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Die Grünen und der VeggiedayHeiliges Recht auf Currywurst

Die Ökodiktatur rückt näher: New York führt an 1.800 Schulen einen Veggieday ein. Was sagt die „Bild“-Zeitung dazu? Und was sagen die Grünen?

Billiges Formfleisch in der Kantine ist den Deutschen heilig Foto: Imago / Rüdiger Wölk

Berlin taz | Schockierende Nachrichten für liberalkonservative Vordenker, die überall Gängelei und Verbotsfuror wittern: Ausgerechnet New York, die Metropole der freien Welt, führt einen Veggieday an öffentlichen Schulen ein. In den Kantinen der 1.800 New Yorker Schulen stehen ab September montags nur noch vegetarische Gerichte auf dem Speiseplan. Der Schritt sei gut für die Umwelt und die Schüler, sagte Bürgermeister Bill de Blasio bei der Ankündigung des „Meatless Monday“.

Sowas kann uns Deutschen nicht passieren. Das Recht auf labbriges Formfleisch aus Massentierhaltung – aka Currywurst – ist hierzulande heilig. Wir erinnern uns: Die Grünen forderten im Wahlkampf 2013 zaghaft, pro Woche einen fleischfreien Tag in Kantinen einzuführen – und wurden deshalb am Nasenring durch die politmediale Manege gezerrt.

„Grüne wollen uns das Fleisch verbieten!“ Mit dieser handfesten Lüge blies die Bild-Zeitung wochenlang zur Attacke auf die angebliche Verbotspartei. Andere Medien und liberalkonservative Politiker stimmten begeistert ein. „Was kommt als nächstes: Jute-Day, Bike-Day, Green-Shirt-Day?“, fragte etwa der damalige FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Es war nicht die niveauloseste Äußerung in einer unwürdigen Debatte.

Die Grünen führte die Kampagne damals fast an den Abgrund. Der Veggieday gilt als wichtiger Grund dafür, dass die Ökopartei bei der damaligen Bundestagswahl mit 8,4 Prozent weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Und er liefert bis heute ein Musterbeispiel dafür, wie Medien mit gezielten Falschinterpretationen Politik machen können.

Selbstachtung über Bord geworfen

Die Grünen wiederum taten das Ihrige dazu. Statt die okaye Forderung cool zu verteidigen, warfen sie eingeschüchtert jede Selbstachtung über Bord. Sie schworen 2014 auf einem Parteitag offiziell dem Veggieday ab. Ob jemand am Donnerstag Fleisch esse oder nicht, „ist uns herzlich egal“, hieß es in dem Beschluss. Seitdem verteidigen sie als Möchtegern-Liberale tapfer das Recht auf individuellen Konsum, so umweltschädlich er auch sein möge – ob es nun um ein saftiges Steak, um Dosenbier oder Langstreckenflüge an die Westküste geht.

Nun könnte man denken, dass die Bild-Zeitung angesichts des New Yorker Vorstoßes in Wallung gerät. Die USA gelten bisher nicht gerade als Ökodiktatur, die ihren BürgerInnen den politisch korrekten Lebensstil vorschreibt. Auch wenn im Weißen Haus ein Typ sitzt, der jeden Tag so viel heiße Luft produziert, dass sich damit die gesamte Ostküste CO2-neutral beheizen ließe. Der New Yorker Veggieday müsste doch Bild-Chef Julian Reichelt zu besorgten Nachfragen animieren.

Was kommt als nächstes? Grüne Streifen auf der amerikanischen Flagge? Gendersternchen in der Hymne, „land of the free*innen“? Tofu-Big-Mac? Eine Harley Davidson mit Elektromotor? Ah, okay, die gibt es schon, es ist nicht zu glauben. Auch das Tempolimit, weshalb die Amis aufreizend langsam über ihre Highways gleiten, ist doch im Grunde staatliche Bevormundung pur. Aber Pustekuchen, der Bild-Zeitung war der amerikanische Veggieday keine Zeile wert.

Es ging nur darum, die Grünen klein zu kriegen

Womit endgültig bewiesen wäre, dass es damals nur darum ging, die Grünen klein zu kriegen – mit nachhaltigem Erfolg. Grünen-Chef Robert Habeck hält auf taz-Nachfrage an der Veggieday-kritischen Linie fest. „Schulen sollten über ihre Speisekarten bestimmen können.“ Das System der Tierhaltung sei auf immer mehr Produktion für immer weniger Geld angelegt. „Entsprechend geht es darum, diese Spirale zu durchbrechen.“ Ein systemisches Problem müsse systemisch angegangen werden, so Habeck, „und nicht nur donnerstagnachmittags in Kantinen.“

Was das Individuum macht, ist seine Sache, so die Botschaft – solange sich die Strukturen ändern. „If I can make it there, I'll make it anywhere“, twitterte ein geschätzter Kollege zum Veggieday in New York. In Deutschland aber hätte er keine Chance. Die Grünen werden ihn zu verhindern wissen, Seit an Seit mit der Bild-Zeitung.

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13 Kommentare

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  • Ja machen sie sich nur lustig. Fleisch und Wurstwaren sind tatsächlich deutsches Kulturgut. Mehr noch als Bier und Brot. Und nein dabei geht es nicht nur um Currywurst.

  • Und auf dem Weg nach Hause, schmeckt der Hot Dog dann doppelt so gut, denn was verboten ist, ist richtig cool.

  • Was ist eigentlich so schlümm am sogenannten Formfleisch?



    (Laktosefreier Haferschleim hat bestimmt auch 'ne Form)

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Was die BILD-Zeitung kann und nicht kann, hat sie in der causa 'Attentat auf Rudi Dutschke' bereits vor gut 50 Jahren hinlänglich gezeigt. Ein gutes (analoges) Gedächtnis hilft weiter, ansonsten empfiehlt sich eine externe Frischzellenkur.

    BILD ist ein Hetzblatt, das an den niedersten Instinkten kognitiver Leer-Zellen anknüpft. Tiefer geht nimmer.

    Jedem Zweifler sei eine intensivere Beschäftigung mit der gängigen Wirkungsforschung von Massenmedien nahegelegt. Die Befunde sind zwar schon etwas älter, haben aber nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

    Den Grünen lässt sich sicherlich mancher Fehler vorrechnen. Dass sie sich selbst - wie behauptet - den Boden für ihre Bekämpfung bereitet hätten, ist ebenso abenteuerlich wie falsch.

    Das kann nur behaupten, der Kritiker, Diffamierer und Denunzianten aus ihrer Verantwortung nehmen möchte.

    Ich habe schon Klügeres gehört. Selbst von den Apologeten des Status-Quo in diesem Forum.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Nennen Sie mir bitte EINE Bild-Kampagne, von der sie plausibel behaupten können, dass sie MEHR war als ein Impuls, der bereits vorhandene Gefühle und Meinungen bei der Leserschaft (und darüber hinaus) mobilisierte. Auch bei Rudi Dutschke ist ihre direkte Urheberschaft eine sehr gepflegte aber nichtsdestotrotz konstruierte Legende, die sich darüber hinaus auch nur auf die fatale Beeinflussung eines einzelnen (bereits anderweitig radikalisierten) Menschen bezieht.

      Was die Bild damals machte, war der verstörten Gefühlswelt jenes Nachkriegs-Spießertums eine Stimme zu geben, das 1968 noch weit zahlreicher war als die fortschrittsbewegten Studenten. Diese Welt musste sie aber nicht erst bauen, die war schon da. Sonst hätten sich die 68er doch gar nicht wie die Bürgerschrecken aufgeführt. Sie WOLLTEN ja provozieren.

      Beim Veggieday ist die Sache noch klarer: Wer die Bild-Meinung für bare Münze nimmt, wählt ohnehin nicht grün. Wie soll also die Bild Menschen aus eigener Kraft vom Grünwählen abbringen? Wenn man Ihre Ressentiments gegen das Blatt mal als Maßstab nimmt, wäre wahrscheinlich ein fettes Lob aus dem Nichts wirksamer, um das zu erreichen...

      Ergo: Was die Bild mit ihrer Kampagne in Gang gesetzt hat, war in der Substanz schon da - und es ging offensichtlich bis in Klientele hinein, die die Bildzeitung gewöhnlich gar nicht erreicht.

      Und wenn Sie glauben, dass irgendwer im Springer-Verlag gerne für den Einbruch der Grünen nach Veggieday "aus der Verantwortung" genommen werden möchte, dann haben Sie das, was Sie selbst über die dortigen Redaktionen wissen, nicht zu Ende gedacht. Die fänden es grandios, wenn sie wirklich so weitreichend Stimmung wortwörtlich "machen" könnten.

      Nein: Wer aus der Verantwortung will, sind die Veggieday-Grünen. SIE wollen sich immer noch nicht eingestehen, dass sie damals für ihre manifeste Neigung zur Bervormundung eine demokratische Klatsche gekriegt haben, und zeigen deshalb mit allen Fingern auf ihr altes Feindbild.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        Déjà vu.

        Beim Lesen Ihrer Erwiderung musste ich schmunzeln. 'Unsere' Themen sind austauschbar, das Ergebnis stets das Gleiche.

        Nur dort, wo Wechselwirkungen zwischen 'Verführern' und 'Verführten' bestehen, kann eine BILD-Zeitung erfolgreich sein, indem sie ihre Leser dort abholt, wo diese bereits sind. Das "glückliche Bewusstsein" (Michael Buselmeier, frühes Mittelalter) kann nur bedient, nicht aber geschaffen werden. Wenn ich Sie richtig verstehe, sind wir da in geistiger Nachbarschaft.

        Was den unsäglichen 'Veggieday' angeht: die damalige Kampagne war in meinen Augen politischer Harakiri. Als Fleischfressende Pflanze hat sie mich eh nur begrenzt begeistert.

        Den Begriff 'Feindbild' in diesem Kontext finde ich aber ein wenig übertrieben.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Bin etwas spät dran, aber der Vollständigkeit halber:

          Das eigentliche "Feindbild" der Grünen ist der (häufig bildlesende) Mehrheitswähler. Dieser ist der Hemmschuh, der sie daran hindert, im Handstreich die Welt zu retten, weil er das "Wir" im bei den Grünen allgegenwärtigen progressiven "Wir müssten..." sabotiert und dafür sorgt, dass ihre heilsbringenden Forderungen weitgehend im Konjunktiv Zwo bleiben. Direkte Wählerschelte geht natürlich nicht, also muss die Bildzeitung herhalten, um dem überbordenden Bedürfnis zur Kritik an dieser sehr großen Bevölkerungsgruppe ein Ziel zu geben.

          Vielleicht gehört auch die bei Linken wie Konservativen bzw. Reaktionären sehr verbreitete unterschwellige Überzeugung dazu, dass die Teile des Volkes, die sich nicht rückhaltlos ihrer Meinung anschließen, minderbemittelte und daher leicht fehlleitbare Lemminge sind, die nur das Großgedruckte nachplappern. Nach dieser Theorie ist natürlich die Bild Wurzel allen Übels.

          Da sie umgekehrt auch schon immer die lauteste Stimme war, die Alles verdammte, was den Grünen lieb und durchsetzungwürdig erschien - einschließlich ihrer selbst -, ist das Wort "Feindbild" auch defensiv durchaus angebracht. Ich sehe also keinen Grund, die Bezeichnung zurückzuziehen.

  • ein wichtiger grund fuer die 8,4% war die ´sex mit jungen menschen ist ok´ affaere, die massgeblich auch die taz mit angeschoben hat

  • Ein systemisches Problem müsse systemisch angegangen werden, so Habeck, „und nicht nur donnerstagnachmittags in Kantinen.“

    Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal mit Herrn Habeck einer Meinung sein würde. Aber er hat Recht. Wenn wir direkt bei den Lebensbedingungen der Tiere ansetzen, erledigt sich der Rest von allein.

  • "Womit endgültig bewiesen wäre, dass es damals nur darum ging, die Grünen klein zu kriegen – mit nachhaltigem Erfolg."

    Ja und Nein.

    Der Veggieday-Vorschlag war zwar der von der Presse gewählte Anstoß für die Abrechnung mit den Grünen. Aber der Saldo aus Ärger und Misstrauen, den die Grünen über Jahre aufgebaut hatten, der war schon da: Ärger über die selbstherrliche Art, wirklich ALLES bis ins letzte Detail der Lebensgestaltung besser zu wissen und Misstrauen gegenüber ihrer Tendenz, "Vorschläge" bei nicht hinreichend enthusiastischer Annahme gerne im nächsten Schritt zu Vorschriften machen - zum eigenen (einzig) Besten der (leider selbst zum Guttun zu blöden ) Mitmenschen.

    Die Bildzeitung allein kann keinen so nachhaltigen Elefanten aus einer Mücke machen. Sie kann nur Schlagzeilen streuen, schauen wie fruchtbar der Boden für sie ist, und dann gegebenenfalls mit Folgestories ein wenig nachwässern. Dieser Boden WAR fruchtbar - und ausgedörrt. Das hatten sich die Grünen selbst zuzuschreiben.

    Insofern war der Vorschlag NICHT "okay" sondern eine absehbar explosive Unsensibilität. Und dass die Grünen das erst im Nachhinein bemerkt haben (und manche es scheinbar bis heute nicht wahrhaben wollen), ist ein Zeichen, dass der Vorwurf der rücksichtslosen Selbstherrlichkeit von damals auch gar nicht so ungerechtfertigt war.

  • „Was sagt die „Bild“-Zeitung dazu? Und was sagen die Grünen?“

    Ist das etwa irgendwie von Belang? Alles doch überhaupt kein Grund taz zu lesen.

  • "Womit endgültig bewiesen wäre, dass es damals nur darum ging, die Grünen klein zu kriegen – mit nachhaltigem Erfolg." Bei den Linken ist das doch auch gelungen und die taz hat hier fleißig mitgewirkt und wirkt noch immer mit:

    www.taz.de/Komment...enknecht/!5578033/

    Die taz sollte deshalb auch bei den Grünen die Empfehlung aussprechen:



    Die Grünen wären gut beraten, die komplette Spitze auszutauschen und sich eine frische, von vergangenen Krämpfen unbelastete neue Führung zu suchen, die kein Dosenbier trinkt, keine Langstreckenflüge an die Westküste verteidigt... Wahrscheinlich ist das nicht. DieGrünen sind halt auch eine strukurkonservative Organisation, die gerade in Krisenzeiten nun auch ganz offensichtlich dazu neigt, den Weg einzuschlagen, der am wenigsten Gefahr zu bergen scheint. Immerhin darin besteht ja dann noch eine weitere Gemeinsamkeit mit der Linskpartei!

  • Was heißt den hier Currywurst... Was ist mit einem Hamburger der nach Jahren immer noch so gut schmeckt wie am ersten Tag. Zuerst drehen die Amis uns den.....an und dann machen die jetzt einen auf gesund. Was stimmt nicht mit denen.