischen EU-Beitritt. „Wir müssen unser Interesse verteidigen, wie es Deutschland getan hat, als Polen der EU beigetreten ist. Damals (2004) war der Arbeitsmarkt für acht Jahre für Polen geschlossen“, fügte Kołodziejczak hinzu.
Tusk hat versprochen, sowohl die Frage des umstrittenen Getreideimporte aus der Ukraine nach Polen zu regeln als auch die Lkw-Blockaden an der polnisch-ukrainischen Grenze. Polen, Ungarn und die Slowakei hatten einseitig das Importverbot von ukrainischem Getreide nach dem 15. September verlängert.
Gegen Bratislava hat Kyjiw die rechtlichen Schritte dagegen gestoppt, nachdem die ukrainischen und slowakischen Regierungen eine Einigung ab Januar mit der Überwachung von Lizenzen finden konnten. In Polen blockieren aber laut Grenzpolizei noch über 2.000 Lkws die Grenze. Seit Anfang November dauern diese Lkw-Proteste gegen die Einfuhr ukrainischer Produkte in den polnischen Markt an.
Zwöltes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen
Als Drittes konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs vergangene Woche über das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland einigen, das erstmals ein Importverbot von russischen Diamanten beinhaltet. Dieses Paket hing am Freitag in Brüssel zunächst noch in der Schwebe, weil Österreich die Raiffeisen Bank International (RBI), die weiterhin Geschäfte in Russland tätigt, von der ukrainischen Liste der „Internationalen Sponsoren“, der sogenannten Schwarze Liste, streichen lassen wollte. Formell wird das Paket noch in den kommenden Tagen beschlossen – und Wien wird für die Sanktionen stimmen, denn seit Samstagabend steht die RBI nicht mehr auf der Liste, so die ukrainische Nationale Agentur für Korruptionsvorbeugung (Nask) auf ihrer Website. Die Ukraine brauchte Österreichs Zustimmung im Rat für die EU-Beitrittsgespräche.
Nicht beschlossen wurde vergangene Woche die Freigabe neuer EU-Finanzhilfen für Kyjiw in Höhe von 50 Milliarden Euro. Dies wurde auf einen EU-Sondergipfel ab Januar vertagt. Ob die Ukraine so viel Zeit noch hat, wird sich in den kommenden Winterwochen zeigen. „Die von unseren Partnern zur Verfügung gestellten Patriots, Nasams, Geparde und anderen Systeme funktionieren perfekt“, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in seiner Abendansprache am Samstag.
In der Nacht zum Sonntag hat die Ukraine eigenen Angaben zufolge russische Lenkraketen und Drohnen abgewehrt, auch dank ausländischer Flugabwehrsysteme. Raketen und Drohnen seien von der russisch besetzten Krim und dem besetzen Teil der südukrainischen Region Cherson abgefeuert worden.
Am Boden toben die heftigsten Kämpfe nördlich der ostukrainischen Stadt Awdijiwka, wo die russischen Streitkräfte im Oktober eine Offensive begannen, um die ukrainisch gehaltene Frontstadt bei Donezk einzukesseln. Ein Drohnenvideo, das der Nachrichtenagentur AP vorliegt, zeigt Hunderte von getöteten Soldaten, die meisten mit russischen Uniformen.
In russischen Grenzregionen meldet das russische Verteidigungsministerium derweil fast täglich ukrainische Drohnenangriffe. Und Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte am Sonntag eine verstärkte Militärpräsenz nahe der finnischen Grenze an. Seit April ist Finnland Nato-Mitglied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen