Schau­spie­le­r*in­nen über deutsches TV: „Die Wirklichkeit ist schon weiter“

Was tut sich in Sachen Queerness im Fernsehen, ein Jahr nach #ActOut? Zwei Schau­spie­le­r*in­nen über Fortschritte – und was sich noch ändern muss.

Szene: Zwei Frauen knutschen bei schummrigem rötlichem Licht

Endlich: queere Geschichten im deutschen Fernsehen! (Hier: „Loving her“). Aber: ohne trans Figuren Foto: Marcus Glahn/ZDF

taz am wochenende: Oska Melina Borcherding, Martín Peñaloza Cecconi, mit der Intitiative ActOut vor einem Jahr kritisierten queere Schau­spie­le­r*in­nen unter anderem, dass ihnen in der Branche immer wieder vom Coming-out abgeraten werde. Wer sagt so etwas?

Oska Melina Borcherding: Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir das in der Branche nicht immer einer Berufskategorie zuschieben. Ich glaube, dass einfach eine Art Automatismus darüber herrscht. „Behalte es für dich, dann ist alles leichter.“ Ich habe das selbst oft erlebt – als wirklich wohlgemeinte Ratschläge. Viele würden jetzt vielleicht sagen, „das sind vor allem die Cas­te­r*in­nen und Agenturen“, ich möchte das aber, wie gesagt, denen allein nicht zuschieben. Ich spüre da eher insgesamt einen Vibe. „Es ist einfacher, wenn du dich nicht outest. Hol dir diese Schwierigkeiten nicht!“

Jahrgang 1993, Schauspieler, hat in Hannover studiert, in Berlin im Theater an der Parkaue gespielt und ist seit 2019 Mitglied des festen Casts in der TV-Serie „WAPO Berlin“ im Ersten.

Ist es denn einfacher?

Martín Peñaloza Cecconi: Ich kann mir vorstellen, dass es für das Draußen erst mal leichter ist. Aber ich muss sagen, ich will diese Freiheit nicht missen. Ich spiele sehr gerne andere Menschen – aber dann will ich in der Zeit, wo ich ich bin, wirklich ich sein. Die Frage ist natürlich auch: geoutet als was? Das eine ist die Geschlechtsidentität, das andere die sexuelle Orientierung.

Borcherding: Wir haben unterschiedliche Privilegien innerhalb der LGBTQIA+ Community. Als ich kapiert habe, dass ich trans bin, hat mich die Vorstellung, mich zu outen, lange in Panik versetzt. Ich dachte immer, das sei verbunden mit einem Berufsausstieg. Dass ich nie wieder als Schauspieler würde arbeiten können. Es hat mir wirklich Panikattacken gemacht. Ich habe aber mit der Zeit gemerkt, dass es einfach nicht möglich ist für mich, ungeoutet zu sein.

Ich bin eine Person, die zu 90 Prozent als weiblich gelesen wird. Ich fühle mich aber zu 90 Prozent als männlich. Da gibt es kein Drumherumkommen ums Outen, wenn ich als ich leben und glücklich sein will. Ich versuche jetzt öfter darauf aufmerksam zu machen, dass ich ein „Er“ bin, dass ich trans*­nicht­bi­när bin. Gleichzeitig macht das Angst: Was, wenn Leute jetzt denken, dass ich eine Diva bin? Was, wenn ich jetzt alles kompliziert mache? Und wenn plötzlich die Leute sich nicht mehr trauen, mit mir zu arbeiten, weil sie Angst haben, alles falsch zu machen?

Peñaloza Cecconi: Das sehen wir doch bei allen Diskriminierungsformen. Sobald eine marginalisierte Gruppe die Stimme erhebt, fühlen sich die Oppressoren beraubt und sagen: „Das macht jetzt aber alles sehr kompliziert!“

Im Süddeutsche Zeitung Magazin damals hat der Schauspieler Tucké Royale gesagt: „Ich hatte Angst, wenn ich mich oute, dass ich mein Rollenfach ändern muss.“ Was ist ein Rollenfach und warum ist das relevant?

Borcherding: Rein theoretisch kann ich zwar alles spielen, denn ich bin ausgebildet und ich persönlich finde es geil, mich zu verwandeln. Stattdessen aber wird typisiert – vor allem in der deutschen Film- und Fernsehbranche. Das ist dann das Rollenfach.

Als ich noch ungeoutet war, kam es häufiger vor, dass Leute meinten, es sei nicht so ganz klar, welche Frauenrollen ich spielen kann. Nach meinem Outing war ich dann wiederum nicht trans genug. „Also du siehst halt jetzt doch einfach aus wie eine Frau.“ Anderes Beispiel: Ich bin auch Grieche, aber dann heißt es: „Nee, du siehst nicht aus wie ein Grieche.“

Jahrgang 1999, Schauspieler*in, studierte in Graz und spielt jetzt beim Ensemble des Volkstheaters Wien.

Sie sagen „vor allem in der deutschen Film- und Fernsehbranche“. Wie ist es im Theater? Das Theater hat ja eine Crossdressing-Tradition. Gibt es da Unterschiede: zwischen Bühne und Kamera?

Peñaloza Cecconi: Ja, aber das kommt dann auf die Regie an. Vor Kurzem habe ich ein Buch gelesen, das ich sehr liebe und nur empfehlen kann: „Steine schmeißen“ von Sophia Fritz. Da kommen unterschiedlichste Identitäten und Orientierungen vor, sind einfach da. Das wird nicht groß aufgebauscht, nein, die leben einfach. Ich bin der Meinung, dass es mehr Repräsentation braucht und dass das etwas verändert in der Wahrnehmung, in der Realität. Momentan ist es so, dass das – nicht alles, aber vieles – die Wirklichkeit von vor zwanzig Jahren abbildet, oder die regressive Realität in den Köpfen weniger. Da ist die Wirklichkeit draußen auf den Straßen längst weiter.

Steht dahinter eine Angst, dass man das mir, dem Publikum, nicht zumuten kann?

Peñaloza Cecconi: Ja, aber meiner Meinung nach ist das ein bevormundender Gedanke.

185 Coming-Outs deutschsprachiger Schau­spie­le­r*in­nen druckte am 5. Februar 2021 das Süddeutsche Magazin – Coming-Outs als queer, schwul, lesbisch, bi, inter, nonbinär, trans. Die Aktion erregte viel Aufmerksamkeit in der Branche. Sie inspirierte außerdem Mit­ar­bei­te­r*in­nen der katholischen Kirche zu #OutinChurch.

Das ganze Gespräch mit Oska Melina Borcherding und Martín Peñaloza Cecconi können Sie sich ab sofort in unserem taz-Podcast „Couchreport“ anhören.

Borcherding: Es hat eine wahnsinnige Arroganz, zu behaupten: „Das verstehen die nicht.“ Das ist so ein Argument, das mich mittlerweile sauer macht. Vor allem, wenn es aus einem Raum voller homogener Leute kommt. Vor wem habt ihr jetzt Angst, gewisse Dinge zu zeigen, vor euch oder vor anderen?

Peñaloza Cecconi: Wenn die Kunst nicht den Absprung schafft, wer dann?

Borcherding: Wenn wir zum Ziel haben, etwas Authentisches wiederzugeben, dann dürfen wir nicht vergessen: Die Wirklichkeit ist überfordernd und komplex und vielschichtig. Das fehlt mir immer noch. Ich sehe ja viele Bemühungen im Film und Fernsehen, sich ein bisschen diverser zu gestalten. Aber Stoffe über trans Personen beispielsweise handeln fast immer nur von jungen Leuten.

Die Serien „Loving Her“, „All you Need“ und „Wir“ erzählen eigenständige schwule und lesbische Geschichten. In der neuen RTL-Familienserie „Friedmanns Vier“ kommt ein trans Kind vor. Ein Jahr nach ActOut, was hat sich aus Ihrer Sicht bewegt?

Borcherding: Ich möchte der Branche noch nicht zu viel vorwerfen, ein Jahr später ist nicht viel Zeit. Ich habe mich sehr über diese queeren Stoffe gefreut, über die lesbischen und schwulen Serien, die auch versucht haben, ein realistisches Bild von der Community zu zeichnen. Und war dann gleichzeitig ein bisschen traurig, dass trans und nichtbinäre Menschen vergessen wurden, die sich durchaus als lesbisch und schwul und als Teil dieser Communitys identifizieren.

Peñaloza Cecconi: Als Nächstes müssen wir schauen, in welche Ebenen diese Figuren vordringen. Eine Miniserie mit einer queeren Hauptrolle, okay – aber ich bin gespannt, ob wir auch mal Kinohauptrollen sehen werden.

Borcherding: Ich nehme durchaus wahr, dass viele Castings inzwischen explizit auch nach trans und nichtbinären Personen suchen. Oft von außerhalb Deutschlands, aber nicht nur. Also was ich an Veränderung wahrnehme in der Branche, ist auf jeden Fall ein Bewusstsein. Ich habe letztes Jahr aber zum Beispiel auch eine Sache erlebt, die ich bezeichnend fand. Für ein deutsches Format wurde händeringend nach einem trans Mann gesucht. Ich habe dann von drei verschiedenen cis Männern Anrufe bekommen: Sie hätten da diese Anfrage und sie wüssten nicht so recht, und – ob sie das jetzt dürften …?

Dürften sie?

Borcherding: Ich habe die klare Meinung, dass wir nicht an einem Punkt sind in der Geschichte, an dem trans Personen von cis Personen gespielt werden sollten. Ich weiß nicht, ob ich diese Meinung immer haben werde, momentan habe ich sie. Ich finde total schön, dass sich cis Kollegen und Kolleginnen inzwischen solidarisieren und sagen: „Das mache ich nicht mehr! Das habe ich jetzt begriffen, dass das für viele Menschen verletzend ist.“ Aber der traurige Ausgang dieser Geschichte ist, dass am Ende doch wieder ein cis Mann die Rolle gespielt hat. Das finde ich schon bitter.

Szene: Zwei Männer stehen sich in einem Hausflur dich gegenüber

Auch ein Fortschritt, aber wieder ohne trans Story: die schwule Serie „All you need“ Foto: Andrea Hansen/ARD

Peñaloza Cecconi: Wenn cis Personen trans Figuren spielen dürfen, aber nicht andersherum, dann haben wir ein Problem.

Borcherding: Ein Gegenargument, das häufig kommt, lautet ja: „Aber spielen ist doch Verwandlung! Dann sollten doch alle alles spielen!“ Es geht aber nicht darum, dass das Spielen verboten wird. Es geht darum, dass Spielen ein Privileg ist. Schauspielen war nie etwas – jetzt mal für Deutschland, Österreich, Schweiz gesprochen –, das immer alle machen durften. Nein, es gab ein paar Leute, die haben sich in alle anderen verwandelt; haben sich auch über bestimmte Gruppen lustig gemacht – und unser Bild über diese geprägt. „Aha, ihr wollt jetzt nur noch spielen, was ihr seid?“ Nein, es geht um ein Machtbewusstsein, um ein Bewusstsein an Teilhabe. Es geht darum, dass jede Person die Chance haben soll, zu spielen und besetzt zu werden.

Peñaloza Cecconi: Also ich hasse ja dieses ganze Kategorisieren. Bist du jetzt dies oder das, damit kann man mich jagen! Wenn mensch diese Kategorien aufmacht, dann nur als Zwischenschritt, um sie irgendwann hoffentlich wieder abzuschaffen. Aber es ist einfach gerade nicht so, dass wir auf einer friedlichen Insel leben, wo alle gleichberechtigt sind.

Borcherding: Leider auch nicht innerhalb der Community. Was im Zuge von ActOut viel vorkam, waren Reaktionen wie: „Ach, alle sind jetzt queer, aber sie vergessen die Frauen.“ Diese terf-Bewegung, also die „trans excluding radical feminists“ …

Feminist*innen, die glauben, dass die Fortschritte für trans Menschen zulasten von cis Frauen gehen …

Genau. Diese Bewegung erstarkt in Deutschland gerade leider. Nehmen wir den Angriff der Emma neulich gegen die trans Politikerin Tessa Ganserer. Ich finde diese Bewegung gefährlich und bedrohlich und wünsche mir, dass Feministinnen und Feministen ihre Standpunkte überprüfen. Dass sie gucken: „Kann es sein, dass ich manchmal trans-exklusiv bin? Kann es sein, dass ich manchmal kein guter Ally bin für trans Personen?“ Ich glaube, dass das etwas ist, in das man leicht reinrutschen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.