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Zum „Nationalen Veteranentag“Gehört die Bundeswehr in die Mitte der Gesellschaft?

Der Veteranentag soll das Image der Bundeswehr verbessern. Eine Veteran*in, ein baldiger Soldat und ein Verweigerer erzählen, was sie davon halten.

Für seinen Kriegskurs 1999 blutrot markiert: das Ohr von Joschka Fischer Foto: Bernd Thissen/dpa [M]

Am Sonntag findet in Berlin erstmalig der „Nationale Veteranentag“ statt. Damit soll Ve­te­ra­n:in­nen der Bundeswehr Respekt gezollt und das gesellschaftliche Bild der Truppe verbessert werden. Eine Veteran:in, ein Verweigerer und ein 18-jähriger, der sich für 17 Jahre verpflichtet hat, erzählen, was sie davon halten.

„Im Ernstfall nicht marschieren“

Samira F. ist Ve­te­ra­n*in und bereitet mit dem provisorischen anarchistischen Antikriegsrat seit über einem Jahr Proteste gegen den Veteranentag vor.

Die Veranstalter des Veteranentags beanspruchen, für 10 Millionen Menschen zu reden, die seit 1955 in der Bundeswehr „gedient“ haben. Es wird dabei kein Unterschied zwischen Wehrpflichtigen und Freiwilligen gemacht. Ich bin auch ein*e Veteran*in, bin aber wie viele ehemalige Wehrpflichtige einfach vereinnahmt worden durch die Veranstalter.

Ich absolvierte im Jahr 1985 einen 15-monatigen Grundwehrdienst in einer Kaserne in Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn, die den Namen des Wehrmachtsoffiziers Erwin Rommel trug. In der Kaserne gab es NS-verherrlichende Symbole und wir mussten in unserer Einheit kriegsverherrlichende Lieder zu singen, die eigentlich verboten waren.

Doch es gab in unserer Kaserne auch Widerstand. So wurde die anarchistische Soldaten-Zeitung Rührt Euch breit verbreitet und von den Soldaten gerne gelesen. Ich wurde verdächtigt, etwas mit der illegalen Zeitung zu tun zu haben, was aber nie bewiesen werden konnte.

Ich habe bei meinem Wehrdienst erlebt, wie sich Soldaten selbst verstümmelten, nur um den Militärübungen zu entgehen. Ich wurde in einer Einheit zu Panzerspähsoldaten ausgebildet, die im Ernstfall in den „feindlichen Linien“ operieren sollten. Das überlebt kaum jemand, was den Soldaten bewusst war. Es gab innerhalb „meiner“ Kompanie etwa 30 Soldaten, die schriftlich erklärten, sie würden im Ernstfall nicht marschieren.

Diese Erlebnisse motivierten mich auch zum Wurf des Farbbeutels, mit dem ich den grünen Außenminister Joseph Fischer beim Sonderparteitag 1999 in Bielefeld blutrot markierte. Es war klar, dass Fischer für seinen Kriegskurs eine Mehrheit auf dem Parteitag finden würde. Mir war klar, dass ein Befehl von oben zum Kriegführen bei den Soldaten unten mehr Drill und mehr Repression bedeuten würde.

Ich bin aktiv im provisorischen anarchistischen Antikriegsrat, der hat sich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine gegründet. Mit dem Veteranentag sollen auch alle durch die Kriegsbeteiligung traumatisierten Veteranen an die Bundeswehr gebunden werden, indem argumentiert wird, dass sie hier eine Gemeinschaft finden, die sie auffängt. Doch das ist eine Instrumentalisierung.

Wir fordern die Veteranen auf, sich gegen eine Bundeswehr und eine Gesellschaft zu stellen, die wieder kriegsfähig gemacht werden soll. Wir wollen zu jeder vollen Stunde mit Lärm und Transparenten unsere antimilitaristischen Forderungen deutlich machen. Und ermutigen alle, dann auch innerhalb des Geländes am Reichstag antimilitaristisch sichtbar zu werden.

Protokoll: Peter Nowak

„Die Gefahr scheint mir weit weg“

Marc-Luca Reiser, 18, hat sich für 17 Jahre verpflichtet und beginnt im Juli seine Grundausbildung. Danach wird er bei der Bundeswehr Medizin studieren.

Ich fange im Juli meine Grundausbildung an. Nach den drei Monaten werde ich dann bei der Bundeswehr Medizin studieren. Ich möchte Soldat werden, um Deutschland im Verteidigungsfall zu schützen. Bisher haben wir ja noch eine Verteidigungsarmee. Gleichzeitig ist es mein Traum, Arzt zu werden, um Menschen zu helfen. Beides motiviert mich sehr, wenn ich mich aber entscheiden müsste, würde ich das Medizinische wählen.

Schon als kleines Kind wollte ich Arzt werden. Das Interesse an der Bundeswehr kam dann über einen privaten Kontakt. Auf einer Jobmesse, die wir mit der Schule besuchten, habe ich mich intensiver damit beschäftigt. Kurz darauf habe ich in einem Karrierebüro der Bundeswehr erfahren, dass ich dort Medizin studieren kann.

Angst vor einem drohenden Krieg habe ich nicht. Ich blicke da relativ gelassen drauf, die Gefahr scheint mir immer noch weit weg zu sein. Solange kein Nato-Staat angegriffen wird und wir weiterhin nur im Verteidigungsfall Truppen aussenden, natürlich.

Die ganzen Militärübungen, die gerade durchgeführt werden, sehe ich auch ein bisschen als Provokation von beiden Seiten. Ich glaube aber nicht, dass die Bundeswehr einen Krieg will. Was die Bundeswehr macht, ist ja von der Politik angeordnet. Da laufen sehr viel mehr Prozesse im Hintergrund als dass einfach jemand sagt, ‚wir machen jetzt ein Manöver in der Ostsee und provozieren irgendwen‘.

Ich bekomme natürlich mit, dass viele die Nato-Übungen kritisch sehen und Angst davor haben, dass der Krieg in der Ukraine weiter eskalieren könnte. Aber ich glaube, wir sollten eigentlich froh sein, dass es die Bundeswehr gibt und sie technisch halbwegs auf neustem Stand ist. Ihr Bild in der Gesellschaft zu verbessern, zum Beispiel durch den Veteranentag, finde ich richtig. Die Bundeswehr ist ja auch ein Staatsorgan und wird durch die Politik eingesetzt.

Sorgen mache ich mir selbst aber nicht. Solange ich in der Ausbildung bin, steht mir sowieso kein Auslandseinsatz bevor. Respekt vor dem Gedanken habe ich aber trotzdem. Es muss aber auch nicht nur im Kriegsfall etwas passieren, auch bei Übungen mit scharfer Munition kann es Unfälle geben.

Das Berufsrisiko ist neben der langen Verpflichtungszeit einer der Hauptgründe, warum meine Freunde nicht zur Bundeswehr gehen würden. Ich gehe zwar zum Sanitätsdienst, wäre aber prinzipiell auch bereit gewesen, in anderen Einheiten eingesetzt zu werden.

Deutsche Waffenlieferungen an Nicht-Nato-Staaten lehne ich allerdings ab. Damit mischt sich die Bundesrepublik in einer Weise ins Weltgeschehen ein, die ethisch nicht vertretbar ist. Meiner Meinung nach werden Kriege so nur weiter befeuert.

Protokoll: Marco Fründt

„Später haben die Feldjäger mich geschnappt“

Thomas Siepelmeyer ist 69 Jahre alt und Kriegsdienstverweigerer. Dafür saß er im Gefängnis. Geändert hat das an seiner Haltung nichts.

Ich bin überzeugt, dass es völlig falsch ist, Krieg zu führen. Seit ich 13 Jahre alt bin, bin ich in der Antimilitarismusbewegung aktiv. In der Jugend haben wir viele Aktionen gemacht: Als 1967 das Friedensdorf in Oberhausen eröffnet wurde, haben wir uns dort mit um die kriegsverletzen Kinder aus Vietnam gekümmert sowie Kriegsverweigerer, die in umliegenden Kasernen der kleinen Stadt im Münsterland, wo wir lebten, inhaftiert waren.

Mit 18 Jahren wurde ich dann zur Musterung geladen. Ich bin erschienen, habe mich aber geweigert, mich medizinisch untersuchen zu lassen. Ich verwehre dem Staat das Recht, mich fürs Töten tauglich zu befinden. Nach mehreren Befragungen wurde ich zurückgestellt, konnte studieren und musste nicht zum Dienst – bis kurz vor meinem 28. Geburtstag.

Da erhielt ich einen Einberufungsbefehl zu den Panzerpionieren, inklusive Wehrpass. Den habe ich verbrannt und die Asche zurückgeschickt. Ein halbes Jahr später haben mich dann die Feldjäger an der holländischen Grenze geschnappt. Dann saß ich 9 Monate in Münster im Knast wegen totaler Kriegsdienstverweigerung.

Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es richtig ist, sich gegen den Krieg zu stellen. Umso erschreckender finde ich, wie stark jetzt wieder auf Kriegstüchtigkeit getrimmt wird. Ich hätte nie gedacht, dass so eine Stimmung gesellschaftlich nach 80 Jahren kriegerischer bis genozidaler Verbrechen weltweit durch Militär und bewaffnete Banden wieder aufkommen kann.

Mir ist schleierhaft, wie die Mehrheit der Menschen in Deutschland und in Europa meint, dass es sinnvoll sei, aufzurüsten. Allein aus wirtschaftlicher Sicht ist das absurd.

Wie kann man glauben, dass Panzer, Drohnen oder Schiffe ein Investitionsgut sein können? Die stehen nur rum und wenn es gut ausgeht, werden sie irgendwann verschrottet und sonst im Krieg zerstört, nachdem sie selbst massiv Tod und Zerstörung gebracht haben.

Das ist eine Verschwendung von menschlicher Arbeitskraft und Ressourcen. Und dennoch steuern wir erneut genau in diese Logik: 500 Milliarden Euro und mehr werden lockergemacht, um ein militärisches Arsenal aufzubauen. Es kann nicht sein, dass das die Lehre aus unserer Geschichte sein soll.

Seit dem Krieg in der Ukraine wird wieder die Linie verfolgt: „Der Russe ist unser Feind“. Natürlich ist die russische Regierung der Aggressor. Aber warum ist der Russe jetzt der besondere Feind? Was ist mit all den anderen Aggressoren und Kriegen, die den Westen jahrzehntelang nicht interessiert haben oder die er selbst geführt hat?

Das ist so ein eurozentristischer Standpunkt. Ich halte das für eine politische Strategie, um den Bedeutungsverlust von westlichen Staaten, insbesondere der USA aufzuhalten.

Weder Deutschland noch die anderen EU-Staaten haben ein Konzept des weltbürgerlichen Zusammenlebens. Wir haben keine Politik, die Menschen einbezieht und soziale Verteidigung ernst nimmt. Dabei existieren zivile Verteidigungskonzepte, etwa durch gewaltfreien Widerstand, Straßenblockaden, das Lahmlegen von Infrastruktur oder kreative Formen des zivilen Ungehorsams. Doch anstatt diese Ansätze ernsthaft zu prüfen und weiterzuentwickeln, werden sie als utopische Spinnereien abgetan.

Einen Veteranentag finde ich lächerlich. Es ist der Versuch, der Bundeswehr ein progressives Image zu verpassen, obwohl ihre Traditionen in die Wehrmacht mit all ihren Verbrechen zurückgehen.

Protokoll: Lilly Schröder

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3 Kommentare

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  • Mit 18 einen garantierten und m.W. als Leutnant besoldeten Medizinstudienplatz, mit 35 garantiert mit der Facharztausbildung fertig , das schafft zivil kaum jemand. Die Kriegsdienstverweigerer von früher, die mit Grundsold Pflegehelfer und Rettungssanitäter waren und sich dann in gemischter Kalkulation bis zum Facharzt durchgeschlagen haben nicht mitgerechnet . Wir wünschen viel Erfolg. Privilegien allerdings, waren noch nie gesund.

  • Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das Parlament bestimmt über den Einsatz. Unsere Frauen und Männer der Truppe wurden in gefährliche Auslandseinsätze geschickt und mussten Tod und Verwundung in Kauf nehmen. Sie sind bereit Deutschland zu verteidigen. Für ihren gefährlichen Dienst verdienen sie unseren Respekt. Ein Veteranentag ist das Mindeste an Anerkennung.

  • Bundeswehr verpflichtet seit Jahren Rekruten auch ab 17 Jahren zu freiwilligem Wehrdienst. Trotz UN-Konvention, die Einsatz von Kindersoldaten untersagt, hält Bundesregierung an der Rekrutierung Minderjähriger fest. So leisten aktuell etwa 1800 unter 18-Jährige ihren Grundwehrdienst – ob aus freiem Willen oder auf Druck elterlicher bzw. sozialer Umfelder bleibt dabei offen. Während Konzept der Inneren Führung, das dank Bundeswehrgeneral Wolf Graf von Baudissin seit 1955 gilt, Soldaten Rechte als Staatsbürger in Uniform sichern soll, gibt es berechtigte Zweifel, ob dies in Einsatzfällen, vor allem im NATO-Kontext, tatsächlich gelingt. Insbesondere im ersten militärischen Nato Einsatz – ausgerufen Tag nach Nine Eleven 2001 Anschlägen im Rahmen uneingeschränkter Solidarität mit den USA gegen sog internationalen Terrorismus – bleiben Fragen offen, da dieser Einsatz, trotz 20Jahren August 2021 gescheiterten ist, formal nie beendet wurde. Zudem ist es nicht nur die hierarchische Befehlskette, die wirkt, sondern auch taktischer Gruppendruck innerhalb Kompanien: Offiziere, Feldwebel und Unteroffiziere setzen ihre Ziele oft indirekt nicht direkt durch dokumentierte Befehlskette durch