Die Kunst der Woche für Berlin: Der Weg ist versperrt
Künstler und KI, die Schafe co-kreieren, Kunst in Luxusresorts und eine Ausstellung von Ziervogel, die als Metalllabyrinth daherkommt.
P ünktlich zum Gallery Weekend schlug in Berlin Marat Guelman auf, berühmter Galerist in Moskau in den der Zeit von 1990 bis 2000. Längst als ausländischer Agent stigmatisiert, lebt er seit 2014 in Montenegro, wo er in Budva an der Adriatischen Küste das Kunstzentrum „Montenegro European Art Community“ betreibt.
In Berlin firmiert er als „Guelman und Unbekannt Gallery“ in den Räumen des World Chess Club Berlin in der Mittelstraße 51/52. Interessante Location und interessantes Konzept, denn Guelman und sein nicht genannter Partner wollen sich ganz auf digitale Kunst konzentrieren. Und schon „Reue“ (Psalm 51), die Ausstellung des in Lviv geborenen, ukrainischen Künstlers Andriy Bazuta, mit der sie eröffnen, zeigt, dass es spannend werden könnte.
Als Co-Creator der großen Inkjet-Hochformate nennt sich Bazuta Arik Weissman und in dieser Rolle hat er den Psalm 51 einer Deep-Learning-Algorithmen-Exegese unterzogen, die vom Programm als Malerei visualisiert wurde. Steht man etwas von der „Petitioning the Paraclete“ benannten Serie von Bildern entfernt, meint man barocke Altargemälde zu sehen. Offenbar scheint die Datenlage den Psalm allein in den christlichen Raum zu verorten. Wir sehen Kirchenfenster, wir sehen Kerzen, Kreuze, wir sehen Schafsherden, aufsteigend angeordnet und von Weihrauch umwölkt, dass es nur so eine Freude ist.
Von Nahem betrachtet freilich sieht man von alledem – nichts. Die Fenster, die Kerzen, die Kreuze und die liturgischen Gewänder, auch die Schafe, sie alle zeigen sich nur in Form einer denkbar schrägen Annäherung. Dass sie abstrahiert wären, kann man nicht sagen, denn zu deutlich ist, dass die KI keine Ahnung hat, was ein Schaf ist, wie es ausschaut und wie davon zu abstrahieren wäre. Bei all ihrer Scheußlichkeit und ihrer feuerrotgelben Übertreibung, die Bilder faszinieren. Diese wolligen, naturweißen Dinger, die Schafe sein wollen, mit ihren unglücklichen Köpfen, sie tun einem leid, und sie beschäftigen einen. Niemals würde man sich als Mensch, der mit Tieren lebt, eine solche Kreatur ausdenken können.
Im Luxusresort
Als eine Abstraktion künstlerischer Arbeit könnten Arik Weismans Bilder freilich schon begriffen und daher im Luxusresort durchaus erfolgreich vermarket werden. Dass die künstlerische Arbeit von KI geleistet wird, muss nicht stören, denn auf ihre Spezifik kommt es im Resort nicht an, sagt die Kunstwissenschaftlerin Isabelle Graw. Sie hat diesen neuen Ort der Kunst, der an illustren Plätzen wie Gstad, Aspen, Menorca u.U. vielleicht auch Budva zu verorten ist, untersucht und damit einen Strukturwandel des Kunstbetriebs analysiert. Ihren unter dem Titel „Willkommen im Resort“ veröffentlichten Thesen zu der dadurch veränderten Wertbildung der Kunst, hat sie nun in Form einer Ausstellung weitere Argumente zur Seite gestellt, den Diskurs zu befeuern.
Isabelle Graw versammelt in ihrer Schau „In Defense of Symbolic Value. Artistic Procedures in the Resort“ bei Max Hetzler neun Künstler, Rosemarie Trockel, Soil Thornton, Adam Pendleton, Avery Singer, Albert Oehlen, Merlin Carpenter, Valentina Liernur, Kerry James Marshall und Jutta Koether. Bei Koethers „Dream until it’s your reality“-Frühling – eine in ein barockes oder hippieskes All-over von Blüten und Gräsern eingebettete, streng blickenden Gestalt, wobei die zarten Farben gleichwohl luftig und leicht auf die Leinwand gesetzt sind – scheint der Symbolwert, zu dessen Verteidigung im Titel der Ausstellung aufgerufen wird, in der Reflexion des Diskurses der Malerei auf, also etwa ihrer Geschichte, ihres vermeintlichen Geschlechts und ihres Status.
Der Symbolwert als dasjenige im Kunstwerk, das in keiner ökonomischen Logik aufgeht, kommt mit einer kräftigen Prise bitterböser Ironie versehen selbstreflexiv gewendet bei Kerry James Marshalls „History of Painting (May 17, 2007)“ und „History of Painting (February 6, 2007)“ ins Spiel. Die Leinwände zeigen die Ergebnisse der Abendauktionen in New York mit deutlichem Preisgefälle nach unten für nicht weiße, nicht männliche Künstler. Da wir wissen, wie teuer inzwischen ein Kerry James Marshal ist, kommt der Symbolwert auch so noch einmal ins Spiel, auf seiner Verheißung setzt der Marktwert auf.
An sich reduziert Käuflichkeit ja die Zugangsbedingungen zu einem Gut, das als Ware in der Öffentlichkeit beworben und damit auch diskutiert wird. Wer mitreden oder den Preis bezahlen kann, ist dabei, weil der Markt nicht exklusiv und daher niemand qua Herkunft, Salbung, Mitgliedschaften oder Initiationen privilegiert ist.
Die Kunst im Luxusresort, so das Kalkül der internationalen Großgalerien, kann nun diese Profanisierung der Kunst qua Käuflichkeit, extrem auf Kunstmessen sichtbar, unterlaufen. Aber das Widerständige gegen die Warenförmigkeit der Kunst findet sich eben nicht in der neu gegründeten, gut aussortierten, exklusiven Kunstgemeinde, die nur die Preise, aber nicht das Interesse an der Kunst in die Höhe treibt.
Im Raum gegängelt, hinter der Wand gespeichert
So stellt man sich das vor, wenn ein Künstler sagt, dass Freiheit grundlegendes Thema seines Werks sei. Man betritt das 1960 auf Initiative von Willy Brandt – auf den sich der Künstler bezieht – gegründete Haus am Lützowplatz und sieht am Ende der Raumflucht linkerhand eine gerahmte, großformatige Zeichnung an der Wand hängen: Sie ist voller winziger, detailreicher Szenen, die man sich unbedingt von Nahem anschauen möchte, aber man kommt nicht hin, der Weg ist versperrt. Davor steht ein Labyrinth aus Viehgittern. Man kann die Zeichnung nur durch die Metallstreben betrachten. Von barrierefreier Sicht also keine Spur. Die eindrucksvolle Installation dient strikt der Gängelung, Einengung und Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Publikums im sonst leeren Raum.
Freiheit ist ein Verlustgeschäft, schießt es einem durchs Hirn. Denn offenbar schärft vor allem ihr Entzug die Sinne für die Notwendigkeit wie Wohltat der Freiheit. Wie stellen wir uns zum Kunstwerk, wenn wir ihm nicht frei begegnen können? Diese Frage, auch in Hinblick auf soziale Barrieren, wirft Ziervogel mit seiner Installation und seiner Ausstellung „Wir sollen wie Hunde sein“ auf.
Schon das erste Mal als ich auf Ziervogel stieß, 2005 in der Galerie Barbara Thumm, erinnere ich mich, hatte er den Galerieraum so zugestellt, dass er zum Ausstellungstunnel wurde, durch den man unausweichlich auf die damals fünf Meter breite Panoramazeichnung, einem Wimmelbild aus Sex und Grausamkeiten, zulief. Ziervogel interessiert die Rezeptionssituation von Kunst und deshalb inszeniert und irritiert er sie.
„Das Erste“, ein kurzes Video aus dem Jahr 2000 bringt einen dann auf die Frage nach dem Verhältnis von Selbstdisziplin und Freiheit. So wie Ziervogel es darstellt, der sich beim dreiminütigen Zähneputzen nach zahnärztlichem Rat zeigt, scheint Selbstdisziplin unausweichlich auf die abschüssige Bahn des Zwanghaften, Hysterischen zu führen.
Während ein Selbstporträt als Fettabdruck dann fast unsichtbar ist auf der Wand, wird eine weitere Arbeit, die Ziervogel im HaL ausstellt, nach Ausstellungsende hinter ihr verschwinden. Die ins Gemäuer eingelassene Glasbox enthält eine Zeichnung aus einer Lösung von Glaspartikeln, in denen synthetischer und menschlicher DNA-Code steckt, der als Speichermedium für Ziervogels Werk aus den letzten 20 Jahren und eigene Erbgutinformation dient. Nachfolgenden Generationen wird der Zugang zu Ziervogel von Ziervogel auch nicht leichter gemacht.
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