Die Politik des Academy Awards: Interessanter Beigeschmack

„Parasite“ räumt ab, „Litte Women“ geht fast leer aus: Die Oscarverleihung schwankt zwischen resignierter Routine und verhaltenem Aufbruch.

Schauspielerin Miky Lee freut sich über die Oscars für den Film "Parasite".

Freudige Reaktionen auf die vielen Preise für „Parasite“ bei den Academy Awards Foto: Mario Anzuoni/reuters

„Die Oscars haben sich wirklich verändert in 92 Jahren“, spottet Steve Martin, „damals gab es keinen einzigen schwarzen Nominierten. Und jetzt gibt es einen!“ Es ist nicht so, als sei der Academy ihr Problem nicht bewusst. Nichtweiße Amerikaner*innen standen bei der Verleihung Sonntagnacht im Dolby Theatre größtenteils als Performer*innen oder Laudator*innen auf der Bühne, so wie der Darsteller Utkarsh Ambudkar, der diesen Zustand mit Hilfe des HipHop-Produzenten Questlove in einem kongenialen Rap verarbeitete.

Der Eindruck, dass weibliche Nominierte in den „großen“ Kategorien wie „Beste Regie“ rar blieben, wurde durch den hohen Anteil von männlichen Charakteren auf der Leinwand – bei Kriegs- und Mafiadramen wie „1917“ und „The Irishman“ erwartbar – noch verstärkt.

An den mehrfach nominierten „Little Women“, Greta Gerwigs braver, immerhin ausgestellt emanzipatorischer Adaption des Buchklassikers von Louisa May Alcott, hatten sich viele Hoffnungen geknüpft. Er nahm am Ende nur eine einzige Trophäe (für das „Beste Kostümdesign“) mit – was trotz der zweifelsfreien Leistung der Preisträgerin Jaqueline Durran einen interessanten Beigeschmack hat.

Das passte gut zu Natalie Portmans subtil-glamouröser Kritik: Sie hatte sich die Namen verschmähter Regisseurinnen nonchalant auf den Saum ihres Capes sticken lassen.

Brad Pitt schoss in Richtung Trump

Ansonsten lief die bereits zweite moderationsfreie Verleihung mit resignierter Routine ab – Brad Pitt, der sichtlich gerührte „Beste Nebendarsteller“ für Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“, schoss in Richtung Trump: „45 Sekunden habe ich für die Dankesrede“, sagte er, „das sind 45 Sekunden mehr, als der Senat John Bolton diese Woche gab.“

Der „Beste Schauspieler“ Joaquin Phoenix (für „Joker“) mahnte mit ernsten, flammenden Worten einen gerechteren Umgang mit der Welt und all ihren Kreaturen an. Aber selbst Rapper Eminem verschluckte bei seiner Performance von „Lose yourself“ das „motherfucking“ vorausschauend lieber selbst.

Auch sonst musste man zwischen den Zeilen lesen, um die hinter den Kulissen schwelende Unzufriedenheit der Kulturindustrie mit der politischen Situation zu entziffern. Dass mit „American Factory“, ein Dokumentarfilm über einen chinesischen Autoglashersteller in Ohio, eine Produktion der Firma von Barack und Michelle Obama gewann, darf man durchaus als Kommentar der Academy in Richtung Weißes Haus werten.

Vier Oscars für ein sozialkritisches Drama

Neben den zu Recht prämierten Schauspielerinnen Renée Zellweger und Laura Dern für die beste Haupt- und Nebenrolle, und der erst dritten weiblichen Musik-Oscar-Gewinnerin in 87 Jahren, Hildur Guðnadóttir (für ihren spannungsreichen Streicherscore zu „Joker“), freute sich am Ende vor allem das Team um Regisseur Bong Joon-ho über die Anerkennung für den südkoreanischen Film „Parasite“, eine Tragikomödie über eine prekäre Familie, die sich in einer Reichenvilla einnistet.

Vier Preise erhielt „Parasite“. Neben den Oscars für den „Besten internationalen Film“, für das „Beste Originaldrehbuch“ und für die „Beste Regie“ gestanden die über 6.000 Academy-Mitlieder dem sozialkritischen Drama auch den Preis für den „Besten Film“ zu. Zum ersten Mal wurde zudem ein nichtenglischsprachiger Film derartig geehrt. In einem sich politisch immer mehr abschottenden Land könnte das ein Zeichen sein, dass sich vielleicht doch etwas ändert. Aber es dauert definitiv zu lange.

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