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Deutschland mies bei Pisa-StudieChancengleichheit im Vorschulalter

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Wer gute Ergebnisse anstrebt, muss in die Förderung der Kinder investieren. Schon im Vorschulalter sollte die Bildungskluft geschlossen werden.

Die Kita muss ein Bildungsort werden Foto: P.Nowack/imago

D as Beste an der neuen Pisa-Studie ist das Timing. In dieser Woche will die Ampel entscheiden, ob und wie stark sie wegen der Haushaltskrise die Sozialausgaben kürzt. Falls Lindner & Co noch ein Gegenargument brauchen, reicht ein Blick in die internationale Bildungsstudie der OECD. Sie bestätigt, dass Deutschland bei seinem Aufstiegsversprechen keinen Schritt weitergekommen ist. Im Gegenteil: Noch nie haben deutsche Schü­le­r:in­nen bei einer Pisa-Studie so mies abgeschnitten wie dieses Mal.

Die Misere ist – wie beim Haushaltsloch – selbst verschuldet. Seit mehr als 20 Jahren, seit dem ersten Pisa-Schock, versuchen Bund und Länder, die Abhängigkeit des Schul­erfolgs vom Elternhaus in den Griff zu bekommen. Ohne Erfolg. Bis heute gilt: Wer keine gutverdienenden Akademikereltern hat, kann in der Schule oft nicht mithalten. Alarmierend ist, dass die Gruppe der Abgehängten stetig wächst.

Die Politik hat dafür zwei Hauptgründe ausgemacht: die monatelangen Schulschließungen wegen Corona und der gestiegene Anteil von Kindern, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Dass die Pandemie jedoch nicht zwangsläufig zu schlechten Ergebnissen führt, hat soeben eine andere Bildungsstudie bewiesen: Weil deutsche Jugendliche im Lockdown länger auf Netflix & Co abhingen, haben sich die Englischleistungen sensationell verbessert, und zwar durch die Bank.

Auch der zweite Erklärungsversuch ist unpräzise: Weil migrantische Kinder häufiger in Armut und bildungsfern aufwachsen, liegen ihre Schulleistungen im Durchschnitt deutlich unter denen der anderen Schü­le­r:in­nen. Nicht die Zuwanderung an sich drückt also unsere Schulleistungen, sondern die fehlende Förderung der sozial Schwachen. Aus beidem folgt: Bund und Länder müssen sich eingestehen, dass bei der Bekämpfung der Chancenungleichheit zu wenig unternommen wurde.

Falsch war, sich allein auf die Schulen zu konzentrieren. Kinder müssen schon im Vorschulalter stärker gefördert werden. Es ist ein guter erster Schritt, wenn nach Hamburg und Berlin jetzt auch andere Länder wie Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern auf verpflichtende Sprachtests im Kita-Alter setzen. Die logische Konsequenz daraus wäre, bundesweit verpflichtende Fördermaßnahmen einzuführen und Kitas schrittweise von Betreuungs- zu Bildungsorten auszubauen.

Dafür muss der Bund aber länger in die Kita-Qualität investieren als bis Ende 2024. Eine Laufzeit von zehn Jahren wie beim geplanten Bund-Länder-Programm für Brennpunktschulen wäre gut. Und natürlich darf die Ampel jetzt – Stichwort Haushalt – nicht an der falschen Stelle sparen.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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13 Kommentare

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  • Was ich mich da immer wieder Frage: welchen Einfluss hat die moderne Technik, also "Smart"phones samt Apps und das Internet?



    Es ist zwar wichtig, in der heutigen Welt entsprechende Kompetenzen zu haben, aber führen diese Möglichkeiten nicht auch dazu, dass Kinder und Jugendliche sich zu sehr auf die elektronischen Helferlein verlassen? Die Autokorrektur z.B. könnte ja durchaus dazu führen, dass die Schreibfähigkeiten in Mitleidenschaft gezogen werden. Man hat jederzeit einen Taschenrechner und das gesamte Wissen der Menschheit bei sich, warum sollte man da noch Kopfrechnen lernen und üben oder sich irgendwas merken?

  • Die Ergebnisse haben mich nicht überrascht und die Ursachen liegen wesentlich tiefer als der relevante Anteil an Flüchtlingskindern in den Schulen (die jetzige Studie stammt aus 2022, da gab es an den Schulen kaum Flüchtlinge aus der Ukraine) und auch die soziale Benachteiligung erklärt bei weitem nicht alles auch wenn es es für ein reiches wie Deutschland ein Skandal ist.



    Wenn in 10. Klassen am Gymnasium in Mathematik die Schüler*innen einfache Prozentrechnung oder die Berechnung der Flächeninhalts eines Dreiecks nicht beherrschen und es sich auch nicht eine Woche merken (wollen), dann haben wir ein massives Problem bei der Motivation für und der Akzeptanz von Schule und Bildung bei der Schülerschaft. Bildung wird immer mehr als Konsumartikel gesehen, man lässt sich im Unterricht berieseln und danach möchte man nicht behelligt werden. Hausaufgaben machen oder gar Inhalte wiederholen und lernen werden als Zumutung empfunden, von Kindern wie Eltern. Lernen ist aber intellektuelle Arbeit und kein Konsumprodukt.



    Der Ball liegt dabei nicht allein bei Schüler*innen und Eltern, auch Schule und Lehrkräfte müssen ihren Teil beitragen und sich bemühen die Schüler*innen in ihrer Lebenswelt abzuholen. Schwierig wird es aber wenn man nicht abgeholt werden will weil am Ende eben doch auch Arbeit und Mühen wartet und nicht Zocken und TikTok.

  • Was Deutschland nicht machen darf: Abgucken, wie es asiatische Länder machen.

    Dort müssen Kinder büffeln, sind weit über 12 Stunden in der Schule und Freizeit wird mit Faulheit gleichgesetzt. Leistung ist wichtiger als kindgerechte Entwicklung.

  • Können wir vielleicht mal mit den Grundlagen anfangen? Wenn Kitas nicht ständig mit Notbetreuung oder Schließung um die Ecke kämen, wäre das schon fein.

    • @Der dreckich Katz:

      +was ist mit dem personal in kitas? dessen mangelnde ausbildung? mangelnde anzahl? schlechte bezahlung? prozentualer anteil der kinder aus migrantischen familien, die kitas besuchen? prozentualer anteil der kinder, die kitas besuchen, an der gesamtzahl der kinder?



      wie ist die ausbildung von kita-personal in D im vergleich zu anderen europäischen ländern?

      • @Brot&Rosen:

        Alles berechtigte Fragen. Bitte meinen Beitrag nicht als Geschimpfe über Kitas mißverstehen.



        Der Kommentar kam nur vom Thema PISA-Studie auf die Kitas als Ansatzpunkt. Und da ist eben Voraussetzung, dass genügend Plätze vorhanden sein müssten und geöfnet sein sollte.

        • @Der dreckich Katz:

          natürlich denke ich nicht, daß ihr beitrag ein allgemeines geschimpfe über kitas ist.



          es gibt ganz richtig zuwenig kitaplätze + zuwenig personal uswusf.



          ich wollte sie eigentlich eher unterstützen. sorry, wenn sie das anders aufgefaßt haben könnten.

  • Macht Euch nichts daraus: man kann auch ohne Geld gute Politik machen.

    Sagt Lindner.

  • Alles richtig und gebildete junge Erwachsene sind die Lösung für fast jedes Problem vor dem wir derzeit stehen. Hier Geld und Ideen reinzugeben ist somit gesellschaftlich und wirtschaftlich sehr rentierlich.



    Heißt aber im Umkehrschluss, dass man die Kinder/Jugendlichen täglich viele Stunden von den Eltern und deren Erziehungsumfeld entziehen müsste. Am besten von früh morgens bis spät abends, Internat gar? Geht das im Detail nicht zu weit? Macht das glücklich? Welche privaten Konflikte sind zu befürchten, wie zu lösen?

  • Der erschreckende Abfall der Schulleistungen ist eine unbestreitbare Tatsache, entsprechend wichtig die Frage nach den Ursachen. Mir ist nur eine einzige, größer angelegte Studie bekannt, die nicht punktuell die Lieblingshypothese des Autors zu belegen versucht sondern ergebnisoffen alle über nur denkbaren Einflüsse einbezieht. Sie stammt aus dem Jahr 2016 in Großbritannien. Hier ist ein Bericht der BBC www.bbc.com/news/education-35958498und und die Primärquelle assets.publishing....erty_annex.pdf.pdf .



    Überraschend und gegen alle Erwartung spielt keiner der hier im Artikel diskutierten sozialen Einflüsse eine Rolle. Es gibt nur einen einzigen Parameter von prognostischem Wert: Wenn dem Elternhaus das Lernen und die Schule wichtig sind, ist das Kind erfolgreich, wenn nicht, dann nicht. Das allein erklärt einen großen Teil des Elterneinflusses insbesondere bei akademischen Bildungsbürgern.



    In Deutschland kommt ein zweiter Effekt dazu. Die hier wieder geförderte "Förderung der sozial Schwachen" findet statt, in Deutschland aber im Sinne des "alle mitnehmen" und "keiner bleibt zurück", was in der Praxis auf nichts als eine ständige Niveauabsenkung hinausläuft. Wer heute die Schule abschließt und etwas kann und weiß, der hat das zum großen Teil im Elternhaus gelernt. Früher, gut (wenn auch extrem kritisch) beschrieben in Hesses "Unterm Rad", konnte die Schule, Fleiß und Zielstrebigkeit vorausgesetzt, auch Kinder aus benachteiligten Elternhäusern fördern. So hat es meine Mutter gegen den eigenen Vater ("Was soll ein Mädchen auf der höheren Schule?") bis zur Abteilungsleitung in der chemischen Industrie gebracht. Das gibt es heute nicht mehr.

  • Die richtige Folge wäre endlich die Gesetzgebungskompetenz von den Ländern auf den Bund zu übertragen. Zu lange haben wir unsere Kinder der Vernachlässigung durch die Länder überlassen.

    • @DiMa:

      Gesetze sind nur die halbe Miete. Auch die Verwaltung- was anderes sind Lehrer rechtlich nicht- müsste auf den Bund übergehen. Das wären dann aber zwei Änderungen im Staatsgefüge, die sicherlich nicht passieren werden. Besser über geschickte Geldzahlungen nachdenken, die sind eher machbar.

      • @Peter Rabe:

        Geldzahlung sind ohne Änderung der Kompetenz nur rausgeschmissen. Das sollte erst der zweite Schritt sein.