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Das Symptom Kemmerich

Vor drei Jahren ließ sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen. Heute argumentieren manche in der FDP populistisch gegen das Heizungsgesetz und bedienen rechte Narrative. Wie wird sich die Partei in Zukunft positionieren?

Björn Höcke gratuliert Thomas Kemmerich am 5. Februar 2020. Parteichef Christian Lindner und Parteivize Wolfgang Kubicki auf dem Parteitag im April 2023 Fotos: Karina Hessland/imago, Christoph Soeder/dpa

Von Jasmin Kalarickal, Michael Bartsch und Gareth Joswig

Wenn die Temperaturen sich langsam regulieren im politischen Heizungskeller, dann kann es sein, dass Wolfgang Kubicki kommt und den Regler hochdreht. Seit Wochen streitet die Ampel erbittert über das Gesetz mit dem ­sperrigen Namen Gebäudeenergiegesetz, das nach und nach Gas- und Ölheizungen durch klimafreundliche Alternativen ersetzen soll. Prominente Gegner: FDP-Vize Wolfgang Kubicki, bekannt für seine lockere Zunge, und FDP-Politiker Frank Schäffler, bekannt als Eurokritiker und einst bekennender Klimaskeptiker.

Es gibt berechtigte Kritik an dem Gesetzentwurf. Aber es gibt auch Leute, die unter dem Vorwand der Kritik das Gesetz grundsätzlich torpedieren wollen. Schäffler nannte das Heizungsgesetz eine „Atombombe“. Er war es auch, der auf dem letzten Parteitag einen Dringlichkeitsantrag gegen „die falsche Klima- und Energiepolitik der Grünen“ einbrachte, der auf breite Zustimmung stieß. Von ihm und Kubicki stammen auch die berüchtigten 101 Fragen zum Gesetz, von deren Existenz man über Bild erfuhr. Lange war nicht klar, ob es sie wirklich gibt und ob das Ganze von der Fraktion abgesegnet war.

Offiziell kamen 77 Fragen im Wirtschafts- und im Bauministerium an, die inzwischen brav abgearbeitet wurden. Aber Kubicki will immer noch alle 101, teils absurde Fragen beantwortet haben. Zum Beispiel, in wie vielen Mehrfamilienhäusern der Dachstuhl als Wäschetrocknungsraum genutzt wird. Nun sprechen Kubicki und Schäffler nicht für die gesamte FDP-Fraktion, aber sie haben Rückhalt und bestimmen zunehmend den Ton.

Kubicki ist kein populistischer Hinterbänkler, der den Wirtschaftsminister aus Versehen mal mit Putin vergleicht und später um Entschuldigung bittet. Er ist Parteivize und Bundestagsvizepräsident – und äußerst beliebt bei der Basis. Er und Schäffler richten sich an ein gewisses Spektrum: Klimaskeptiker, Coronaleugner, Putin-Freunde, den Stammtisch, der gegen den linken Zeitgeist wettert. Grünen-Bashing inklusive.

Die Frage ist: Wie sehr wird das den künftigen Kurs, die Rhetorik der FDP bestimmen? Und das Regierungshandeln? In Umfragen steht die FDP derzeit bei 7 Prozent. Die Blockaden und die PR-Nummer mit den Fragen haben ihr nicht geschadet. FDP-Chef Christian Lindner arbeite für ein „nicht­linkes Deutschland“, sagte er jüngst auf dem FDP-Bundesparteitag. Aber was heißt „nichtlinks“? Liberal? Konservativ? Rechts?

Am ersten Tag des Parteitags geht FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Rednerpult. Er spricht über die Stärkung des deutschen Mittelstands und fehlende Fachkräfte. „Die alleinige Lösung ist auch nicht, sie nur per Zuwanderung aus dem Ausland zu gewinnen“, sagt er. Dann erzählt er eine Anekdote eines Bekannten, der am Flughafen Frankfurt 90 Minuten auf seinen Koffer warten musste. Dieser habe gesagt: „Wir haben in Deutschland keinen mehr, der einen Koffer schleppt, aber alle Beauftragtenstellen für Gleichberechtigung und solche Dinge“ seien besetzt.

Man muss sich die Botschaft schon mühsam zusammenreimen. Dürfen im Weltbild von Thomas Kemmerich ausländische Arbeitskräfte nur Koffer schleppen? Der Applaus ist bescheiden. Gegen Ende der Rede blickt er zum Parteichef Christian Lindner, der mit einem Teil des Präsidiums auf der Bühne sitzt. Er bedankt sich per Du, dass die Schuldenbremse steht. Als Kemmerich die Bühne verlässt, klatscht niemand vom Präsidium.

Es sind diese Feinheiten im Umgang, die zeigen, dass es sich bei Thomas Kemmerich nicht um irgendwen handelt, sondern um den Mann, der eine Regierungskrise in Thüringen ausgelöst hat. Der Handschlag am 5. Februar 2020 zwischen ihm und dem rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke ist ein Bild, das in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen ist: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Kemmerichs Wahl mit AfD-Stimmen „unverzeihlich“. FDP-Vize Wolfgang Kubicki gratulierte zunächst, das sei „ein großartiger Erfolg“, ruderte aber wieder zurück. FDP-Chef Christian Lindner wirkte wie ein Getriebener. Schließlich musste Kemmerich zurücktreten. Die Parteispitze entzog ihm jede weitere Unterstützung.

Heute, drei Krisen später, wirkt die Causa Kemmerich wie eine Anekdote aus der Mottenkiste. Aber das ist sie nicht. Kemmerich bezeichnet die AfD zwar als „Feind“ und schließt jegliche Zusammenarbeit aus. Aber politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD zu erreichen, findet er legitim. „Natürlich werben wir in den Parlamenten für unsere Anträge und unsere Überzeugungen. Wenn die AfD am Ende zustimmt, dann werde ich mich nicht von meiner politischen Überzeugung abbringen lassen“, sagt er am Rande des Bundesparteitags.

Thomas Kemmerich, der immer noch gern Visitenkarten als „Ministerpräsident a. D“ verteilt, ist in Thüringen politisch erstaunlich unbeschadet aus dieser Geschichte hervorgegangen. Auf den AfD-Trick eines Scheinkandidaten sei er nicht vorbereitet gewesen, sagt er bei einem Treffen in Erfurt. „In wenigen Sekundenbruchteilen“ habe er eine Entscheidung treffen müssen: die Wahl annehmen oder ablehnen. Also alles ein Versehen?

Nur wenige Monate nach dem Eklat, während der Pandemie im Mai 2020 trat Kemmerich auf einer Demo gegen Coronaschutzmaßnahmen in Gera auf. Mit dabei: Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und AfD-Spitzenpersonal. Für Kemmerich eine Veranstaltung von „mehreren Hundert Bürgerlichen“, er verweist darauf, dass auch der Thüringer Innenstaatssekretär den Großteil der Demonstranten dem bürgerlichen Spektrum zuordnete. „Auf dem Markt war nicht zu erkennen, wer da noch mit auftaucht.“ Noch so ein Versehen.

Kemmerich genießt Rückhalt in seinem Thüringer Landesverband. Im Oktober 2022 wurde er erneut mit 87 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt. Bei der anstehenden Wahl 2024 will er wieder Spitzendkandidat werden. Er begründete das mit seiner Bekanntheit.

Der Thüringer SPD-Fraktionschef Matthias Hey spricht vom „stramm konservativ geführten Laden von Kemmerich“. Mit ihren vier Stimmen hätte die FDP im Landtag etwa bei Haushaltsberatungen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung zur Mehrheit verhelfen können, wie das die CDU punktuell tut. Das aber verweigere die Thüringer FDP wegen ihrer Linken-Aversion hartnäckig. Wer die Thüringer FDP verstehen will, muss nur in den Leitantrag des jüngsten Landesparteitags schauen. Da wird eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen, ebenso mit der Linkspartei. Der Hauptfeind steht für den gebürtigen Westdeutschen Kemmerich unübersehbar links. Ohne jede Differenzierung gilt ihm die Linke als SED-Nachfolgepartei. Man kann den Handschlag mit Höcke auch so interpretieren: lieber rechts als links. Martin Debes, der ein Buch über die Thüringer Regierungskrise geschrieben hat, kritisiert eine mangelnde Aufarbeitung der Thüringer FDP. Stattdessen stehe „sie in tumbem Trotz zu Kemmerich“. Gerade in Parlamenten, in denen die AfD stark sei, müsse bei allem dringend nötigen politischen Wettbewerb ein Grundkonsens der Demokraten herrschen, meint Debes. Leider werde diese staatspolitische Verantwortung oft zitiert, aber seltener danach gehandelt.

Bei der Wahl im Herbst 2024 könnte die AfD in Thüringen stärkste Kraft werden. Bei der FDP ist unklar, ob sie den Einzug in den Landtag schafft. Doch ein Spitzenkandidat namens Kemmerich würde die Bundes-FDP in Erklärungsnot bringen.

Kemmerich ist jedoch kein reines Thüringenproblem. Es geht um die Frage, wie man strategisch weitermachen will mit einer AfD im Umfragehoch. Harte Abgrenzung oder verbale Annäherung? Das Erstarken der AfD bringt vor allem konservative Parteien in die Bredouille. Punkten will man offenbar nicht links der Mitte. Aber rechts der Mitte sieht man Platz. Kemmerich ist mehr als nur ein Ausrutscher in der Geschichte. Kemmerich ist ein Symptom eines Richtungskampfes, der sich auch beim Heizungsgesetz beobachten lässt. Wo und wie lassen sich Unterstützer*in­nen gewinnen? Die FDP mit ihrer kleinen Stammwählerschaft will unterschiedliche Wählermilieus binden.

In der FDP-Bundestagsfraktion gründete sich 2020 nach dem Dammbruch in Thüringen eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Umgang mit der AfD beschäftigte. Es ging darum, wie man den Rechtspopulisten im parlamentarischen Raum begegnen will, und um langfristige Strategien. Leiter dieser Arbeitsgruppe war Benjamin Strasser, der heute parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium ist. Strasser will auf Nachfrage nicht mit der taz reden. Die Arbeit sei mit einem internen Abschlussbericht beendet, die Gruppe gebe es nicht mehr, teilt sein Pressesprecher mit.

„Die FDP blutet nach rechts aus“

Manfred Güllner, Forsa-Chef

Unter anderem gehörte Marie-Agnes Strack-Zimmermann dieser Gruppe an. Im Gegensatz zu Lindner und Kubicki hatte sie sich von Anfang an deutlich von Kemmerich distanziert. „Meine Haltung hat sich nicht verändert“, erklärt sie. Sie verweist auf den Beschluss des FDP-Präsidiums, der besagt, dass eine Spitzenkandidatur von Kemmerich finanziell und organisatorisch nicht unterstützt wird. Doch die Landesverbände seien „frei in ihrer Entscheidung, wen sie zu Wahlen aufstellen“, sagt Strack-Zimmermann. Kemmerich aber hofft auf Unterstützung der Bundespartei. Er sieht den Beschluss des Präsidiums als verjährt an. Mehr noch: Er behauptet, er sei „in Gesprächen mit Christian Lindner und dem Bundespräsidium“. Das Verhältnis zu Lindner sei „professionell entspannt“.

Die Bundespartei weist diese Erzählung zurück. „Es finden keine Gespräche zwischen Thomas Kemmerich und dem Präsidium der FDP statt“, heißt es auf Nachfrage. Zudem wird betont, der Beschluss des FDP-Präsidiums vom 9. Oktober 2020 gelte. Ebenso der Beschluss des Bundesvorstandes der FDP vom 7. Februar 2020 mit dem Titel „Brandmauer gegen die AfD“. Darin heißt es, die Partei lehne es auf allen Ebenen ab, „mit der AfD zusammenzuarbeiten oder eine Abhängigkeit von der AfD in Kauf zu nehmen“.

Doch trotz der offiziellen Beschlusslage gibt es vor allem auf kommunaler Ebene ähnlich wie bei der CDU immer wieder Übernahmen von AfD-Themen und auch direkte Zusammenarbeit: Erst am 16. März 2023 stimmten CDU und FDP im Stadtrat Stralsund für den AfD-Antrag „Gendern konsequent unterbinden – Kommunikation in regelkonformer Sprache“. In der Hamburger Bürgerschaft hat die FDP vor 2020 zehnmal für AfD-Anträge gestimmt. In Thüringen wählten CDU und FDP im Saale-Holz-Kreis einen AfD-Kandidaten, der zuvor beim rechtsextremen Thügida aufgetreten war, in einen überregionalen Zweckverband. Rechtsextremismusexperten beklagen, dass man durch die Übernahmen rassistischer Narrative zur Flüchtlingspolitik oder durch AfD-Themen letztlich den Resonanzraum der extremen Rechten vergrößere und dem Original mehr Stimmen verschaffe.

Die FDP grenzt sich offiziell von der AfD ab. Dennoch verdient das Verhältnis zum rechtspopulistischen Spek­trum zumindest den Beziehungsstatus „kompliziert“. Aufschlussreich war eine Umfrage vom ARD-Deutschlandtrend unmittelbar nach dem Kemmerich-Eklat. Unter befragten FDP-Anhänger*innen sprachen sich 25 Prozent prinzipiell gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus, 62 Prozent wünschten sich, dass man von Fall zu Fall entscheide.

Nationalliberale Tradition

Nationalliberale und rechtsliberale Strömungen sind seit jeher Teil der FDP-Geschichte. Die Zeiten in den 1950er Jahren, als Altnazis die Partei unterwanderten, sind zwar vorbei, aber rechtsliberale Linien ziehen sich bis heute durch. Das muss sich im konservativ-bürgerlichen Milieu nicht in plumpem Rassismus äußern. Es kann eine gewisse Staatsverdrossenheit sein. Modernisierungsängste im Mittelstand, Sorgen um Wohlstand. Wunsch nach mehr Abschottung.

Das Jahr 2013, als die FDP erstmals aus dem Bundestag flog, war nicht zufällig die Geburtsstunde der damals noch überwiegend eurokritischen AfD. Die FDP verlor die meisten Stimmen an die CDU. Aber von keiner anderen Partei bekam die AfD so viele Stimmen wie von ehemaligen FDP-Wähler*innen. Der langjährige FDP-Unterstützer Hans-Olaf Henkel war Mitgründer der AfD, aus Frust über die von den Liberalen mitgetragene Eurorettungspolitik nach der Finanzkrise. Damals war noch nicht klar, dass sich die AfD immer weiter radikalisieren würde. Aber bis heute gibt es inhaltliche Berührungspunkte mit der AfD, nicht nur, was marktradikale Positionen betrifft, sondern auch im Hinblick auf Migrationspolitik. 2017 ergab eine Wahl-O-Mat-Analyse, dass es zwischen FDP und AfD inhaltlich große Übereinstimmungen gibt.

Am Abend der Niedersachsenwahl am 9. Oktober 2022 muss Christian Lindner die erneute Wahlschlappe seiner Partei erklären. Die FDP hat den Einzug ins Landesparlament verpasst. Im Wahlkampf haben die Freien Demokraten vor allem auf Atomkraft gesetzt. Das hat sich nicht ausgezahlt. Die FDP verlor die meisten Stimmen an die AfD.

Man betrachte die AfD mit Sorge, sagt Lindner. Man müsse sie zum einen „dort stellen, wo sie Narrative von Putin bedient und die innere Liberalität unserer Gesellschaft infrage stellt“. Auf der anderen Seite müsse man sich „an die Wählerinnen und Wähler der AfD wenden, insbesondere an jene, die mit ihren wirtschaftlichen Sorgen und Abstiegsängsten das Gefühl haben, von den etablierten Parteien nicht gesehen zu werden“. Wie, das verrät er nicht.

„Die FDP blutet nach rechts aus“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner der ­wochentaz am Telefon. Die Partei sei „im positiven Sinne eine Klientelpartei für den deutschen Mittelstand, Handwerker und Freiberufler, die sich Schutz vor zu viel staatlicher Bürokratie wünschen“. Diese sähen sich in der Energiekrise durch die FDP in der Ampel aber nicht vertreten. Güllner befürchtet daher, „dass die AfD vermehrt Zulauf bekommt von Menschen, die kein geschlossen rechtsradikales Weltbild haben“. Dadurch könne der Graben zur AfD immer weiter aufgeweicht werden. Der FDP empfiehlt er, sich klar von der AfD abzugrenzen.

In seinem 2017 publizierten Buch „Schattenjahre“ schreibt Christian Lindner, der die FDP seit 2013 führt, dass er keine Zukunft als Protestpartei sehe, „die in einen Schäbigkeitswettbewerb mit der AfD“ einträte. Lindner lehnte einen nationalliberalen Kurs immer entschieden ab.

Aber spielt Lindner bewusst mit Ressentiments? Als Finanzminister tritt er rhetorisch gediegener, staatsmännischer auf. Doch das gelegentliche Blinken nach rechts ist nicht zu leugnen. 2018 sprach Lindner auf dem Parteitag von der Angst in der Bäckerschlange, wo man nicht unterscheiden könne, „wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“. Wer darin Rassismus erkenne, sei „etwas hysterisch unterwegs“, befand Lindner nach anhaltender Kritik.

Kubicki ist kein Hinterbänkler, der Habeck aus Versehen mit Putin vergleicht

Für die richtig groben Töne aber war ohnehin immer Wolfgang Kubicki zuständig. Als im August 2018 Rechtsextreme gewaltsam durch Chemnitz zogen, nachdem es hieß, ein Mann sei von zwei Geflüchteten getötet worden, sagte Kubicki: „Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im ‚Wir schaffen das‘ von Kanzlerin Angela Merkel.“ Einige FDP-Politiker*innen distanzierten sich von dieser Aussage. Dennoch werden die wiederkehrenden Stammtischparolen von Kubicki geduldet. Oder sind sie Teil einer Strategie?

Ein ähnlicher Mitte-rechts-Kurs lässt sich auch in den aktuellen Debatten zur Migrationspolitik beobachten. Zwar will die FDP Arbeitsmarktmigration und befürwortet ein Punktesystem, wie es andere Länder wie Kanada schon haben. Dass man eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ verhindern müsse, erzählen derzeit Fraktionschef Christian Dürr und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai trotzdem in jede Kamera. Es ist ein rechtes Narrativ. Lieber Sachleistungen statt Geld für Asylbewerber will die FDP, von „verfehlter Merkel-Politik“ ist die Rede. Die „Grenzschutzfähigkeit an den EU-Außengrenzen“ müsse erhöht werden, notfalls „mit Zäunen“. Diese Formulierungen nutzte der FDP-Generalsekretär Djir-Sarai, aber auch Parteichef Lindner.

Gerhart Baum, einst Bundesinnenminister in einer sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt, findet das bedenklich: „Wenn der Generalsekretär Zäune an den Außengrenzen errichten will oder von verfehlter Merkel-Politik spricht, dann ist das ganz klar ein Blinken nach rechts“, sagt er der wochentaz am Telefon. Merkel habe 2015 richtig gehandelt, und die Angriffe der CSU auf sie seien schändlich gewesen. Manche in der FDP wollten „durch eine gewisse sprachliche Annäherung Menschen im rechten Parteienspektrum gewinnen. Auf die können wir verzichten.“

Eine generelle Strategie, die FDP nach rechts zu führen, sieht er aber nicht. Die Kräfte in der Partei gegen diesen Kurs wüchsen. Die FDP müsse aber endlich im Bereich überzeugter liberaler Wähler stärker werden und dort ihre Stammwählerschaft bilden, in Abgrenzung zu den Grünen, aber sensibel für die neuen Herausforderungen. Es sei vor allem „der alte Mittelstand“, der sich nach rechts orientiere und sich enttäuscht abwende, „weil die FDP in der Ampel nicht 100 Prozent liberale Politik machen kann“. Sie reagierten „mit Trotz“. Der „neue Mittelstand“ müsse von den Liberalen gewonnen werden. Was er im Sinn hat: junge weltoffene Unternehmen, die die Klimakrise ernst nehmen.

Im aktuellen Geschäft hat Baum wenig zu sagen. Er ist die mahnende Stimme von der Seitenlinie. In Lindners FDP haben Progressive und „Kubickis“ bewusst einen festen Platz. Ob Lindners integrativer Ansatz ihm nicht doch irgendwann auf die Füße fällt, wird sich vielleicht schon im weiteren Verlauf des Heizungsstreits zeigen.

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