Deutsche Wohnen & Co enteignen: Verschleppungsmanöver für 100.000 Euro
Der Senat tritt beim Vergesellschaftungsgesetz weiter auf die Bremse. Sogar der Text für die Ausschreibung eines Gutachtens lässt auf sich warten.

„Die Veröffentlichung der Ausschreibung ist für Ende April/Anfang Mai vorgesehen“, heißt es in einer noch unveröffentlichten Antwort der Finanzverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger, die der taz vorliegt. Besondere Beachtung verdient hier das Wort „vorgesehen“. Denn „vorgesehen“ ist der Start der Ausschreibung seit Ende 2023.
Immer wieder hieß es seither, um den Auftrag für ein Gutachten zum Rahmengesetz auszuschreiben, stehe noch die inhaltliche Abstimmung mit mehreren Senatsverwaltungen aus. Zuletzt war im Januar die Rede davon, dass man sich „in vier bis acht Wochen“ genug abgestimmt haben könnte.
Der Abstimmungsbedarf muss offenkundig enorm sein. Jedenfalls schreibt die Finanzverwaltung auch in ihrer aktuellen Antwort: „Der finale Ausschreibungstext befindet sich noch in Abstimmung.“ Klar ist immerhin, dass sich das Land Berlin das Rechtsgutachten einiges kosten lassen will. Insgesamt 100.000 Euro sind hierfür veranschlagt.
Grüne: „Dummdreistes Drehbuch ohne Ende“
Jenseits der Kosten belege der Vorgang ein weiteres Mal „die dummdreiste Verschleppung“ des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ durch Schwarz-Rot, sagt Katrin Schmidberger zur taz. „Erst das Rahmengesetz, dann das Gutachten, jetzt auch noch hier die Verzögerung in der Ausschreibung“: Das Ganze gleiche inzwischen einem „Drehbuch ohne Ende“, so die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.
Zur Wahrheit gehört: CDU-Senatschef Kai Wegner hat ebenso wie seine SPD-Amtsvorgängerin Franziska Giffey nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass er nicht gewillt ist, das Ergebnis des Enteignungsvolksentscheids vom September 2021 umzusetzen. Stattdessen zauberten CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag 2023 die Idee eines vorzuschaltenden Vergesellschaftungsrahmengesetzes aus dem Hut.
Kritiker:innen sprachen von Anfang an von einer reinen Nebelkerze. Denn das Rahmengesetz soll lediglich Kriterien, Indikatoren und Grundsätze für eine mögliche Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz definieren. Oder deutlicher formuliert: Mit einem Kriteriendefiniergesetz wird keine einzige Wohnung enteignet.
Doch selbst dieses Nichts gilt, wie die Finanzverwaltung mitteilt, „aufgrund der Diversität und Komplexität der Geschäftsfelder“ als ein derart „anspruchsvolles Vorhaben“, dass es ohne ein juristisches Vorabgutachten unmöglich geht. Wobei eben auch schon der Ausschreibungstext hochkomplex zu sein scheint.
Ein Treffen in einem Jahr
Dass die Finanzverwaltung in ihrer Antwort betont, der Senat räume „der Qualität“ des Gesetzes „höchste Priorität“ ein, überzeugt Katrin Schmidberger von den Grünen nicht im Geringsten. Jede:r könne sehen, „welche Pirouetten der Senat dreht, um sich vor seinem politischen Auftrag zu drücken, das alles grenzt an Arbeitsverweigerung und Ignoranz direkter Demokratie“.
Wie prioritär das Projekt von Schwarz-Rot tatsächlich behandelt wird, lässt sich an der Zahl der Treffen der extra für die Gesetzeserarbeitung einberufenen Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen mehrerer Senatsverwaltungen ablesen: Seit April 2024 ist das Gremium nur ein einziges Mal zusammengekommen.
Die Finanzverwaltung versucht gleichwohl, gut Wetter zu machen. Die Beauftragung eines Rechtsgutachtens stelle schließlich „einen wesentlichen Fortschritt für das weitere Vorgehen“ dar. Überhaupt laufe alles nach Plan: „Es ist weiterhin vorgesehen, im letzten Jahr der laufenden Legislaturperiode den Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vorzulegen.“ Das wäre 2026.
Auch hier verdient das Wort „vorgesehen“ besondere Beachtung. Eigentlich sollte das Rahmengesetz schon im vergangenen Jahr beschlussfertig sein.
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