Die Schwierigkeit der Transidentität: Aus dem Leben eines trans Mannes

Transsein bringt auch heute noch Rollenklischees durcheinander, von Gender bis Klasse. Sachdienliche Abschweifungen zur eigenen Transition.

Beine in Lederhosen auf einer Bierbank

Einst lernte unser Autor die inneren Welten von cis Frauen kennen, heute die von cis Männern Foto: David Carreno Hansen/Plainpicture

Präambel

Über die Beschaffenheit des Menschen wurde schon immer spekuliert. Im Mittelalter galt: 30 Prozent Satan, 30 Prozent Sünde und der Rest Mechanik. Meine These ist: 80 Prozent Wasser und 20 Prozent Selbstüberschätzung. Doch wir alle lagen falsch: Die Menschheit unterteilt sich in Östrogen und Testosteron.

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Aber bei einigen Pechvögeln geschieht nun Folgendes: Zum falschen Zeitpunkt bekommt der männliche Embryo eine heftige Hormondusche Östrogene ab, der weibliche eine Überdosis Testosteron. Und so, liebe Leugner von trans Identitäten, entstehen die kleinen trans Babys. Eine tragische Mogelpackung: Außen steht etwas in Großdruck, was gar nicht drin ist.

Simon Borowiak, geb. 1964, war von 1986 bis 1992 Titanic-Redakteur und ist seitdem freier Schriftsteller (unter anderem „Pawlows Kinder“, „ALK – Fast ein medizinisches Sachbuch“). Borowiak musste von 2000 bis 2005 um die Behandlung seiner Transiden­tität kämpfen.

Aber ersparen wir uns hier die Entwicklung vom trans Baby zum verzweifelten Erwachsenen sowie die eskalierende Seelenpein, die spätestens mit der falschen Pubertät einsetzt. Da braucht es einfach Schmerzlinderung durch die sogenannte Geschlechtsangleichung.

Durchführung

Ältere trans Menschen werden oft gequält mit: „Warum kommst du erst jetzt damit? Kann ja nicht wirklich dringend gewesen sein!“ Oh ignorante Selbstherrlichkeit! Denn die Selbstverwirklichung ist eh nicht die Königsdisziplin des Menschen. Es gibt genug Menschen, die in ein von A bis Z „falsches“ Leben geraten. Menschen, die geborene Pädagogen wären, aber ihr Leben als Dosenstapler bei Penny fristen müssen. Oder Leute, die geborene Dosenstapler bei Penny wären, aber ihr Leben als Philosophieprofessor fristen dürfen.

Und warum sollten trans Menschen in den Disziplinen „Erkenntnis und Verwirklichung“ vor cis Menschen liegen? Denn: In meiner Generation (Ü50) waren Infos zum Thema kaum erhältlich. Wir wuchsen ja ohne Internet auf und konnten uns nicht flugs durch eine Million Einträge wühlen. Wir hatten ja praktisch nichts! Auch kompetente Fachleute und -bücher fehlten.

Was habe ich ab meiner traumatischen Pubertät Psychiatriebücher gewälzt! Auf der Suche nach dem amtlichen Steckbrief meiner diffusen Peiniger! Aber damals wurde Transsein in Halbsätzen abgehandelt, zwischen „sexuellen Störungen“ des Äh-bäh-Kalibers „Sodomie“ oder „Nekrophilie“. Und wer denkt schon „Das muss ich sein!“, wenn das im gleichen Absatz steht wie „Schafe ficken“ oder „Penetration von Menschen ohne Puls“?

Allein der Begriff Transsexualität! Ich kenne Hetero-, Homo-, Bi- und sogar Pädosexuelle, aber bis heute nicht einen Transsexuellen. Transsexuell: Was soll das sein? Außer garantiert bizarr und eklig? Auch keine Hilfe: Trans Menschen kamen damals nie im öffentlichen Bild vor. Filmisch wurden sie als Psychopathen (Lämmerschweigen!) verwurstet. Und als zuverlässige Lachnummer gab es den Zwei-Meter-Mann im Großgeblümten, der mit verrutschter Perücke in tiefem Bass eine Milch ordert. (Denn früher, liebe Kinder, haben die Menschen Transidenten mit Transvestiten verwechselt. Klingt peinlich, ist es auch. Eine peinliche Verwechslung von derartiger Peinlichkeit, als würde man auf einem Empfang den feinsinnigen Herrn Hamlet begrüßen mit: „Und Sie müssen Charlys Tante sein.“)

Zurück zum lustigen Leben als trans Mann, aber vorab einen Dämpfer: Der Sex wird ausgespart. Das angebliche Thema Nummer eins ist hier viertrangig. Erst die Identität, dann das Vergnügen! Zudem unterscheidet sich der Sexual des trans Menschen nicht von dem des cis Menschen. In jeder Kohorte ist es gleich verteilt. Ein weltweit konstanter Prozentsatz an Hetero, Homo, Bi, Pädo, Schaf. Ähnlich dem weltweiten Humanistenaufkommen und der Arschlocheinwaage.

Da sich der trans Sexual nicht von dem des cis Bürgers unterscheidet, gilt auch hier: Der Sex anderer Menschen geht andere Menschen nix an. Aber der verblödete Connex trans = Sexualität scheint zu suggerieren, mit der Info „trans“ sei meine Intimsphäre aufgehoben. Eine üblich unverschämte Frage lautet: „Sie als trans: Stehen Sie jetzt auf Frauen oder auf Männer?“ Hilft nur die Gegenfrage: „Was macht Ihr Schaf?“

So. Jetzt haben wir Ursprung und Peinigung von trans Menschen angerissen – alles „Diverse“ auslassend; ich kenne meine Grenzen: Vom „Diversen“ habe ich keinen blassen Schimmer. Mehrere Schimmer habe ich dagegen vom Leben nach der geglückten Transition. Oder – wie wir dosenstapelnden Penny-Professoren sagen – vom Status quo post bellum.

Holla, haben wir einen Spaß! Endlich wahrgenommen zu werden, wie es unserem inneren Schnabel entspricht! Schluss mit der ununterbrochenen narzisstischen Kränkung! Das Holla fängt schon mit der ersten Testosteron-Spritze an: Die Stimme wird tief, das Denken flach, das Verhalten asozial – (Ups. Jetzt bin ich in meinen Transmann-Text für die Emma geraten!).

Noch mal: Abgesehen von der extremen Erleichterung durch die körperliche Anpassung kann ich endlich tun, was mir bisher verwehrt wurde. Zum Beispiel zur Wahl bei „Deutschlands unbegehrtester Junggeselle“ antreten. Und: Transsein ist bewusstseinserweiternd. Weil ich jahrzehntelang im inner circle von Frauen lebte und mit diesem Geheimwissen nun im inner circle von Männern – da lernt man beiderlei interne Sozialgesetzgebung kennen und die jeweiligen Mätzchen zu durchschauen.

Man bekommt einen Röntgenblick auf den Geschlechterzirkus. Auch fit haltend: Es kommt vor, dass ich mit meinem Status quo ante und der jetzigen Außenwirkung inkongruent bin. Zum Beispiel verlor ich früher in Disputen gern die Geduld. Und war mein Gegenüber männlich und unsympathisch, beendete ich das Gespräch mit einem aggressiven: „Wollen wir vor die Tür?“

Das war schon ernst gemeint, aber ich konnte mich ja darauf verlassen, dass schlimmstenfalls gelacht wurde. Dieses alte Wutmuster ist mir jüngst noch mal unterlaufen; erst als sich mein schrankgroßes Gegenüber erhob, wurde mir klar, dass ich da etwas vergessen hatte.

Nachteil

Wenn man eine qualvolle, weil nicht artgerechte Pubertät aus Selbstschutz überspringen muss, fällt das übliche „Heranwachsen“ weg. Es fehlt die peer group, der Freundeskreis, der einen anlernte. Meiner Biografie jedenfalls fehlt der Abschnitt „Erwachsenwerden“. Ein klarer Nachteil im Umgang mit erwachsenen Erwachsenen, denn viele davon sind verlogen, berechnend und ausgebufft. Als nicht herangewachsener Erwachsener ist man da oft aufgeschmissen.

Neue Welt

Was so eine Transition beim Sozialstatus anrichtet! Trans Frauen berichten fassungslos, dass man ihnen in Konferenzen nun mehr ins Wort fällt. Oder sie bringen ihr Auto in die Werkstatt und werden umgehend verarscht („Das ist nicht die Handbremse, wir müssen den ganzen Motorblock neu lackieren, gnä’ Frau!“) Dagegen trans Männer! Sozialer Aufstieg pur! Wir werden nicht mehr unterbrochen und in der Werkstatt: mit dem Schlosser auf Augenhöhe!

Verwirrend wird es, wenn Gender- mit Transklischees kollidieren: Meiner ersten Gutachterin verdanke ich viel (nämlich vier Jahre Aufenthalt in einer Psychiatrie). Die angebliche Sexualfachfrau der angeblichen Uniklinik Aachen begutachtete mich ein Jahr lang kompetent ins Grab. (Echte Gutachter nannten das später „gravierende Kunstfehler“.)

Ich also ein Jahr lang bei ihr um mein Leben geredet – beweisen Sie mal einer misstrauischen Person, dass Sie versehentlich in den falschen Körper gerutscht sind! Sie bemängelte, ich säße nicht burschikos, sondern feminin: Beine übereinander geschlagen, feinschlägige Motorik. Ich so: „Alle mir bekannten cis Männer würden hier auch nicht rumsitzen wie Bierkutscher.“ Letztlich verweigerte sie mir die Behandlungserlaubnis.

Meine angeblich zu femininen Bewegungsabläufe behielt ich bei; nach all den verbogenen Jahren wollte ich nicht schon wieder irgendeine Art Rollenanpassung leisten. So bewegte ich mich auch wie gewohnt während eines Interviews; danach attestierte mir die angebliche Journalistin in einem Por­trät „kerlsmäßiges Gehabe“. Ja, was nu?

Schluss mit lustig

Trans gerät verschärft ins Fadenkreuz; Menschen mit der Humankompetenz eines Dixieklos betreiben eine für unsereins sehr gefährliche Stimmungsmache. Darum jetzt noch mal für alle Kretins und AfD-Störche: Es handelt sich bei Trans um einen angeborenen somatischen Patzer der Natur. Ist nur etwas komplizierter zu korrigieren als ein dreistöckiges Segelohr.

Möchte also jemand weiterhin Trans als Hype beleidigen oder in toto leugnen: Bitte bei mir melden. Wir müssen vor die Tür. Und diesmal geh ich mit raus.

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