Die Grünen und die K-Frage: Baerbeck oder Habock
Bei der grünen Kanzler:innenkandidatur geht es nicht darum, wer die oder der Bessere ist. Am Ende braucht die Partei beide an der Spitze.
M ädchen sollen heute alles werden können“, so sagt es Annalena Baerbock, die grüne Co-Parteichefin. Kanzlerin zum Beispiel. Ist damit also die K-Frage bei den Grünen im Grunde gar keine Frage? Ganz so einfach ist es aber doch nicht. Bis zum 19. April will die Partei bekannt geben, mit wem an der Spitze sie antreten wird: Mit Baerbock? Oder doch mit Robert Habeck, ihrem Co-Vorsitzenden? Nach allgemeiner Lesart in der Partei scheint kein Weg an Baerbock als grüner Kanzlerinnenkandidatin vorbeizugehen – so sie denn will.
Die Grünen wären dann die einzige größere Partei mit einer Frau an der Spitze. Altgrüne wie Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie, die Habeck diese Woche in einem hilflos staubigen Last-Minute-Appell auf den Schild zu heben versuchten, verstärken nur den Wunsch, aus dieser jahrtausendealten Männerlogik auszubrechen, die Macht unter sich zu verteilen. Wenn Baerbock zugreifen will, dann werden sie daran auch Männer wie Cohn-Bendit und Leggewie nicht hindern können.
Aber ist es im grünen Kosmos auch und überhaupt denkbar, jetzt noch zu verzichten? So wie es nicht automatisch bedeutet, dass Habeck der bessere Kandidat wäre, nur weil er mundgerecht in Talkshows Hannah Arendt zu zitieren weiß, ist es nicht zwingend, dass Baerbock als grünes Gendergewissen antreten muss. Baerbock, 40, ist zehn Jahre jünger als Habeck, für sie gilt zuallererst eine ebenso simple wie entscheidende Frage, die sie selbst aufgeworfen hat:
Lohnt es sich, das eigene Leben für die nächsten vier Jahre zurückzustellen? Nichts anderes bedeutet dieses Amt, zumal wenn die Kinder klein sind (die Baerbocks sind 2011 und 2015 geboren, die Habecks sind schon groß). Baerbock hat wieder und wieder über die unerträgliche Situation gesprochen, ihre Töchter als Spitzenpolitikerin nur abends und am Wochenende sehen zu können. Dies ist ein Dilemma, in dem Eltern jedweden Geschlechts stecken.
Wider die Männer-Logik, Macht unter sich aufzuteilen
Sollte Baerbock antreten, dann müssten die Grünen eine überfällige Debatte über ein anderes, fortschrittliches Verständnis der Rolle von Spitzenpolitiker.innen eröffnen, die dem skandinavischen oder auch neuseeländischen Vorbild folgt, auch für die allerhöchsten Ämter. Die Diskussion darüber, wer die bessere Kanzlerin oder der bessere Kanzler wäre, sie oder er, fußt ohnehin auf einem Missverständnis. Es gibt in einem modernen Begreifen von Macht kein Besser zwischen Baerbock und Habeck. Es gibt nur ein Anders.
Mann wird für diesen Job nicht geboren, Frau ebenso wenig. Nicht einmal Angela Merkel. Baerbock wie Habeck haben sich in Machtspielchen vergleichsweise souverän behauptet, sie mehr als er. Beide verstehen zu kommunizieren, er mehr als sie. Und beide sind willens und fähig, über die Schmerzgrenze hinaus zu lernen, sie mehr als er.
Was es heißt, eine Bundesregierung zusammenzuhalten, im Zweifel auch Europa, und welches der beste Weg dafür ist, kann ohnehin niemand beim Trockenschwimmen lernen. Beide können sehr wahrscheinlich Kanzler.in. Nur nicht auf dieselbe Weise. Wenn es ein.e grüne Kanzler.in, werden sollte, hätte man sie am liebsten beide. Denn die Aufgaben scheinen übermenschlich.
Die Nummer 2 ist genauso wichtig
Nicht weniger ist gefordert als ein mutiger Umbau (nicht nur) der deutschen Industrie- und Agrarlandschaft in eine nachhaltige Wirtschaft, um das ungebremste Kippen des Klimas zu verhindern. Gar nicht zu reden vom Umgang mit den Folgen der Pandemie und von der Versöhnung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Ächtung von Rassismus und Ausgrenzung.
Wichtiger als die Frage, wer von den beiden auf den Plakaten im Vordergrund steht, ist deshalb, wie das grüne Team aussieht, das antritt, und mit welcher Agenda. Sollte sie es werden, braucht sie ihn, in einer klar definierten Rolle. Sollte er es werden, braucht er sie, in einer klar definierten Rolle. Mindestens so wichtig wie die Nummer 1 ist also auch die Zukunft der Nummer 2. Es geht also um Baerbeck oder Habock.
Wenn all dies geklärt ist, wenn Annalena Baerbock mit sich und der Familie und mit Robert Habeck im Reinen ist: dann sollte sie es machen. Denn in der Weltgeschichte ist kaum je eine Frau dafür belohnt worden, zugunsten eines anderen zurückzuziehen, auch wenn es um Spitzenämter ging.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad