Gespaltene Grüne im Saarland: Frauenstatut ignoriert

Ex-Landeschef Hubert Ulrich erkämpft Platz eins der grünen Landesliste – obwohl eine Frau vorgesehen ist. Baerbock ist nicht erfreut.

Tina schöpfer be einer Rede

Tina Schöpfer wurde am Sonntag als Vorsitzende der Grünen abgewählt Foto: Imago

FRANKFURT A. M. taz | Pfiffe, Buhrufe, beleidigende Zwischenrufe und der Vorwurf geheimer Absprachen – wie die Listenaufstellung der Saar-Linken vor drei Wochen dokumentierte der Listenparteitag der Grünen in Saarbrücken am vergangenen Sonntag die tiefe Spaltung der Partei im Saarland. Bei der Wahl der KandidatInnen für die Bundestagswahl ließen die Delegierten die amtierende Grünen-Landesvorsitzende Tina Schöpfer zunächst dreimal demonstrativ durchfallen. Anschließend setzten sie mit Hubert Ulrich, 63, einen Mann auf Platz eins der Landesliste.

Die Mahnung von Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, die Bundessatzung der Partei schreibe für Platz eins eine weibliche Kandidatin vor, blieb ohne Wirkung. „Wir haben uns das anders gewünscht“, kommentierte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock den turbulenten Parteitag aus der Ferne.

Der Grünen-Ortsverband Blieskastel erwägt eine Anfechtung der Wahl. Die unterlegene, spontan angetretene Kandidatin Jeanne Dillschneider, die Landessprecherin der Grünen Jugend ist, zeigte sich „schockiert“, dass sich der Landesparteitag über das Frauenstatut der Partei hinweggesetzt habe. Sie kündigte an, die Parteijugend werde für die von Ulrich angeführte Kandidatenliste keinen Wahlkampf machen.

Schon in den Tagen vor dem Grünen-Parteitag hatte sich das ebenso spektakuläre wie umstrittene Comeback des ehemaligen Landes- und Landtagsfraktionschefs angekündigt. Mehrere Landesvorstandsmitglieder hatten ihren Rücktritt mit der Begründung erklärt, dass der bei der Landtagswahl 2017 gescheiterte 63-Jährige in den Hinterzimmern eine erneute Bundestagskandidatur vorbereite.

Ulrichs zwei Rücktritte

Ulrichs Kreisverband Saarlouis stellt rund ein Drittel der Parteitagsdelegierten, der frühere Spitzen-Grüne gilt als gut vernetzt. Nachdem die amtierende Landesvorsitzende Schöpfer ohne Gegenkandidatin glatt durchgefallen war, setzten Ulrichs UnterstützerInnen durch, Platz eins auch für Männer zu öffnen. Ulrich trat an und gewann mit 95 zu 47 Stimmen klar. Der neu gewählte Spitzenkandidat sprach anschließend von einer demokratischen geheimen Entscheidung unabhängiger Delegierter.

Ulrich gilt in der eigenen Partei seit Jahren als umstritten. Zweimal bereits hatte er zurücktreten müssen, 1999 nach einer Dienstwagenaffäre und 2017, nachdem er als Landtags-Spitzenkandidat an der Fünfprozenthürde gescheitert war. 2009 hatte er die grüne Landespartei im Saarland in die bundesweit erste Jamaikakoalition auf Landesebene geführt. Die Entscheidung ging damals mit tiefen Zerwürfnissen bei den Saar-Grünen einher, denn rechnerisch war auch ein Bündnis mit SPD und Linken möglich.

„Saarmaika“ beendete 2012 die damalige saarländische Ministerpräsidentin und heutige Bundesverteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer. Bei der fälligen Neuwahl schaffte Ulrich mit 5 Prozent nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag. Beim Wahlgang 2017 scheiterte er mit 4 Prozent endgültig und gab alle seine Ämter auf. Nun zieht es den „Methusalem der Saar-Grünen“ erneut in den Bundestag, dem er zwischen 2002 und 2004 schon einmal angehört hatte.

Ulrichs KritikerInnen erwägen eine Anfechtung der Wahl. Im schlimmsten Fall könnten die Querelen in der Landespartei dazu führten, dass bis zur Bundestagswahl keine gültige grüne Landesliste zustande kommt. Die Partei würde im Saarland dann nicht auf dem Stimmzettel erscheinen.

Ulrich wird ohnehin nur in den Bundestag einziehen können, wenn die Partei an der Saar besser abschneidet als vor vier Jahren. Für Baerbocks KanzlerInnen-Ambitionen sind die Eskapaden der Landespartei zwar unangenehm, aber nicht entscheidend. Zum Grünen-Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl kamen aus dem Saarland gerade mal 35.000 Stimmen.

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