Deutsche Sportförderung: Land der begrenzten Möglichkeiten
Die deutsche Olympia-Bilanz löst eine Debatte über die Sportförderung aus. Sportler wie der Zehnkämpfer Till Steinforth trainieren lieber in den USA.
„Ich glaube nicht, dass ich es zu Olympia geschafft hätte, wenn ich in Deutschland geblieben wäre“, sagt Till Steinforth. Nach den Olympischen Spielen in Paris und einem mageren zehnten Platz im Medaillenspiegel hagelte es Kritik an der Deutschen Sportförderung. Dass es dabei auch um fehlende finanzielle Mittel Deutschlands geht, ist nicht zu übersehen. Auch wenn der Haushaltsplan des Bunds im kommenden Jahr 50 Millionen Euro mehr als 2024 vorsieht, bleiben zentrale Schwachstellen bestehen. Ein Problem stellt die direkte Athletenförderung dar.
„Während einer Spitzensportkarriere auf internationalem Niveau bestehen für Spitzensportlerinnen und -sportler in der Regel kaum Erwerbsmöglichkeiten, die einen angemessenen Lebensunterhalt sichern.“ So steht es im Schwerpunktpapier für Sportförderung des zuständigen Bundesinnenministeriums. Besonders AthletInnen, die nicht in den Strukturen von Bundeswehr und Polizei verankert sind, haben es dadurch schwer.
Auch viele NachwuchssportlerInnen, die noch nicht zu den höheren Kadern gehören, brauchen häufig ein Nebeneinkommen – und das teilweise neben der Ausbildung. „Man muss ja irgendwann auch finanziell gucken, wenn man neben dem Sport noch studieren will. Für den Sport, besonders für den Zehnkampf, braucht man ja auch einige Sachen“, erzählt Till Steinforth, der bereits seit drei Jahren in den USA trainiert und in Paris 2024 seine ersten Olympischen Spiele im Zehnkampf bestritten hat. In Paris hat der 22-Jährige mit 8.170 Punkten den zweitbesten Zehnkampf seiner bisherigen Karriere abgeliefert.
Um solche Ergebnisse zu erzielen, wird er in den USA optimal unterstützt. Finanziell brauche er sich keine Gedanken zu machen. „Die haben so viel Geld, das sie für die Sportler ausgeben. Davon profitiert man natürlich. Die Wohnung, das Essen, die Anziehsachen oder alles andere, was man braucht, wird bezahlt“, berichtet der drittbeste deutsche Zehnkämpfer, der nach dem Abitur an die University of Nebraska gewechselt ist.
Ein eigenes Krankenhaus
Das Sportteam an seiner Uni mache 200 Millionen Dollar Umsatz im Jahr. „Mit der deutschen Situation in der Leichtathletik lässt sich das nicht vergleichen“, meint er. „Wir haben hier eine eigene Sportmensa für Athleten. Wir haben eine moderne Trainingshalle. Es gibt Physiotherapeuten, die uns von morgens bis abends zur Seite stehen. Und wir haben sogar ein eigenes kleines Krankenhaus mit einem Ärzteteam, falls mal etwas Schlimmeres passiert.“
Solche Bedingungen sind in Deutschland nicht vorstellbar. Steinforth meint, dass der einzige Weg, in Deutschland zu Geld zu kommen, über Sponsorenverträge führt. Sportler wie der Zehnkämpfer Niklas Kaul, die sehr jung Weltmeister geworden sind, würden sich gute Verträge sichern können. „Aber es kann halt nicht jeder Weltmeister werden“, sagt Steinforth.
Kein Wunder, das viele AthletInnen aus Deutschland ihr Training ins Ausland verlagern. Dabei werden AthletInnen von Agenturen wie Scholarbook unterstützt, die ihnen Sportstipendien in den USA vermitteln. Pro Jahr bringe Scholarbook ungefähr 140 bis 150 Athleten in den USA unter, sagt Simon Stützel, der Chef der Agentur. An den Top-Universitäten der USA beläuft sich der Wert der Stipendien auf bis zu 200.000 Dollar im Jahr – einige kriegen sogar noch ein Taschengeld obendrauf.
Dass viele Sportarten in Amerika so gut gefördert werden können, liegt an der Struktur des US-Sports. Nach dem Revenue-Sharing-Modell ist es in den USA üblich, dass größere Teams aus den populären College-Ligen einen Teil ihrer Einnahmen an die kleineren Sportarten abgeben. Das Geld aus den profitabelsten Sportarten wie Football und Basketball fließt also zum Beispiel auch in die Förderung der Leichtathletik, was Athleten wie Till Steinforth zugute kommt.
Auch die Uni will den Sporterfolg
In Deutschland hingegen wächst der Unmut, besonders seit den Olympischen Spielen. Mehrere Sportler kritisieren die Sportförderung, darunter auch die Schwimm-Weltmeisterin Angelina Köhler. „Ich finde, es kann nicht sein, dass Leute beim ‚Sommerhaus der Stars‘ 50.000 Euro gewinnen und Athleten, die eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen holen, nur 20.000 Euro“, sagte die 23-Jährige der dpa. „Wir trainieren unser ganzes Leben dafür. Wir trainieren zehnmal die Woche, und ich finde, es kann nicht sein, dass die Prämien so niedrig sind.“
Zehnkämpfer Steinforth hat mit seiner Olympiateilnahme die größte Bühne des Leistungssports erreicht. Doch auch wenn er unter deutscher Flagge startet, hat er seinen Erfolg eher dem amerikanischen System zu verdanken. Anders sei das für ihn gar nicht möglich gewesen, sagt er. Universität und Leistungssport sind in Amerika nicht getrennt. Sportlerinnen treten nicht für einen Verein an wie in Deutschland, sondern für ihre Universität. „Hier ist alles eins. Die Kommunikation ist dadurch deutlich besser, weil Professoren und Trainer miteinander reden. Beide Parteien wollen, dass man erfolgreich ist, weil man ja die Universität repräsentiert“, so Steinforth. Erst diese Zusammenarbeit ermögliche ihm neben dem Sport, sein Architekturstudium zu absolvieren.
Den Vorteil sieht auch Simon Stützel von der Vermittlungsagentur Scholarbook am amerikanischen System. „In Deutschland hast du im Juli Prüfungen, und der Uni ist es wurst, ob du da eine Deutsche Meisterschaft hast.“ Eine sportliche Laufbahn würden diese Umstände extrem erschweren. „Man kann auch in Deutschland Weltmeister werden, dann bleibt aber die menschliche und akademische Ausbildung auf der Strecke“, so der Gründer von Scholarbook.
Till Steinforth kann den Schritt ins Ausland nur weiterempfehlen. „Ich war in Deutschland lange NK1-Kader“, erinnert er sich. Der sogenannte Nachwuchskader (NK1) umfasst AthletInnen mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive auf eine Integration in die Nationalmannschaft. Kurz gesagt: die deutschen Nachwuchshoffnungen. „Dieser Kader hat mir aber nicht viel gebracht“, sagt Steinforth. Das Sportschulen-System in Deutschland sei ja sehr gut, aber nach dem Abitur lasse die Unterstützung stark nach.
Fromme Wünsche
Es gehe dabei vor allem um organisatorische Sachen, um das Vereinbaren von Physiotherapieterminen oder das Beschaffen von Sportutensilien. In Deutschland wäre er auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen gewesen. „Je älter man wird, desto schwieriger ist es, sich die ganzen Sachen zu besorgen. Und während man in Deutschland allem hinterherlaufen muss, wird einem in Amerika alles hinterhergeschmissen. Das macht dann natürlich mehr Spaß, weil man sich auf den Sport konzentrieren kann.“ Auf die Frage, was er sich vom deutschen Fördersystem wünsche, könne er nicht wirklich etwas antworten. „Ich kann mir zwar etwas wünschen, aber ich glaube, das bleiben dann auch Wünsche.“
In Deutschland sowie in den USA befinden sich die Systeme im Umbruch. In den Staaten sollen ab dem nächsten Jahr CollegesportlerInnen erstmals bezahlt werden. Dabei sollen sie einen Anteil der Einnahmen ihrer Universität aus der Sportvermarktung bekommen, der über den Wert ihres Stipendiums hinausgeht. Dabei kann es sich um erhebliche Beträge handeln. Ob die Unterstützung der kleineren Teams aus den Randsportarten in Zukunft in gleichem Umfang gewährleistet werden kann wie bisher, bleibt abzuwarten.
Auch in Deutschland wartet eine Neuerung auf die SportlerInnen: Die mit privaten und öffentlichen Geldern gefütterte Stiftung Deutsche Sporthilfe hat eine neue Förderstruktur vorgestellt. Als Reaktion auf das enttäuschende Abschneiden bei den Olympischen Spielen soll mit der neuen Struktur der Nachwuchs stärker gefördert werden. Dafür wird die Grundförderung für AthletInnen gekürzt, die in Sportfördergruppen von Bundeswehr und Polizei angestellt sind. Ob die neue Struktur, die im Januar in Kraft tritt, Wirkung zeigt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Till Steinforth kann sich ein schnelles Aufholen Deutschlands nicht vorstellen: „Ich denke, dass es ewig dauern wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gelingt, solange ich Sportler bin.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen