Die Grünen und die Staatsgewalt: Wir ham Polizei
Jahrzehntelang hatten die Grünen ein Feindbild: die Polizei. Jetzt gehören sie zum Establishment – und setzen auf Dialog und Innere Sicherheit.
Der Vizepräsident der Münchner Polizei wird kommen, eine Kriminalrätin aus dem LKA, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. „Superhappy“ sei sie über die Resonanz, sagt Schulze. Und gibt sich als freundliche Gastgeberin. „Polizei am Limit?“, ist die Tagung überschrieben. Der Titel könnte auch einen Kongress von Polizeigewerkschaftern zieren. Frühere Grünen-Aufreger wie Polizeigewalt, Kennzeichnungspflicht, Racial Profiling? Nicht im Programm.
Keine Sorge, sagt Schulze, es werde schon Kritisches angesprochen. Die Mission der 27-jährigen Innenpolitikerin ist aber eine andere. Den Dialog mit den Uniformierten ausbauen, die „Abwehrreflexe“ auf beiden Seiten lockern. „Wenn der Kongress da Vorurteile abbaut, bin ich zufrieden.“
Neue Töne bei den Grünen. Und nicht nur in München. Auch die grüne Bundestagsfraktion veröffentlichte jüngst ein Strategiepapier zur Inneren Sicherheit. „Wir setzen auf eine starke Polizei“, heißt es dort. Diese brauche eine „personelle Stärkung, modernste Ausstattung“. Die Beamten müssten sofort von Verwaltungsaufgaben entlastet werden. Die von der Bundesregierung geplanten 3.000 Neustellen bei der Bundespolizei „reichen nicht“. So viel Fürsorge für die Polizei gab es bei den Grünen wohl noch nie.
Dabei galten die Uniformierten vielen Grünen lange als diejenigen, die sie von Castor-Gleisen zerrten. Spätestens mit den Schüssen auf Benno Ohnesorg 1967 avancierte die Polizei für die Alternativen zum Feindbild. Joschka Fischer, grüner Außenminister, warf vor seiner Parteikarriere noch mit Steinen auf „Bullen“. Im ersten Grünen-Programm 1980 war die Rede von „Tendenzen zu einem Polizeistaat“ in Deutschland. Die einzige Forderung damals: eine „schusswaffenlose“ Polizei.
Der Wandel der Grünen
Lang ist’s her. Inzwischen ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag Irene Mihalic – eine frühere Polizistin. Mehr als zwei Jahrzehnte war die Gelsenkirchnerin im Dienst, jagte bei der Autobahnpolizei Raser, arbeitete im Kölner Polizeipräsidium. In Mihalics Bundestagsbüro hängt bis heute ihre alte Polizeiuniform.
An Mihalic lässt sich der Wandel der Grünen ablesen. Umweltpolitik brachte sie in die Partei, schnell landete sie wieder beim Thema Sicherheit. Die 39-Jährige gehört zu einer neuen, undogmatischen Generation bei den Grünen, die ideologisch abrüstet. Mihalic will das auch im Umgang mit der Polizei.
Die polnische Regierung torpediert die Pläne für das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs und vergeudet damit eine historische Gelegenheit. Den Essay des Holocaustforschers Timothy Snyder lesen Sie in der taz.am wochenende vom 4./5. Juni. Außerdem: Etablierte Parteien suchen die gesellschaftliche Mitte. Aber wo ist sie? Ein Besuch in Gittis Bier-Bar in Berlin-Mitte. Und: Woher rührt die neue Liebe der Grünen zur Polizei? Dies und mehr am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
„Wir müssen heute nicht mehr alte Feindschaften pflegen“, sagt sie. Die jetzigen Polizisten hätten mit den Kollegen von vor 30 Jahren wenig gemein. „Die Polizei ist bürgernäher geworden, viel kommunikativer. Das muss man anerkennen.“
Es sind Sätze wie dieser, die viel sagen über die Grünen. Die große Mehrheit der Mitglieder und Wähler kämpft schon lange nicht mehr gegen das Establishment – sie ist ein Teil davon. Das Verhältnis zur Polizei? Entspannt. Die Partei ist in die politische Mitte gerückt, hat Bündnisse mit der CDU geschmiedet. Sie hat in den Ländern über Polizeihaushalte mitentschieden und nach den 9/11-Anschlägen die scharfen Sicherheitsgesetze von SPD-Innenminister Otto Schily mitgetragen.
Man setze auf eine moderne, starke Polizei
Nun diskutiert das Land wieder über Terrorgefahr und über Gewaltausbrüche wie in der Kölner Silvesternacht. Und auch die Grünen-Wählerschaft ist verunsichert. „Wir dürfen uns nicht wegducken, auch bei Themen wie Verbrechensbekämpfung nicht“, sagt Irene Mihalic. „Wenn wir als Bürgerrechtspartei auftreten wollen, müssen wir auch in diesem Bereich sagen, wie es geht.“ Und man setze ja nicht auf scharfe Sicherheitsgesetze, sondern auf eine moderne, starke Polizei und neue Instanzen wie einen unabhängigen Polizeibeauftragten.
In den Ländern wird es bereits praktisch. In Nordrhein-Westfalen entdecken die Grünen gerade die Innere Sicherheit als Wahlkampfthema. Mit der SPD beschlossen sie zu Jahresbeginn 500 Stellen mehr für die Polizei, Beamte sollen künftig auch mit Schulterkameras zu Einsätzen ausrücken können. In Baden-Württemberg vereinbarte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit der CDU, 1.500 Polizisten neu einzustellen, die Polizei soll präventiv Vorratsdaten erheben und Alkoholverbote durchsetzen dürfen. Dazu kommt eine Absage an ein einstiges Lieblingsprojekt der Grünen: die Kennzeichnung von Polizisten.
H.-Chr. Ströbele, Die Grünen
Lassen sich Prinzipien so leicht abschütteln? Anruf bei einem Parteirebellen: Hans- Christian Ströbele. Der Grüne aus Berlin-Kreuzberg, einst RAF-Anwalt, heute Bundestagsabgeordneter, ist bis heute steter Begleiter von linken Demos – und scharfer Kritiker, wenn Polizisten mit Pfefferspray und Schlagstöcken zulangen.
Das werde er auch in Zukunft sein, sagt Ströbele. Und das mit der Absage an die Kennzeichnungspflicht sei „überhaupt nicht okay“. „Da bin ich ein ganz vehementer Befürworter.“ Geht es aber um das Sicherheitspapier, klingt Ströbele fast staatstragend. „Es geht nicht um Annäherung, sondern um Sicherheitsaufgaben, die erledigt werden müssen. Die Gefahren sind da, das ist ja unübersehbar.“ Die Frage aber sei: Wer soll sich darum kümmern, wenn nicht die Polizei? Die Geheimdienste? Die Bundeswehr? Private Sicherheitsfirmen?
„Jede Alternative wäre falsch und viel weniger kontrollierbar“, sagt Ströbele. Also habe man sich für die Polizei entschieden – und für deren Stärkung. Für die Geheimdienste heißt es dagegen im Grünen-Papier: Der Verfassungsschutz gehöre „aufgelöst“ und „stark reduziert“, der BND „grundlegend reformiert“. Damit kann Ströbele gut leben. Am Ende gab auch er seinen Segen für das Sicherheitspapier.
Die Polizei hofft auf Entspannung
Bei der Polizei hat man den Wandel der Grünen sehr wohl bemerkt. „Ich nehme eine gewisse Kehrtwende wahr“, sagt Oliver Malchow, Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei. Seit 33 Jahren ist Malchow im Dienst, bis heute fallen ihm vor allem die Verletzungen ein. „Diese ständigen Vorwürfe: Wir schnüffelten rum, wir begingen Übergriffe.“ Nun hofft auch Malchow auf Entspannung. Das Grünen-Papier weise in die richtige Richtung, zu Leuten wie Irene Mihalic habe er „einen guten Draht“.
Und auch in Malchows Reihen tut sich etwas. Seit 2013 organisieren sich dort Polizisten mit Grünen-Parteibuch im Verein „Polizeigrün“. Auch sie wollen das Verhältnis zwischen Ordnungshütern und der Partei entkrampfen. Nur wenige Dutzend Polizisten sind es, aber auch sie illustrieren den Kulturwandel. Malchow begrüßt das Engagement. „Ich hoffe, dass das wirklich eine neue Denke ist bei den Grünen, nicht nur wahltaktisches Verhalten.“
Möglich ist auch das: der neue grüne Sicherheitskurs – eine Vorbereitung auf Schwarz-Grün? Irene Mihalic weist das zurück. Auch Ströbele sagt, das könne man ja wohl gerade ihm nicht unterstellen. Ihren möglichen Koalitionspartnern, Union und SPD, werfen beide Sicherheitsrezepte „aus dem letzten Jahrhundert“ und „Massenüberwachung“ vor.
Diese Dialektik – Sicherheitspolitik für die Besorgten, markige Kritik für die Idealisten – ist auch bei einem weiteren Gastredner auf dem Münchner Polizeikongress angekommen: Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef und vorderster Parteilinker. Auch er lobt dieser Tage den neuen Kurs seiner Partei.
„Eine gut ausgestattete Polizei ist der Gegenentwurf zu reflexhaften Sicherheitsverschärfungen“, sagt Hofreiter. Man wolle schließlich keine Maßnahmen wie anlasslose Vorratsdatenspeicherung, sondern Ermittler, die gezielt Straftaten aufklärten. „Und dazu braucht es dann auch das Personal, um das umzusetzen.“
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