Die Grünen im Saarland: Darf ein Mann auf Platz eins?

Die Saar-Grünen streiten um die Listenaufstellung. Spitzenkandidat Ulrich erntet Kritik – und ein peinliches Video gibt es auch noch.

Spitzenkandidat der Grünen im Saarland, Hubert Ulrich

Spitzenkandidat in der Kritik: der Saarländer Grüne Hubert Ulrich Foto: Oliver Dietze/dpa

FRANKFURT taz | Nach der umstrittenen Wahl des früheren Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Saar-Grünen Hubert Ulrich, 63, zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl brodelt es an der Parteibasis.

In einem Brief, den rund fünfzig Parteimitglieder aus mehr als 20 Ortsvereinen unterschrieben haben, kündigt ein „Grünes Bündnis Saarland“ an, alle innerparteilichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um gegen die Listenaufstellung vorzugehen. Von einem „eklatanten Verstoß gegen die Satzung“ und von einer „Brüskierung des Bundesverbands“ ist da die Rede, weil für Platz eins der Landesliste nach der Bundessatzung zwingend eine Frau vorgesehen sei.

Das Ziel die innerparteilichen Opposition ist es, die Liste mit Ulrich an der Spitze für ungültig erklären zu lassen. Dabei nehmen die Ulrich-KritikerInnen sogar in Kauf, dass die Partei von den Stimmzetteln im Saarland verschwinden könnte.

Laut Gesetz müssen die Listenvorschläge der Parteien bis zum 19. Juli bei der Landeswahlleiterin eingereicht sein. Bis dahin dürften die Parteigerichte den schwelenden Streit noch nicht entschieden haben. Ulrichs GegnerInnen erwägen deshalb sogar die Anrufung ordentlicher Gerichte.

Von wegen Generationenwechsel

Mit kurzer Unterbrechung hatte der 63-jährige Ulrich seit 1991 den Landesverband geführt. Nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2017 (Grüne 4 Prozent) war er als gescheiterter Spitzenkandidat zurückgetreten. Von einem „Generationenwechsel“ war damals die Rede. Doch offenbar beschwingt von den guten Umfragewerten der Partei will er es jetzt noch einmal wissen.

Dass am vergangenen Sonntag Tina Schöpfer, bis zum Parteitag Landesvorsitzende, mit ihrer Kandidatur für den Bundestag gescheitert sei, habe sie sich selbst zuzuschreiben, sagt er: „Die Leute kennen sie und wollten sie nicht!“, so Ulrich zur taz. In fünf Wahlgängen hatten die Delegierten die Kandidatin glatt durchgereicht. Nach dem dritten Wahlgang öffnete die Versammlung „Frauenplatz“ eins für Männer.

Ulrich warf seinen Hut in den Ring und siegte. Als „Quatsch“ bezeichnet er die These, er habe in einem abgekarteten Spiel sein Comeback „rücksichtslos“ und satzungswidrig durchgesetzt. „Mehr Demokratie, als wir hier praktiziert haben, geht nicht“, kommentierte der frisch gewählte Spitzenkandidat die umstrittene Entscheidung.

Allerdings hadert mit der Personalie nicht nur die Gruppe, die das Frauenstatut verletzt sieht. Der Grüne Markus Tressel, 44, der im September aus dem Bundestag ausscheidet, sagt zu den Vorgängen: „Es mutet schon fast tragisch an, wenn ein Mann mit seiner Erfahrung und seinen Verdiensten nicht mehr weiß, wann er der Partei schadet oder nutzt“.

Weggefährten auf Distanz

Tressel hatte im Vorfeld des Parteitags auf eine neue Kandidatur verzichtet, aus privaten Gründen, und wollte auch nicht noch einmal als Landesvorsitzender antreten. Er gibt sich überzeugt, zusammen mit Tina Schöpfer als Vorstands-Tandem die Partei gut auf die Bundestagswahl und die Landtagswahl 2022 vorbereitet zu haben. Hubert habe am Sonntag „mit seinem Allerwertesten alles eingerissen, was andere in vier Jahren mühevoll aufgebaut haben“, sagte Tressel zur taz.

Und auch ein anderer, langjähriger Weggefährte Ulrichs geht auf Distanz: Klaus Kessler, 70, von 2009 bis 2012 grüner Bildungsminister in der ersten, von Ulrich im Saarland ausgehandelten Jamaikakoalition, von 2013 bis 2017 neben Ulrich Landtagsabgeordneter.

Er kritisiert das „System Ulrich“ und nennt die Vorgänge auf dem Parteitag ein abgekartetes Spiel. „Das ganze Gebaren hat der Partei schon schweren Schaden zugefügt“, so Kessler zur taz. Den Brief, mit dem die Annullierung der Liste angestrebt wird, habe er nicht unterschrieben, um nicht zu einer noch größeren Spaltung beizutragen.

Er geht davon aus, dass zahlreiche Ortsvereine und die Grüne Jugend für die von Hubert angeführte Liste keinen Wahlkampf machen werden. „Die, die in der Vergangenheit Wahlkampf gemacht haben, werden das auch diesmal tun!“, gibt sich Ulrich gelassen. Ob er vor ein ordentliches Gericht zieht, sollte das Bundesschiedsgericht die Liste kassieren, fragt ihn die taz. „Ja“ ist Ulrichs Antwort.

Bundesgrüne not amused

Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle der Bundesgrünen mit, der Bundesvorstand habe sich am Montag mit den Vorgängen im Saarland befasst: „Zuständig ist in jedem Fall das Landesschiedsgericht im Saarland“, heißt es aus Berlin. Und auf die Frage, ob Ulrich durch einen Verzicht auf seine Kandidatur möglicherweise den Verstoß gegen die Satzung heilen könnte, antwortet die Pressestelle: „Theoretisch könnte Hubert Ulrich auf den Platz verzichten.“ Ulrich selbst schließt allerdings einen solchen Schritt ausdrücklich aus. Vielleicht auch, weil er weiß, wer ihm auf Platz zwei folgt.

Es ist die von ihm unterstützte Saarbrücker Kommunalpolitikerin Iryna Gaydukova. Im Internet macht ein peinlicher Ausschnitt aus ihrer Parteitags-Befragung die Runde, der Hohn und Spott auf sich zieht. „Wie stehst Du zur Fahrradpolitik? – Fahrrad?“ fragt der um deutliche Aussprache bemühte Versammlungsleiter.

„Ja, ich stehe sehr positiv, was wollt Ihr von mir, wie kann man von einer Grünen erwarten eine andere Antwort?“, ist der erschöpfende Beitrag der Kandidatin. Und zur Frage „Wie willst Du soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz sinnvoll verbinden?“, fällt ihr auch nach einer längeren Bedenkzeit gleich gar nichts ein. Nach der nächsten, ebenfalls unbeantworteten Frage zum Zertifikatshandel reißt das Video ab.

Am Donnerstagmittag meldete der Saarländische Rundfunk, dass Gaydukova wegen des Shitstorms, den sie derzeit erlebe, aus der Partei ausgetreten sei. Am Vormittag war schon der Rücktritt des Landesvorsitzenden Ralph Rouget bekannt geworden – fünf Tage nach seiner Wahl. Es rumort bei den Grünen im Saarland.

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