Die Linkspartei wird 15 Jahre alt: Nicht in Feierlaune

Die Linkspartei begeht ihren 15. Geburtstag. Vom Krisenparteitag Ende Juni in Erfurt erhofft man sich einen neuen Aufbruch.

Das Logo der Linken in einem Saal

Geburtstag in der größten Krise ihrer Geschichte: Die Linke Foto: Oliver Berg/dpa

BERLIN taz | Es ist ein Jubiläum, bei dem keine rechte Feststimmung aufkommen will. An diesem Donnerstag feiert die Linke ihren 15. Geburtstag, mitten in der größten Krise ihrer Geschichte. Von den großen Hoffnungen von einst ist nicht viel geblieben. Statt vereint die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik zum Tanzen zu bringen, droht sich die Partei in den Untergang zu streiten. Nach einer Abfolge von Wahlniederlagen wird sich auf dem Bundesparteitag Ende Juni wohl entscheiden, ob es für sie noch eine Zukunft gibt.

Katina Schubert war dabei, als sich auf dem Fusionsparteitag in Berlin am 16. Juni 2007 die ostdeutsch geprägte PDS mit der westdeutsch dominierten WASG zusammenschloss. „Ich durfte damals vom Arbeitspräsidium aus feststellen: ‚Hiermit ist die Partei Die Linke gegründet.‘“, erinnert sich die heute 60-jährige Berliner Landesvorsitzende gegenüber der taz. „Das war ein wichtiger Moment des Aufbruchs.“

Vor allem war es eine Versammlung mit viel Pathos. „Wir hätten vor der Geschichte versagt, wenn wir das nicht zustande bekommen hätten!“, rief Oskar Lafontaine aus, der zu einem der beiden Vorsitzenden gewählt wurde. In seiner Rede schlug er einen weiten Bogen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bis zu Willy Brandt, die er allesamt für die neugegründete Partei vereinnahmte.

Die Linkspartei stehe „in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung“, so Lafontaine damals. Sie habe einen „historischen Auftrag“: „Wir wollen mitwirken am Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, verkündete er unter tosendem Beifall.

Aufbruchstimmung übertünchte Konflikte

Die Rede von Lothar Bisky, dem anderen Gründungsvorsitzenden, war weniger kraftstrotzend. Zwar bekundete auch er selbstbewusst: „Wir sind angetreten, die politischen Kräfteverhältnisse hier im Land und in Europa zu verändern.“ Aber dem ostdeutschen Intellektuellen war die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, mit der Linke von jeher zu kämpfen haben, nur allzu bewusst.

„Ach, hätten wir Linken doch in der kategorialen Wüste der Besserwisserei ein Stück jener sinnlichen Vorstellungskraft schon zurückerobert, die für andere Menschen nachvollziehbar den Lebensgenuss vor den Besserwisserfrust stellt“, sagte Bisky nachdenklich. „Noch haben wir das nicht.“

Zur politischen Kultur in einer pluralen Partei gehöre „das Zuhören, den Andersdenkenden zu achten, gehört eine Kommunikationsfreude, die geistreich argumentiert und transparent bleibt“, mahnte er. „Eines brauchen wir in der neuen Partei bestimmt nicht: Unterstellungen und Denunziationen.“

Der weitsichtige Bisky und rauflustige Lafontaine, der auch der Bundestagsfraktion vorstand, prägten zusammen mit Co-Fraktionschef Gregor Gysi die erfolgreiche Anfangszeit der Linkspartei. Ihnen gelang es noch, zusammenzuhalten, was nur schwer zusammenzuhalten ist. Die Aufbruchsstimmung und Wahlerfolge der ersten Jahre übertünchten viele ungelöste Konflikte, die im Gründungsprozess ausgeblendet worden waren, weil es damals ein kollektives Bewusstsein gab, es nur gemeinsam schaffen zu können.

„Kein Recht, diese linke Partei zu verspielen“

Das schien sich auszuzahlen: Im Westen zog die Linkspartei in ein Landesparlament nach dem anderen ein, im Osten konnte sie an die Über-20-Prozent-Ergebnisse der PDS anknüpfen. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Partei mit 11,9 Prozent zweistellig durchs Ziel – 8,7 Prozent holte sie im Westen, 28,5 Prozent im Osten. Davon kann sie heute nur noch träumen.

2010 traten Bisky und Lafontaine von der Parteispitze ab. In der Folgezeit zerfiel das einigende Zentrum, die Partei begann auseinanderzudriften. Fünf Jahre nach der Gründung konstatierte Gregor Gysi 2012 auf dem Parteitag in Göttingen: „Unser größtes Ziel ist es, eine solidarische Gesellschaft zu erreichen, und wir selber führen vor, nicht einmal untereinander solidarisch sein zu können.“ Möglicherweise sei es „besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen“. Zehn Jahre später erscheint die Situation nun verkorkster denn je.

Die beiden Gründungsvorsitzenden gehören inzwischen nicht mehr der Linkspartei an: Lothar Bisky starb 2013 viel zu früh, Oskar Lafontaine ist im März dieses Jahres ausgetreten. Das Ende eines langen Entfremdungsprozesses. 2012 hatte Lafontaine seinen letzten konstruktiven Auftritt, als er in Göttingen auf Gysi antwortete: „Wir haben kein Recht, diese linke Partei zu verspielen!“

„Persönliche Auseinandersetzungen, Nachtreten und den Anderen schlecht machen, das wird überhaupt nicht belohnt“, schrieb Lafontaine damals den Delegierten ins Stammbuch. Sie haben nicht auf ihn gehört. Und Lafontaine selbst und seine Partnerin Sahra Wagenknecht erst recht nicht.

Nicht viel mehr als ein Rohbau

Bodo Ramelow hat 2007 als Fusionsbeauftragter der PDS entscheidend zur Gründung der Linkspartei beigetragen. Der heutige Ministerpräsident Thüringens spricht von einem „Rohbau“, den er damals abgeliefert habe. Das Problem sei, dass sich jedoch nicht um den Innenausbau gekümmert worden sei.

Man habe es „zugelassen, dass in diesem Rohbau jeder sein Appartement baut, aber der Ausgang jedes Appartements in eine andere Richtung geht, man nicht einmal ein gemeinsames Treppenhaus hat, sich nicht einmal mehr verständigen muss, wer für die Treppenreinigung zuständig ist, wer die Hausordnung macht, man sich nicht einmal mehr begegnet, nicht einmal mehr am Müllplatz“, sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der früheren Parteizeitung nd.Der Tag.

Mittlerweile erinnern sich Lafontaine, Wagenknecht und ihre Gefolgschaft nicht einmal mehr an den einstigen Gründungskonsens, sondern behaupten, der hätte nur aus dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit und der Ablehnung von Krieg bestanden. Doch das ist eine gravierende Verkürzung. So definierte Lafontaine selbst 2007 die Linkspartei zudem als „Partei der demokratischen Erneuerung“. Und nicht nur das: „Wir wollen auch, und das wird den einen oder anderen Beobachter überraschen, die Partei der ökologischen Erneuerung sein.“

Die Linkspartei hatte bei ihrem Start einen klaren gesellschaftspolitischen Kompass, der mit „linkskonservativen“ Positionen nicht vereinbar war. „Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend“, ist in den „Programmatischen Eckpunkten“ zu lesen.

Auf diese Grundlage hatten sich die PDS und die WASG Ende März 2007 auf parallel stattfindenden Parteitagen in den Dortmunder Westfalenhallen verständigt. Diese Eckpunkte waren die Basis für den Gründungsparteitag im Juni 2007, also der Gründungskonsens.

Hoffnung auf neuen Aufbruch

„Jetzt brauchen wir einen neuen Aufbruch, um uns aus der Krise zu kämpfen“, sagt die Berliner Linksparteichefin Katina Schubert der taz. Interne Macht- und Strömungskämpfe müssten endlich eingestellt werden. „Wir müssen einfach gute Politik machen“, fordert Schubert, die auf dem Erfurter Parteitag erneut als stellvertretende Bundesvorsitzende kandidieren will. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Bereits Mitte Mai hatte Schubert zusammen mit den Landesvorsitzenden aus Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, also den anderen drei Bundesländern, in den die Linkspartei an der Regierung beteiligt ist, einen Brandbrief geschrieben, in dem eine programmatische wie strukturelle Erneuerung der Partei gefordert wird. Nun hat Schubert gemeinsam mit mehr als 60 Mit­strei­te­r:in­nen einen Aufruf verfasst, den sie selbst als „Intervention“ bezeichnen.

„Die Chancen für die weitere Existenz und ein Wiedererstarken des linken Parteiprojektes sind da“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt. Doch Voraussetzung dafür sei, dass die Linkspartei „eine verlässliche Stimme für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung, Klimagerechtigkeit, Feminismus und LGBTIQ sowie gegen Rechtsradikalismus und Rassismus“ sei.

Die Zukunft lasse sich nur gewinnen, „wenn wir die gemeinsamen Erfahrungen von Lohnarbeit, Existenzkampf, Armut, Ausgrenzung und Gewalt nach vorne stellen: die der lesbischen Kassiererin und des türkischstämmigen VW-Beschäftigten, der jungen Klimaaktivistin und der Familie, die in einem unsanierten Plattenbau lebt“.

Richtungsentscheidung notwendig

Dabei gehe es auch um eine Richtungsentscheidung: „Steht Die Linke für eine Partei, die sich im Wesentlichen auf Sozialstaat und soziale Kernpunkte beschränkt, oder für eine sozialistische Politik, die die ökologische Frage als eine der klassenpolitischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre ernst nimmt?“ Die eindeutige Antwort: „Linke Politik auf der Höhe der Zeit benötigt eine Partei, die erkennt, dass die ökologische Krise Klassenkonflikte verschärft, und die die ökologische Transformation nicht bremst, sondern als grundlegenden sozialökologischen Systemwechsel vorantreibt.“

Zu den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen gehören der frühere Parteivorsitzende Bernd Riexinger, die stellvertretenden Parteivorsitzenden Ates Gürpınar, Jana Seppelt und Martina Renner, Bundesschatzmeister Harald Wolf, mehrere Landesvorsitzende, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, aber auch Ge­werk­schaf­te­r:in­nen wie der Kasseler VW-Betriebsrat Carsten Büchling oder der Frankfurter IG Metall-Bevollmächtigte Michael Erhardt.

Ebenfalls mit dabei sind Intellektuelle wie der Politikwissenschaftler Ulrich Brand, der Soziologe Stephan Lessenich oder der Sozialwissenschaftler Alex Demirovic. Ohne dass er explizit Erwähnung findet, ist ihre „Initiative“ als Antwort auf den Ende Mai veröffentlichten Aufruf „Für eine populäre Linke“ zu verstehen, deren prominenteste Erstunterzeichnerinnen die Bundestagsfraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali und deren Vorgängerin Sahra Wagenknecht sind.

Die neue Linkspartei werde „eine Linke mit Eigensinn und Lebensmut, mit Leidenschaft und Vernunft, mit Menschen aus unterschiedlichen Denktraditionen, anderen politischen Erfahrungen, durchaus verschiedenen Kulturen“, sagte Lothar Bisky auf dem Gründungsparteitag 2007. Der santfmütige Reformer sah darin eine große Chance. Aber so ganz sicher war er sich nicht: „Ich hoffe, unser Denken bleibt beweglich.“

Daran bestehen nach 15 Jahren berechtigte Zweifel. Aber wer weiß, vielleicht ist es ja vorschnell, der Partei die Totenglöckchen zu läuten. Bedarf an einer ausstrahlungsfähigen Partei links von SPD und Grünen gäbe es schließlich sicherlich.

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