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Die Linkspartei in der KriseWisslers Bärendienst

Kommentar von Mirko Schmid

Die Linke braucht dringend neue Köpfe und eine Kursänderung. Und die Parteichefin? Will weitermachen. Damit sabotiert sie den Neuanfang.

Verschließt die Augen vor dem eigenen Versagen: Linken-Chefin Janine Wissler Foto: Wolfgang Kumm/dpa

D ie Linkspartei steckt in einer existenzbedrohenden Sinnkrise. Dieser liegt eine so einfache wie vernichtende Frage zugrunde: Wozu braucht es diese Partei noch? In Zeiten des brutalen Überfalls eines imperialistischen Kriegsverbrechers auf die Ukraine wirkt das über Jahre gehegte Image als pazifistische Partei, die mit der Nato fremdelt und mal mehr und mal weniger unverhohlen mit Wladimir Putin kuschelt, unangenehm aus der Zeit gefallen.

Sozialpolitisch gräbt die SPD per Ausgleichszahlungen mit der Entlastungsgießkanne den Linken das Wasser ab und hat für schmerzhafte Kompromisse den Sündenbock FDP in der Hinterhand. Versuche, mit Identitätspolitik und dem Anbiedern an Fridays for Future die Gunst junger Linker zu gewinnen, laufen ins Leere, stehen die Grünen doch deutlich glaubwürdiger für queere Politik und Klimathemen.

Mittendrin taumelt eine beschädigte Vorsitzende, deren früherer Lebensgefährte parteiintern auf eklige Art und Weise eine Jüngere belästigt hat. Und die es allem Anschein nach nicht für nötig gehalten hat, Alarm zu schlagen. Obwohl sie von dieser Jüngeren in Kenntnis gesetzt wurde. Die es nicht vermocht hat, der Linkspartei eine Politik zu verordnen, die sie relevant macht. Die zumindest dem pragmatischen Ostflügel der Partei als verbrannt gilt. Die krachende Wahlniederlagen sammelt. Und die sich trotzdem an ihr Amt klammert.

Die vernichtende Bilanz hin oder her: Janine Wissler will weitermachen und kandidiert erneut für den Parteivorsitz. Damit erweist sie ihrer Partei einen fatalen Bärendienst und wirkt im Gegensatz zu der in der Einsicht ihres Scheiterns zurückgetretenen ehemaligen Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow entrückt. Alles andere als ein Verzicht auf diese Kandidatur wäre eine Sabotage am dringend notwendigen Neustart.

Und doch scheint Wissler recht fest im Sattel zu sitzen. In den Reihen der Westlinken drängt sich schlicht keine Alternative auf. Wenn sich das nicht schleunigst ändert, bleibt die Linkspartei weiter auf ihrem Kurs in die Bedeutungslosigkeit.

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CvD/Nachrichtenchef
Chef vom Dienst und Autor. Arbeitet seit 2022 für die taz. Mag Meinung und kommentiert politische Themen mit Hang zum Ausland (vor allem USA). Schrieb vor der taz für die Frankfurter Rundschau. Hat davor Onlinejournalismus an der Hochschule Darmstadt studiert.
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15 Kommentare

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  • Denke mal, Kontinuität und Neuanfang müssen sich nicht widersprechen. Ersteres kann Vertrauen und sich wohlfühlen schaffen, das Andere ja das ist allerdings nötig bei der Partei. Und wenn neue Köpfe und Köpfinnen kommen und nur wenige Alte - kann, muss nicht, aber kann eine Mischung ein großer Vorteil sein.



    Ganz große Fehler habe ich weder bei Hennig-Wellsow noch Wissler gesehen und ob Bartsch und Co, also jedenfalls will ich einen Mann dabei, wenigstens einen. Aber auf mich hört wieder keine*r---

  • Neue Köpfe? Schon wieder?



    Wie wäre es mal mit bewährten Rezepten?

  • Es ist journalistisch schon etwas fragwürdig, wenn man Missbrauchsvorwürfe, deren Umstände noch gar nicht geklärt sind, als Fakten verklärt und Wissler daraus einen Strick dreht. Zumindest Wisslers Darstellung zufolge sieht die Sache mit den Missbrauchsvorwürfen etwas anders aus und dass diese nicht aktiv geworden ist, stimmt auch nicht.

    Ob die Grünen die 'bessere' Identitätspolitik machen oder ob diese nur anschlussfähiger an ein relativ gut situiertes, urbanes, queeres Milieu ist, kann man dahingestellt lassen. Die Vorwürfe ala Wagenknecht dürften hier aber auch nicht dazu geführt haben, dass sich diese Klientel angesprochen/umworben fühlt.

    Abgesehen von den ungeklärten Missbrauchsvorwürfen sehe ich keinen Grund (auch innerhalb des Artikels nicht), weshalb Wissler nicht zur Wahl antreten sollte. Man könnte ihrer Kollegin Henning-Welsow auch vorhalten, das sinkende Schiff zu verlassen, weil der Partei die Felle davon schwimmen. Wen hat die Linke denn, der nicht in eines der Lager verstrickt wäre und hier eine - für den Autoren akzeptable - Erneuerung liefern könnte?

  • So desaströs die Lage der Linke auch ist, ich sehe die Hauptschuld hier nicht bei Frau Wissler. Ich habe eher das Gefühl, das es vollkommen egal ist, wer zukünftig an der Spitze steht. Sowohl die Fraktion im Bundestag, als auch einzelne Landesverbände und Personen sabotieren und denunzieren sich gegenseitig permanent in der Öffentlichkeit, Politik findet in der Linken faktisch nicht mehr statt. Dementsprechend wird sie für den Wähler überflüssig.

  • "Will weitermachen. Damit sabotiert sie den Neuanfang."

    Die Kandidatur ist also Sabotage!



    Wusste ich noch nicht!

    • @cuba libre:

      Haha - das ist gut

  • Im Prinzip ist der ganze Parteitag Nonsens, denn es ist eben nicht nur Wissler. Es ist auch nicht nur die gesamte obere Etage. Es sind die obersten EtagEN. Wer wird auf dem Parteitag die Delegierten stellen? Na genau die und was werden die machen? Na das was sie auch die letzten Male machten.. sich gegenseitig wählen. Die Partei war schon lange vor der Ukraine am Ende und zwar in Ost wie West. Nur jetzt sieht man es sehr deutlich.

  • Leuchtet mir nicht so wirklich ein, dass so eine Kandidatur so böse ist.



    Immerhin macht Wissler damit nur ein Angebot, das die Partei ja nicht annehmen muss. Kommt mir ziemlich demokratisch vor.

    • 6G
      656279 (Profil gelöscht)
      @Eric Manneschmidt:

      Sehe ich ebenso; als Südhesse ...

  • Kann man Wissler vorwerfen, dass sich in der Westlinken keine ernsthafte Alternative aufdrängt? Es mag ja sein, dass Hennig-Wellsow aus der Einsicht ihres Scheiterns den konsequenten/richtigen Weg gegangen ist. Aber wer drängt sich in der noch breiter verankerten Ostlinken als Co-Vorsitzende auf? Ob ein, auf dem Ticket von Sarah Wagenknecht fahrender, Sören Pellmann das sein kann, darf aus Sicht der Westlinken bezweifelt werden. Wenn ich Wissler ihr größtes Defizit vorhalte und ihr die Eigung von einer weiteren Spitzenkandidatur abspreche ist es das, dass sie den Konflikt mit der sich gegenseitig blockierenden Bundestagsfraktion gescheut hat. Diese Kakophonie von Meinungen und Verlautbarungen muss aufhören. Auch zu dem Preis, dass ihre Person als Funktionsträger in der Linken am Ende verbrannt ist. Dass Wissler von der Ostlinken , nach 14 Monaten Bundesvorsitz, als gescheiter angesehen wird, weil sie nicht geschafft hat was Katja Kipping in 9 Jahren Bundesvorsitz nicht klären konnte, lässt doch eher auf eine noch immer vorherrschende unterschiedliche OSst/West Linken-Idendität schließen. Und ja, sie ist gut beraten, wenn sie die Stimmung in der Partei sehr genau wahr nimmt und auf den Parteivorsitz verzichtet,wenn sie keine überzeugende Position einnehmen kann

  • Wer, bitte, soll es denn machen? Die paar, die was taugen, sind alt oder wollen nicht, und die anderen sind Kobolde von der einen oder anderen Sorte. Und dann noch diese völlig am Parteivorstand vorbei arbeitende Fraktion!

  • Ist das so, dass die Grünen die glaubwürdigere Identitätspolitik haben? Nein, ich glaube nicht, sondern nur realistischer und weniger radikal. Bei der Linken war indes eine Ausschließeritis zu beobachten, bei der man den Eindruck gewann, je identitätspolitischer umso linker.

    Dumm nur, dass das an der Lebensrealität der Kernwählerschaft vollkommen vorbei geht. Und da hat Sarah Wagenknecht - ausnahmsweise - einmal recht. Dass das Thema aber hochempört zurückgewiesen wurde, zeigt, dass man bei der Linken nicht gewillt ist vor der eigenen Haustüre zu kehren. Dazu gehört – schon wieder – die Russlandliebe oder besser: der Antiamerikanismus einer Sarah Wagenknecht, die nur Statthalterin einer weiterverbreiteten Ideologie bei der Linken ist.

    Auch hier verweigert sich die Partei wieder einer Revision, nur dass sie sich dieses Mal wegduckt. Dabei geht es dieses Mal nicht allein - schon wieder - um Sarah Wagenknecht, sondern um das gesamte Konstrukt der Außenpolitik bei den Linken. Deren Pazifismus ist nämlich nur vorgeschoben. Der hat nur Bestand, wenn es um – Achtung Feindbild – die NATO geht. Wie sonst lassen sich Besuche des verurteilten Wahlbetrügers Andreas Maurer auf der Krim mitsamt Solidaritätsbekundungen erklären (zusammen mit der AfD)? Mehr noch organisierten Linke wie Maurer regelmäßige Reisen auf die Krim, um die Sanktionen zu unterlaufen – zusammen mit Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen oder versuchten wie der Ex-Abgeordnete Alexander Neu oder Dieter Dehm die Ukraine als Diktatur darzustellen und Putin als vertrauenswürdiger als Angela Merkel darzustellen.

    Kein Witz: Auf dem Parteitag 2017 lehnte es die Linke ab, die Menschenrechtsverletzungen auf der Krim zu verurteilen und 31% fanden Putin vertrauenswürdiger als Merkel. Ach ja - noch einmal Wagenknecht: Sie bezeichnete Merkel auf Putins Propagandasender RT als folgsame „Anhängerin Amerikas”.

    Noch Fragen Kienzle?

  • Völlig richtig. Wisslers Kandidatur ist wirklich nur erklärbar weil die Linke personell am Ende ist. Die Flügelkämpfe haben niemanden mehr übrig gelassen. Deckel drauf und Augen zu ist aber das Dümmste das die Linke tun kann.