Die SPD nach der Bundestagswahl: Abkehr vom kategorischen Nein

Vertreter aller SPD-Flügel halten nun eine Zusammenarbeit mit der Union für möglich. Die Frage ist: Koalition oder Tolerierung?

Wahlplakate zeigen Angela Merkel und Martin Schulz

Er wollte sie ersetzen, wird er sie jetzt tolerieren? Foto: dpa

BERLIN taz | Die SPD löst sich von ihrer Fixierung auf Neuwahlen. Noch Anfang der Woche schien diese Position in Stein gemeißelt. Parteichef Martin Schulz hatte am Montag versichert, mit der Union keine Gespräche über politische Lösungen der Lage führen zu wollen. Diese Ansage gilt nicht mehr.

Auch SPD-Linke, die eine Wiederauflage der Große Koalition verhindern wollen, signalisieren neue Beweglichkeit . „Wir müssen offen sein. Wir sind nicht die FDP in Niedersachsen“, so der Bochumer SPD-Abgeordnete Axel Schäfer zur taz. Diese Positionierung ist aus der Erkenntnis geboren, dass man mit der eisernen Orientierung auf Neuwahlen scheitern wird. Denn die Anschlussfrage lautet: Hat die SPD nach Neuwahlen eine andere Machtoption als ein Bündnis mit der Union? Eher nein. Die Lage ist vertrackt – auch innerparteilich sortieren sich die Lager erst.

Einige Parteirechte streben bereits trotz aller Schwüre der Vergangenheit in die Regierung mit der Union zurück. Dazu gehört der SPD-Wirtschaftspolitiker Bernd Westphal und wohl auch der Chef der Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. In der Große Koalition habe die SPD viele Erfolge erzielt, so Westphal. Unionsfraktionschef Volker Kauder kommentierte bereits, dass „die Bewegung in der SPD“ bei der Union Hoffnung wecke.

Doch die Pro-GroKo-Gruppe ist in der SPD – noch – überschaubar. „Koalition gut, SPD tot, das geht nicht“, so Axel Schäfer. Die Chefin der Demokratischen Linken, Hilde Mattheis, ist überzeugt, dass „die Große Koalition auch in der Mitte der Partei unbeliebt ist“. In der Tat: Die Reserve gegenüber einem dritten Bündnis mit Merkel ist kein Spleen der Parteilinken. Viele GenossInnen wissen, dass die Rolle als Juniorpartner für die SPD zweimal katastrophal endete. „Wir haben die Pflicht zur Verantwortung, aber nicht zu Selbstentleibung“, so Axel Schäfer. Das bringt das Dilemma der Partei auf den Punkt.

Wie nervös die Lage ist, illustrierten am Donnerstag Gerüchte, denen zufolge Schulz entnervt von der wachsenden Kritik an seinem Neuwahlkurs mit seinem Rücktritt gedroht habe. Auch Unterstützer des harten Nein zur Große Koalition finden es falsch, dass Schulz nur Neuwahlen als einzigen Ausweg gelten ließ. Der Korrespondent des britischen Economist twitterte, dass der SPD-Chef nach dem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier am Donnerstagnachmittag zurücktreten werde. Das Willy-Brandt-Haus dementierte umgehend: Der Economist gehöre „nicht zu den besten Kennern der deutschen Sozialdemokratie“, so ein Sprecher von Schulz.

Allerdings gibt es nicht nur die Wahl zwischen Großer Koalition und Neuwahlen. In der Partei wächst die Anhängerschaft für die dritte Möglichkeit – die Tolerierung einer von der Union geführten Minderheitsregierung. Marco Bülow, der in Dortmund ein Direktmandat gewann, kann dieser Option einiges abgewinnen. „Damit würden wir deutlich machen, dass es uns nicht um Posten geht“, so der nordrhein-westfälische Parteilinke zur taz.

„Alles ist neu, alle sind überfordert“

Das Argument hat einiges für sich. Denn falls die SPD sich unter Mühen doch wieder für den Eintritt in eine Regierung Merkel bereit erklärt, würde sie sich damit den Vorwurf einhandeln, ihr fundamentales Nein am 24. September für ein paar Ministerämter geopfert zu haben.

Ein weiteres gewichtiges Argument gegen eine Große Koalition lautet, dass damit der viel beschworene Erneuerungsprozess der Partei auf die lange Bank geschoben wird. Das war jedenfalls in der Vergangenheit stets so. Wenn die Partei regiert, fokussiert sich vieles auf Ministerien und Fraktion – die Partei ist eher Anhängsel. Auch Schäfer und die Parteilinke Mattheis halten eine von der SPD gestützte Minderheitsregierung für eine Möglichkeit. Allerdings äußern sie sich weit vorsichtiger als Bülow.

Die SPD-Linke ist noch nicht so weit, offensiv zu fordern, dass die SPD der Union die Tolerierung als Modell vorschlagen soll. Doch derzeit ist alles im Fluss. „Alles ist neu, alle sind überfordert“, so Marco Bülow. Was gestern nur ein Gedankenexperiment war, kann morgen schon eine Option im politischen Spiel sein. Auch eine schwarze-grüne Minderheitsregierung kann in den Bereich des Möglichen rücken.

Bülow glaubt, dass der ­Widerstand gegen eine Minderheitsregierung bröckeln wird, falls die SPD standhaft bei ihrem Nein zu einer Große Koalition bleibt. Ein Argument gegen die Große ­Koalition ist für die SPD schlecht von der Hand zu weisen „Wir werden“, so Bülow, „als Juniorpartner noch schwächer werden.“

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