Deutsche und der Ukrainekrieg: Vernachlässigte Lebensrealitäten

In Deutschland gibt es viele Meinungen zum Ukrainekrieg. Empathie gibt es wenig. Ukrainischstämmige Mitbürger_innen fühlen sich zunehmend fremd.

Eine Frau hält bei einer Demo ein blau glebes Plakat

Demonstration zum Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine Foto: reuters

Vor Kurzem schickte mir ein Studienfreund nach einem knappen Jahr Funkstille kommentarlos einen Text des indischen Philosophen Krishnamurti, der mich vermutlich zum Pazifismus bekehren und der „Spirale des Hasses und der Gewalt“ entreißen sollte, an die er mich recht schnell nach Beginn des russischen Angriffskriegs verloren glaubte. Als Panzerkolonnen auf meine Geburtsstadt Kyjiw zurollten und die ersten Raketen in Wohnhäuser einschlugen, hatte er mir von seinen Kindheitsängsten vor dem Krieg erzählt und sich Trost von mir erhofft.

Andere deutsche Freunde haben sich seit Kriegsbeginn gar nicht erst gemeldet. Eine einzige Person aus meiner Schulzeit schrieb mir – wegen etwas Beruflichem. Einige Kollegen meiner Mutter schauen jetzt lieber weg, als sie zu grüßen. Bei unserer Ankunft in Deutschland vor knapp 30 Jahren grüßten uns auch viele unserer Nachbarn nicht. Wir glaubten mittlerweile dazuzugehören. Jetzt erzählen mir Menschen mit ähnlichen Biografien immer häufiger, wie fremd sie sich in Deutschland fühlen.

Wenn ich #DasIstNichtUnserKrieg an Berliner Wänden sehe, möchte ich nicht nur inhaltlich widersprechen – führt doch das russische Regime selbsterklärt einen Krieg gegen den Westen –, sondern erkenne auch ein Signal an mich und Millionen andere: Das ist nicht euer Land. Es fühlt sich fast so an, als würde man uns die Schuld dafür geben, dass unser Herkunftsland zerstört wird.

Menschenrechte als Verhandlungsmasse

Der Krieg und die Leidtragenden werden häufig zum Vorwand für eigene Belange. Wenn beklagt wird, dass ukrainische Kriegsflüchtlinge vermeintlich weiße Privilegien genießen, klingt es, als würden sie zum strukturellen Rassismus beitragen. Solche Vorwürfe heben weder die Ungerechtigkeiten auf noch helfen sie den Benachteiligten. Stattdessen machen sie Menschenrechte zur Verhandlungsmasse. Dabei spielt es keine Rolle, wie es Betroffenen mit diesen Diskussionen geht.

Vor dem Krieg lebten ungefähr 3,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland. Nahezu allen von uns hat der Krieg den Boden unter den Füßen weggezogen. Jenseits der politischen Lager ziehen sich Risse durch Gemeinschaften und Identitäten, gezeichnet von Trauma, Verlust und Scham. Zusammenhalt ist selten geworden, stattdessen finden wir uns in Konkurrenz zueinander. Auch Worte des Mitgefühls sind selten, im Gegensatz zu Meinungen.

In vielen Fällen hat der Staat Einwanderer unterstützt, auch in meinem. In vielen Fällen ist er daran gescheitert. Darüber gibt es wichtige Debatten. Ausgeklammert wird jedoch, dass der Staat aus Menschen besteht, die den Ankommenden auf Augenhöhe begegnen sollten, bereit, ihnen Empathie und Raum zu geben. Daran scheitert die deutsche Nachkriegsgesellschaft – daran scheitern wir – ein ums andere Mal. Was programmatisch als Diversität postuliert wird, erweist sich in der Praxis oft als Funktionalisierung von Individuen und Projektion. Immer weiter wächst die Kluft zwischen vernachlässigten Lebensrealitäten.

Selbstzensur der Betroffenen

Während ich in letzter Zeit häufiger wohlwollend auf meinen unangemessen scharfen Ton und meine Bevorteilung hingewiesen werde, begegne ich vielen Menschen mit Wurzeln in Osteuropa, die sich selbst verbieten, über den persönlichen Schmerz im Zusammenhang mit dem Krieg zu reden. Und gleichzeitig bin ich regelmäßig mit mäandernden Monologen Unbeteiligter über die eigene Ratlosigkeit und Verzweiflung konfrontiert, als säßen wir in ihrer Therapiesitzung.

Neulich endete ein solcher Monolog bei einem internationalen Seminar zu Friedensarbeit in der Ukraine mit der Schlussfolgerung, man müsse unbedingt den Betroffenen zuhören. Nur dass dafür keine Zeit mehr blieb.

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