Deutschland und die Energiewende: Den Anschluss verpasst
Das Geburtsland der Energiewende tut sich zu schwer, sauberen Strom voranzutreiben. So lassen sich die Klimaziele kaum erreichen.
![Aufbau von Windkraftanlagen. Aufbau von Windkraftanlagen.](https://taz.de/picture/4816597/14/energiewende-windkraft-erneuerbare-energie-solar-deutschland-1.jpeg)
M it Deutschland und der Energiewende ist es ein bisschen so wie mit der Erfindung des Fahrrads. Es wurde viel getüftelt und ausprobiert und am Anfang war alles noch sehr teuer. Aber irgendwann stimmte die Technik – die Energiewende kam ins Laufen; sie hatte quasi endlich zwei gleich große Räder und alle wollten Fahrrad fahren.
Mittlerweile aber hat Deutschland vergessen, wie man Fahrrad fährt, während andere Länder schon auf E-Bikes umsatteln. Deutschland, Geburtsland der Energiewende, hat den Anschluss verloren. Das ist nicht nur für unsere Wirtschaft gefährlich: Als eine der größten Industrienationen stehen wir in besonderer Verantwortung, was den Klimaschutz angeht. Ohne eine umfassende Energiewende hin zu sauberem Strom heizen wir aber die Klimakrise weiter an.
Damit steigt das Risiko für extremes Wetter auch bei uns. Hitzetage nehmen zu, mit teils schweren Folgen für unseren Kreislauf. Tropische Krankheiten können sich ausbreiten. Dürren auf der einen, Überflutungen auf der anderen Seite gefährden Ernährungssicherheit und Wohlstand. Ein steigender Meeresspiegel vertreibt Millionen Menschen. Leider folgt auf die Dringlichkeit aber noch kein entschlossenes Handeln. So gibt es anlässlich des Tags der erneuerbaren Energien am 24. April nichts zu feiern.
Im Gegenteil: Der Ausbau sauberer Energie aus Wind und Sonne ist drastisch eingebrochen. Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 6,3 GW zusätzlich geschaffen. Nötig wären 15 bis 20 GW pro Jahr, wenn Deutschland seine eigenen, ohnehin zu niedrigen Klimaziele erreichen möchte. Bei Wind waren es in der Vergangenheit auch schon einmal vier- bis fünfmal so viel in vergleichbarem Zeitraum, bis die Energiewende ins Stocken kam. Jetzt wurde sogar noch die Ausschreibungsmenge zurückgefahren.
ist Leiterin des Fachbereichs Klimaschutz und Energie-politik beim World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland. Ihr zentrales Anliegen ist, die Energie-wende entschlossen umzusetzen. Dabei geht es vor allem darum, die erneuerbaren Energien für ausreichend sauberen Strom auszubauen.
Bei der Kohlekraft hält Deutschland den Rekord
Stattdessen sind noch immer sechs der zehn größten CO2-Schleudern Europas deutsche Kohlekraftwerke – trotz Kohleausstiegsgesetz. Und das Klimaziel 2020 hat Deutschland nur erreicht, weil es unschöne Schützenhilfe von der Coronapandemie bekommen hat. Langfristig sorgt aber auch in der Politik wie in der Mathematik eine Krise (Minus) mal die andere (Minus) für ein Plus: an Emissionen. Denn der Emissionsrückgang im Zuge der Coronapandemie ist nicht nachhaltig.
Unser gesamtes zukunftsfähiges System hängt davon ab, dass uns ausreichend Strom aus Wind und Sonne zur Verfügung steht. Einmal für den unmittelbaren Stromkonsum. Aber auch für den Verkehr: Wenn etwa Tesla aus dem brandenburgischen Grünheide den deutschen Automarkt mit Elektroautos versorgt, brauchen diese Strom aus erneuerbaren Energien, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Und auch die Industrie braucht einen schnellen Ausbau: Kommen jetzt nicht die richtigen Signale aus der Politik, kann es passieren, dass in klimaschädliche Produktionsanlagen reinvestiert wird. Neben direkter Elektrifizierung ist für die Industrie auch die Förderung grünen Wasserstoffs wichtig – also solcher, der mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt wird. Im großen Hype um Wasserstoff als Allheilmittel darf nicht unberücksichtigt bleiben:
Es benötigt viel Energie, um ihn herzustellen. Nur grüner Wasserstoff ist langfristig sinnvoll. Das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier hat lange den tatsächlichen künftigen Strombedarf heruntergespielt. Abgesehen davon, dass es im Interesse alter Wirtschaftszweige wie der Kohle lange Strukturveränderungen verzögert hat.
Was leider im Sinne keines Wirtschaftszweiges ist – weder dem der Kohle, deren Arbeitnehmenden mit Verzögerungstaktiken nur Strukturbrüche drohen, noch dem der erneuerbaren Energien, in dem mittlerweile viel mehr Menschen beschäftigt sind – nämlich mehr als 300.000, verglichen mit weniger als 20.000 in der Kohle. Es ist also Zeit, die Augen zu öffnen und die Realitäten anzuerkennen. Wind und Sonne gehören die Zukunft.
Wind und Sonne gehören die Zukunft
Deutschland möchte nicht in einer Flaute stecken bleiben, wenn nun auch die USA wieder Wind aufnehmen. Wenn sich die Groko zeitnah einem der wichtigsten noch offenen Punkte zur Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) widmet – den neuen Ausbauzielen –, braucht es Verstand und Herz. 2030 sollten 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen.
Nur so kommen wir den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der Klimaneutralität bis spätestens 2050 nahe. Daneben gilt der Blick der Fläche: Erneuerbare Energien benötigen Platz. Berechnungen zeigen, dass rund zwei Prozent der Landesfläche und die Dachflächen reichen, um Deutschlands Energieversorgung zum größten Teil mit Wind- und Solaranlagen zu decken. Damit diese Flächen aber sozial- und naturverträglich erschlossen werden, ist eine bessere Planung und Steuerung auf regionaler Ebene nötig.
Dafür braucht es unter anderem mehr personelle und finanzielle Ressourcen auch für die Fachbehörden. Und es braucht einheitliche, wissenschaftliche Kriterien und Methoden, nach denen Standorte ausgewählt werden. Ein Einbeziehen der Menschen vor Ort ist dabei eine selbstverständliche Notwendigkeit. Es ist unsere Energiewende, unsere Zukunft, die wir mitgestalten wollen und sollen. Dabei geht es auch um die finanzielle Beteiligung etwa an Windparks.
Die großen Vorteile, die Wind- und Solarparks mit sich bringen, müssen endlich auch die Standortkommunen unmittelbar spüren. Wind- und Sonnenenergie entschlossen auszubauen, ist eine Chance auf nachhaltigen Wohlstand – für uns und andere Länder. Der Innovationsgeist hierzulande hat einst dazu geführt, die Energiewende zum Exportschlager zu machen. Diesen Geist gilt es, wiederzubeleben. Sonst hat Deutschland am Ende nicht nur sein Gelbes Trikot verloren, sondern stürzt und reißt andere mit.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?