piwik no script img

Schüler:innen-Protest gegen AbschiebungKlasse 5c gegen das System

Der 12-jährigen Chanelia aus Hamburg droht die Abschiebung. Ihre Mit­schü­le­r:in­nen kämpfen mit ihrer Klassenlehrerin dafür, dass sie bleiben darf.

Die 5c für Chanelia: Schü­le­r:in­nen bei einer Aktion auf dem Marktplatz Volksdorf im Januar 2025 Foto: Janne Roehsler

Hamburg taz | Du kaufst drei Tüten Äpfel, in jeder Tüte sind fünf Stück. Wie viele Äpfel hast du? Das ist so eine Frage, die Schü­le­r:in­nen in der fünften Klasse normalerweise beschäftigt.

An einer Stadtteilschule in Hamburg-Wandsbek müssen sich die Fünft­kläss­le­r:in­nen gerade mit einer ganz anderen Frage herumschlagen: Wird unsere Mitschülerin abgeschoben?

Anfang Januar hat die 12-jährige Chanelia aus der 5c einen Brief bekommen. Innerhalb einer Woche müssen sie und ihre Mutter ausreisen, stand darin. Nach Mazedonien, ein Land, mit dem Chanelia fast nichts verbindet. Sie spricht die Sprache nicht, ist in Hamburg aufgewachsen, geht hier zur Schule, hat hier Familie und Freund:innen. Chanelias Familie sind Rom*nja, die in Mazedonien diskriminiert werden.

Sie selbst ist staatenlos. Zwar hat sie einen volljährigen Bruder in Hamburg, ihr Aufenthaltstitel ist aber an den ihrer Mutter geknüpft, die das alleinige Sorgerecht hat. Weil der nicht verlängert wurde, betrifft das auch Chanelia. Ohne gültigen Aufenthaltstitel folgt die sogenannte Aufforderung zur freiwilligen Ausreise. Wer die Frist darin, oft nur wenige Wochen, verstreichen lässt, dem droht die Abschiebung.

Überraschende Reaktion von Chanelias Klasse

Wie erklärt man das einer fünften Klasse? Vor dieser Frage stand wiederum zum ersten Mal in ihrem Berufsleben Charlotte Wachsmuth, die Klassenlehrerin der 5c. Als sie von dem Abschiebebescheid erfahren hat, sei ihr klar gewesen, „dass wir das den Kindern mitteilen. Einfach aus dem Grund, dass es sein kann, dass Chanelia nächste Woche nicht mehr da ist.“

Am Anfang hätte die Nachricht von Chanelias drohender Abschiebung auch Ängste ausgelöst. Gerade die Kinder, die selbst keinen deutschen Pass haben oder deren Eltern nicht aus Deutschland sind, hätten sich gefragt: Kann mir das auch passieren?

Im nächsten Moment habe die Reaktion der Klasse sie aber sehr überrascht, sagt Wachsmuth. „Auch wenn die sich sonst viel gestritten haben, waren die in dem Moment eins.“ Die Klasse fand: Chanelia muss bleiben. Schnell sei es um die Frage gegangen: Was können wir tun?

„Wir haben erst mal Plakate gemalt, die Kinder wollten demonstrieren, sind durch die Schule gelaufen und haben bei Mitschülern Unterschriften gesammelt.“ Die Initiative sei von den Schü­le­r:in­nen ausgegangen, sagt Wachsmuth. Sie und ihre Kol­le­g:in­nen hätten dann entschieden, den Protest der Kinder in die Erwachsenenwelt zu tragen.

Ähnlicher Fall im vergangenen Jahr

So haben Charlotte Wachsmuth und ihre 5c in den vergangenen Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt. Erst reichte Wachsmuth in Absprache mit Chanelias Eltern „in einer ersten Pause“ eine Eingabe beim Hamburger Senat ein, der die Abschiebung vorerst aussetzte. Dann kam die Petition, die inzwischen mehr als 50.000 Unterschriften hat.

Dann kamen die Ausflüge, auch auf den Volksdorfer Marktplatz im Februar, mitten im Hamburger Wahlkampf, wo die 5c mit dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sprach. Und in eine Sitzung der Bezirksversammlung Wandsbek, woraufhin sich die Versammlung bei der Innenbehörde für Chanelia einsetzte, ein bis dahin einmaliger Vorgang. Die lokalen Zeitungen berichteten.

Am Montag fährt die Klasse 5c ins Rathaus

Ähnlich hohe Wellen schlug im vergangenen Jahr der Fall des damals 18-jährigen Joel, der kurz vor seinem Abitur nach Ghana abgeschoben werden sollte. Auch da machten seine Mit­schü­le­r:in­nen ordentlich Wirbel, es gab eine Petition, am Ende konnte Joel durch eine Entscheidung der Hamburger Härtefallkommission bleiben.

Darauf hofft auch Chanelias Klassenlehrerin Charlotte Wachsmuth. Am Montag wird sie mit Schü­le­r:in­nen aus ihrer 5c noch einen Ausflug machen, ins Hamburger Rathaus.

Dort übergeben die Kinder die gesammelten Unterschriften symbolisch an den Eingabenausschuss der Hamburger Bürgerschaft, der Chanelias Fall an die Härtefallkommission weiterleiten könnte. Die Härtefallkommission ist die letzte Möglichkeit, eine Abschiebung zu verhindern, wenn alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft sind.

Charlotte Wachsmuth hofft, dass Charnelia bleiben kann. Auch für die ganze 5c. Dann könne die Klasse, hoffentlich vollzählig, zum Alltag übergehen. Textaufgaben lösen zum Beispiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Seit der neuen Lust an Abschiebung, werden sich solche Fälle häufen. Merz & Co. - haben die Lage verschärft - indem sie der AfD gefolgt sind. Das war und ist der Kardinalfehler im Denken, denn Deutschland braucht Zuwanderung. Eigentlich müsste man sich um Integration kümmern. Stattdessen diskutiert man u.a. über "afghanische Flieger", die eher deutsche Flieger der Verantwortung sind. Immerhin haben diese Afghanen ihren Kopf für Deutschland riskiert.

  • Ein schöne Aktion, ich hoffe, dass sie Erfolg hat!

    Und mal ganz abgesehen vom rührenden Einzelfall und abgesehen davon, dass ein solches Verfahren in meinen Augen einfach unmenschlich ist, ist die schon fast stolz zur Schau getragene Dummheit der deutschen Politik in Sachen Migration für denkende Menschen nicht mehr zu ertragen. Jeder, der sich mit dem deutschen Rentensystem beschäftigt kriegt instant Pickel, wenn er sich die Demografie in diesem Land anschaut. Ein schier unlösbares Problem. Und dann hat dieses Land das schon unverschämte Glück, dass da jede Menge junge Leute wären, die dieses Problem lindern könnten - und was ist das größte Anliegen nahezu aller? Wie man diese jungen Leute wieder los wird. Man kriegt Kopfschmerzen wenn man anfängt darüber nach zu denken. Und klar: Migration schafft auch Probleme - und nicht mal wenig! Aber mit denen könnte man in einem der reichsten Länder der Welt umgehen. Könnte - wenn die Politik wollte und die Mittel in die Hand nähme, die das Land -aber locker!- stemmen könnte. Alles was angesichts dieser Desaster-Politk kommen wird, wird die Mittel die es zur Behebung der Probleme bräuchte um Welten übersteigen. Hoffnungslos!

  • Das sind Kinder, die uns Mut machen können im Kampf um Menschenrechte und Menschenwürde - ganz anders als gewisse schäbige Kommentare zur Debatte um Migration (Menschenrechte, aber nicht für alle)...