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Die FDP und der Paragraf 218Die FDP blockiert sich selbst

Cem-Odos Gueler
Kommentar von Cem-Odos Gueler

Für ihren Machtanspruch gibt die FDP sogar eigene Standpunkte auf. Aktuelles Beispiel: die Abstimmung zur Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218.

Blockieren, taktieren und tricksen: Alltag bei der FDP Foto: snapshot/imago

D ie Liberalen mögen die Hoffnung hegen, dass sie mit der Vorstellung ihres neuen Wahlprogramms die trüben Tage hinter sich lassen. Parteichef Christian Lindner und sein neuer Generalsekretär Marco Buschmann versuchen derzeit mit der geballten Kraft ihrer Kommunikationsstrategen, den Spin zu setzen, es gehe ab jetzt nur noch um Inhalte. Dabei ist am Mittwoch einmal mehr klar geworden, dass die FDP im Zweifel auch gegen ihre eigenen Prinzipien stimmt, wenn es um ihre Machtoptionen geht.

Im neuen Wahlprogramm spricht sich die FDP dafür aus, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu vereinfachen. „Medikamentöse Abbruchmethoden sollten Schwangeren besser zugänglich gemacht werden“, heißt es dort etwa. Doch wo ein FDP-Versprechen ist, ist der Winkelzug nicht weit: Denn zeitgleich mit der Vorstellung ­ihres Wahlprogramms stellten sich FDP-Abgeordnete im Bundestag genau ­dieser Liberalisierung von Abbrüchen in den Weg.

Im Bundestag will die FDP die Abschaffung des Paragrafen 218, der Abtreibungen in Deutschland unter Strafe stellt, mit allen Mitteln verhindern. ­Dafür schöpfen die Liberalen aus dem vollen Repertoire der parlamentarischen Bürokratie – im Rechtsausschuss des Bundestags versuchten sie durch Tagesordnungstricks den Entwurf so zu blockieren, dass er es für die finale Abstimmung nicht wieder ins Plenum schafft. Dort gibt es nämlich aktuell noch die historische Chance, Abtreibungen in Deutschland endlich zu legalisieren.

Die Liberalen buhlen um die Gunst der Union. Auch progressivere Abgeordnete in der FDP wollen lieber nicht den Bruch mit Lindner riskieren, der bei Abtreibungen konservativere Ansichten vertritt. Auf der Strecke bleiben ungewollt Schwangere, aber auch die Mehrheit der Gesellschaft, die längst dafür ist, Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Die FDP stellt sich der gesellschaftlichen Liberalisierung in den Weg. Doch das windige Verhalten dieser Partei ist eigentlich keine Überraschung mehr.

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Cem-Odos Gueler
Parlamentsbüro
Berichtet seit 2023 als Korrespondent im Parlamentsbüro der taz unter anderem über die FDP und die Union. Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Köln, Moskau und London.
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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die FDP ist aktuell nicht dafür bekannt, Direktmandte zu erzielen. Unter den Bedingungen des neuen Wahlgesetzes wird es wohl auch keine Schützenhilfe der Union geben (können), um die Gelben ins Parlament zu hieven. Von Machtoptionen, die man sich mit der Blockade sichern wolle, kann also keine Rede sein.

    In Anbetracht dessen, was über das Verhalten der Noch-Abgeordneten aus der Lindner-Partei berichtet wird, ist auch nicht klar, wieso es sich bei einer Abschaffung des §218 StGB um ein Thema dieser Partei handeln solle. Da wird nichts aufgegeben, was der lieb und teuer gewesen sein könnte, anderenfalls wäre das längst abgearbeitet.

  • Ach, die FDP...

  • Ich stelle mal wieder fest, dass es hier vermutlich ausschließlich Männer sind, die hervorheben, dass ein Schwangerschaftsabbruch ja unter bestimmten Bedingungen strafrechtlich nicht verfolgt wird. Sollen die Frauen damit doch zufrieden sein.



    Kann den Herren ja auch egal sein, weil sie ja sicher sein können, dass sie nie in die Situation kommen können, eine Straftat begehen zu müssen, die freundlicherweise unter bestimmten Bedingungen - Zwangsberatung, denn wie sollte eine Frau das auch allein entscheiden können - nicht strafrechtlich verfolgt wird.



    Es kann ihnen ja auch egal sein, wie sich für eine betroffene Frau der Unterschied anfühlt zwischen "eine Straftat begehen, aber unter bestimmten Bedingungen nicht strafrechtlich verfolgt zu werden" und "unter bestimmten Bedingungen einen eben nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruch" vornehmen zu können. Von der gefühlten Kriminalisierung des Umfelds und dadurch bedingten eingeschränkten Zugang zu Abbruchsmöglichkeiten mal ganz zu schweigen.



    Wenn es ihnen aber objektiv egal sein kann und sie auch nicht die Fantasie haben, sich annähernd in die Situation einer betroffenen Frau hineinzuversetzen, könnten sie , m.E. einfach mal die Sch..

    • @Life is Life:

      Ich würde in der Tat unterstellen, dass eine ungewollt Schwangere wichtigeres im Kopf hat als diese Haarspalterei. Zumal - wenn wir schon dabei sind: Eine Handlung, die den Straftatbestand ausdrücklich NICHT erfüllt (so steht's im aktuellen § 218a bei Einhaltung der Bedingungen drin), ist auch keine "Straftat".

      Dasselbe in Grün gibt es auch anderswo: Tut man mehr oder minder dasselbe, nur etwas anders, ist das eine Straftat und das andere nicht. Wenn Sie zum Beispiel jemandem für viel Geld eine sehr gute Imitation eines wertvollen Originals, kann das gut ein Betrug sein - es sei denn, man SAGT dem Käufer, dass es nicht das Original ist. Das kann extrem unangenehm sein, aber da muss man durch. Das gleiche gilt, wenn Sie Jemandem mit der Faust ins Gesicht schlagen: Körperverletzung, aber völlig legal, wenn es sich um einen einvernehmlichen Boxkampf handelt.

      Das Problem bei der Abtreibung ist, dass man den Embryo/Fötus nicht fragen kann, ob es für ihn ok ist, ihn abzutöten. Und entgegen gewisser Mythen kann man eben nicht unterstellen, dass eine ungewollt werdende Mutter in ihrer Not bei der Entscheidung dessen Wohl und Würde wirklich reflektiert - daher die Beratung.

  • Die Argumente überzeugen nicht. Die FDP ist doch nicht mehr in der Regierung. Was soll also der Versuch sie zur Zustimmung zu bewegen. Come in: its over

    • @GregTheCrack:

      Ich brech das mal für Sie runter;



      FDP: Wir wollen "A".



      Regierung: Lass mal "A" machen, weil jetzt könnten wir das noch machen, nach der Wahl eher nicht mehr.



      FDP: Nein. Mit euch machen wir "A" nicht. Wir finden euch doof. Wir sagen aber, dass wir "A" wollen und können dann nach der Wahl nicht dran machen, obwohl wir "A" schon wirklich gern gewollt hätten. Aber nicht mit euch!

      • @LeSti:

        Vielen Dank, daß sie es für mich runtergebrochen haben. In ihrem Duktus ( Wikipedia) : FDP in der Regierung trägt Kompromis mit. FDP nicht mehr in der Regierung: trägt Kompromis nicht mehr mit. Deshalb jetzt der Versuch eines Gruppenantrages.

        Daß das ein - noch nicht Mal geeinter - Kompromis war, sagt viel über die Kompromisfähigkeit der FDP aus.

        Jetzt: over

  • Gern wird hier unterschlagen, dass der "überparteiliche Antrag", getragen von Rot-Grün ist und aktuell die Unterstützung der AFD billigend in Kauf genommen wird, bei den taktischen Spielchen. Das selbe Vorgehen von der CDU würde hier einen Sturm der Entrüstung auslösen.

    Ich wäre dafür, den Abgeordneten generell mehr Wahlfreiheit einzuräumen, mehr dem Gewissen verantwortlich zu sein, als eine Parteiendemokratie (Parteiendiktatur?), die allzuoft lediglich Macht im Sinn hat.

    • @Dr. Idiotas:

      Sind wir fair: Dass ausgerechnet bei der AfD die entscheidende Handvoll Stimmen für Öffnungen im Abtreibungsrecht zu holen wären, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Im Gegenteil ist ja die erwartetete Stärke im nächsten Bundestag neben der der CDU der Hauptgrund für die Eile, das Vorhaben jetzt noch durchs Parlament zu prügeln.

      Keine Fraktion weist einen größeren Anteil von entschiedenen AbtreibungsGEGNERN auf, die schon die aktuelle Regelung nur zähneknirschend mittragen. Der Rest wird sich hüten, ausgerechnet so einem progressiven Herzensanliegen noch zu einem ungeahnten "Buzzerbeater"-Sieg zu verhelfen. Etwaige Abweichler wären schneller von ihrer Landesliste geflogen, als sie "Gewissensentscheidung" sagen könnten.

      Und die Parteien"diktatur" ist rein faktisch durch das Verhältniswahlrecht bedingt. Wer meint, dass es doch eine gute Idee wäre, dieses mal abzuschaffen, sollte sich überlegen, welche Geister er da ruft - gerade als Linker.

  • Wer den Änderungsentwurf für ein "Do or Die" liberaler Politik im Abtreibungsrecht hält, sollte ihn vielleicht erst einmal durchlesen. Da wird so gut wie nichts liberalisiert, sondern nur Strafbarkeit verschoben - vom einen Gesetz ins andere und von der Schwangeren auf den Abtreibungsarzt. Der Rest ist im Wesentlichen Symbol-Lametta und das Ganze trotzdem verfassungsrechtlich fragwürdig. Ich kann Jeden verstehen, der dagegen ist, sowas jetzt noch schnell übers Knie zu brechen.

    • @Normalo:

      Es ist vielleicht noch erwähnenswert, das die Anhänger*innen des Entwurfes auch nicht müde werden, zu betonen, diese Verschiebung der Strafbarkeit würde mehr Ärzt*innen ermutigen, Abtreibungen anzubieten. Die Logik dahinter ist mir nicht klar, mir sind keine Ärzt*innen bekannt, die sagen: "Also, wenn die Strafbarkeit nicht mehr im §218, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz spezifiziert ist, dann biete ich ab jetzt Abtreibungen an."

      • @Agarack:

        Es ist wie mit dem real existierenden Sozialismus: Sie kennen offenbar nur die FALSCHEN Ärzt*innen...

  • Seit wann ist es für „ungewollt Schwangere“ nicht möglich in Deutschland straffrei abzutreiben?

    • @Dirk Osygus:

      In Deutschland Ost seit den 1990er Jahren - ein Geschenk des Einheitsvertrages

    • @Dirk Osygus:

      seit mehr als 70 Jahren ist das strafbewehrt. Es wird nur "groszügig" nicht gemacht - steht so im Strafgesetzbuch

      • @Ramelow Cathrin:

        Straffrei ist straffrei, und von den vielen Stufen der Ausnahme von der Strafbarkeit, die das StGB kennt, sind in 218a die höchsten verwendet (nicht den Tatbestand erfüllend bzw. nicht rechtswidrig). Die meisten Menschen tun täglich Dinge, die klarer verboten und weit weniger deutlich von strafbarem Verhalten unterscheidbar sind. Nur wird das aus unerfindlichen Gründen nicht so heiß gegessen.

        Es gibt zwar das Problem auf der Anbieterseite, das das grundsätzliche Verbot sich in Ausbildung und sozialstaatlicher Förderung niederschlägt und deshalb wenige Ärzte für Abtreibungen zur Verfügung stehen. Aber das wird durch DIESEN Änderungsentwurf auch m Ergebnis vermutlich nicht behoben werden. Denn er holt zwar den Fall der beratenden, ärztlich durchgeführten Abbruch in den ersten zwölf Wochen auch noch den letzten Millimeter in die Legalität, stellt aber dafür die Ärzte in den anderen Fällen, die verboten bleiben, komplett allein in den Regen.

  • Für den aufmerksamen Beobachter und komperenten Journalisten kommt diese ganz und gar nicht mehr liberale Politik der FDP nicht überraschend: "Die Liberalen" wurden schon vor Jahren fallen gelassen - man achte auf Plakate usw.



    Stattdessen beheimatet diese Partei heute nur noch "Die Lindners".

  • "nicht den Bruch mit Lindner riskieren, der bei Abtreibungen konservativere Ansichten vertritt."



    deWiki



    "In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung bewarb Lindner 2010 eine „republikanische Identität“, denn die Welt sei geordnet durch weltliche Gesetze, nicht aber durch religiöse Gebote."



    "Lindner hält zudem "jede Form der Symbolpolitik mit religiösen Zeichen" für gefährlich"



    www.katholisch.de/...-kirchenfeind-aber



    Ist beim Lindner 5 Jahre später also nix Gutes mehr übrig?

    Persönlich unterstütze ich zwar die Legalisierung der Abtreibung (in der Hoffnung dass die Selbstbestimmung letztlich zur einer Erhöhung der Geburtenrate führt) bin aber vielmehr endlich an einer Legalisierung der embryonalen Stammzellenforschung interessiert, die ist der wahre Endgegner hier.

    Es ist schlicht GG feindlich kriminell Menschen hierzulande sterben zu lassen weil Ungeborenes "Leben" wichtiger sei als sie,wodrauf das Embryonenschutzgesetz seit 30+Jahren hinausläuft anstatt zu forschen an künstlichen Ersatzorganen!



    Seit 10+Jahren warten wir aufs 3d gedruckte Herz



    pmc.ncbi.nlm.nih.g...icles/PMC11092277/ USA geht voran,D not! :'( .

  • Die FDP gibt gesellschaftlich liberale Standpunkte auf im Gegenzug für Regierungsbeteiligung und Steuersenkungen für Besserverdienende? Ich bin ja völlig überrascht!

    ...oder auch nicht. Das ist eben der Liberalismus der FDP.

    • @SanktNiklas:

      Die Sache ist komplizierter. Gerade der linksliberale Flügel der FDP versteht sich primär als Verteidiger von Menschenrechten, zu denen auch das Leben und - nach gültiger Lesart des Bundesverfassungsgerichts - auch das ungeborene Leben gehört. Von daher ist keine der beiden Extrempositionen eindeutig als "DIE liberale" einzuordnen. Es geht aus dieser Sicht um eine Überlappung von individuellen Schutzbereichen, für die es die bestmögliche Balance zu finden gilt. Insofern ist die Position, das gerne neu zu regeln, aber bitte nicht so schnell noch vor der Wahl übers Knie gebrochen, durchaus konsequent.

      • @Normalo:

        Zitat: "Insofern ist die Position, das gerne neu zu regeln, aber bitte nicht so schnell noch vor der Wahl übers Knie gebrochen, durchaus konsequent."

        Das wäre nicht konsequent, sondern realitätsfern. Nach der Wahl wird das nicht mehr neu geregelt. Und wenn schon, dann nicht mit Stimmen einer FDP-Fraktion, denn eine solche ist dann nicht mehr da.