Deutsche Nahost-Unterstützung: Hilfe unter unsicheren Umständen
Die Bundesregierung hat die Hilfen für die Palästinensischen Gebiete geprüft – und setzt sie nun fort. Eine Zweckentfremdung sei nicht feststellbar.
Berlin taz | Nur einen Tag nach dem brutalen Angriff der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober meldete sich Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zu Wort. Die Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensischen Gebieten werde ausgesetzt, oder konkreter gesagt, auf den Prüfstand gestellt. Diese Prüfung ist nun – rund zwei Monate später – abgeschlossen und die Finanzierung und Betreuung der Projekte wieder aufgenommen. Nach Aussagen des Ministeriums „haben sich die Kontrollmechanismen als robust erwiesen“. Eine Zweckentfremdung sei nicht festgestellt worden, heißt es weiter.
Bei der deutschen Entwicklungshilfe für die Palästinensischen Gebiete geht es vor allem um die grundlegende Versorgung der Zivilbevölkerung in der Region. Dazu zählen auch finanzielle Mittel für UNRWA, dem UN-Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete. Das Ministerium unter Schulze hält die Hilfen wichtig für die Linderung des Leids der Menschen im Gazastreifen und für die Stabilisierung der Lage im Westjordanland sowie in Jordanien und im Libanon. Es geht ihr um bessere Lebensbedingungen, aber auch um Zukunftsperspektiven.
Und noch eine recht versteckte politische Botschaft soll die Wiederaufnahme aufzeigen. Diese wird in diesen Tagen zwar international gefordert, scheint aber angesichts des andauernden Kriegs im Nahen Osten in weite Ferne gerückt. Nur mit „leistungsfähigen Institutionen“ – also mit Verwaltungsstrukturen, mit Behörden, mit Einrichtungen, die wertebasiert und auf einem demokratischen Fundament arbeiten, könne die Basis für eine Zweistaatenlösung geschaffen werden. Begründet wird das Engagement Deutschlands auch mit der „besonderen historischen Verantwortung für die Sicherheit Israels und als Beitrag zu einer Friedenslösung im Nahen Osten.“
Für Cornelia Möhring, Mitglied im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit in den Palästinensischen Gebieten „alternativlos und ein Gebot der Solidarität mit Menschen in akuter Not“. „Ein Stopp dieser Hilfe würde selbst in Friedenszeiten Hunderttausende in Hunger, Not und Krankheit stürzen“, sagte die Linken-Sprecherin für Entwicklungspolitik und Globale Gerechtigkeit der taz. Möhring bezieht sich darauf, dass insbesondere die Zivilbevölkerung am Tropf internationaler Organisationen hängt. Seit Jahren sorgen das Welternährungsprogramm, kirchliche Organisationen oder eben UNRWA dafür, dass die Menschen mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe versorgt werden. Auch der Aufbau von Schulen oder Infrastruktur wäre ohne internationales Geld nicht möglich. Allein aus Deutschland erhält UNRWA 91 Millionen Euro.
Betreibt die UNRWA Hamas-Propaganda?
Allerdings gibt es nicht erst seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober scharfe Kritik an den Zahlungen und den UN-Organisationen vor Ort. Ihnen wird Hamas-Propaganda vorgeworfen, dass Terroristen die Hilfsgüter für ihre Zwecke nutzen. Linken-Politikerin Möhring hält die Prüfmechnismen des Auswärtigen Amts, des Bundesentwicklungsministeriums sowie der deutschen Sicherheitsbehörden für valide. „Wer behauptet, dass Deutschland Terror, Hamas und Judenfeinde finanziert, verbreitet wissentlich Fake News und torpediert damit den Frieden in Nahost und das friedliche Zusammenleben in Deutschland.“
Um zu einem Ergebnis zu kommen, werden alle lokalen Partnerorganisationen einzeln kontrolliert. Es geht um Verbindungen zur Hamas und anderen Terrorgruppen, es wird kontrolliert, ob zu Hass und Gewalt aufgerufen wird, ob das Existenzrechts Israel infrage gestellt wird. „Zudem werden keine Vorhaben von Organisationen gefördert, die sich in der BDS-Bewegung engagieren“, heißt es aus dem Ministerium.
Verläuft die Prüfung positiv, dann bescheinigen Auswärtiges Amt und Bundesentwicklungsministerium „außenpolitische Unbedenklichkeit“. Alles an Material, das in den Gazastreifen gelangen soll, kann nur eingeführt werden, wenn die israelischen Behörden entsprechend zustimmen. Bestimmte Geräte, etwa Bohrer, werden videoüberwacht. Deutsches Geld soll auf keinen Fall in falsche Hände geraten. Geht es um Schulen im Gazastreifen gibt es sogar Beauftragte im jeweiligen Projekt, die die die Finanzströme kontrollieren. Die Palästinensischen Behörde wird nicht direkt aus Bundesmitteln gefördert.
Rund 2,3 Millionen Menschen leben im Gazastreifen. Die UN gehen davon aus, dass rund 1,9 Millionen innerhalb des Küstengebiets vertrieben wurden. Ein Großteil davon sind Kinder und Frauen. Wie dramatisch die Lage im Gazastreifen ist, bestätigte in dieser Woche erneut UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini. „Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza“, sagte er beim Global Refugee Forum in Genf. Und Lazzarini wies auch auf diesen Umstand hin. „Von unseren Kollegen wird verlangt, dass sie in einer unmöglichen Situation das Unmögliche tun.“
Wie kann humanitäre Hilfe – auch die der Bundesregierung – in dieser schwierigen Lage überhaupt eingesetzt werden? Eine BMZ-Sprecherin sagte der taz: „Maßnahmen im Gazastreifen müssen, mit Blick auf die Situation, aktuell auf akute Unterstützung bei der Basisversorgung beschränkt bleiben.“ Längerfristige Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit, auch mit UNRWA, sind unter den aktuellen Umständen nicht umsetzbar. Aber dies bedeute nicht, dass UNRWA im Gazastreifen nicht mehr arbeite.
Leser*innenkommentare
*Sabine*
"Eine Zweckentfremdung sei nicht feststellbar."
Na, wenn die Hamas das sagt, wird es wohl stimmen.
Donald Duck
"Auch der Aufbau von Schulen oder Infrastruktur wäre ohne internationales Geld nicht möglich. Allein aus Deutschland erhält UNRWA 91 Millionen Euro."
Ist sichergestellt, daß die Bauunternehmen keine "Steuern" an die HAMAS abführen oder sogar der HAMAS gehören?
Octarine
Da stellt sich die ganz unschuldige Frage, durch welche "unabhängige" Einrichtung wurde die Mittelverwendung vor Ort überprüft? Gerade, jetzt, da die West-Bank abgeriegelt ist und Gaza gekämpft wird.
Sowohl UNRWA als auch andere, durch fremde Mittel finanzierte Organisation und die Medien rekrutieren den Großteil der Mitarbeiter vor Ort, da Unabhängigkeit und die Verleugnung eigener Interessen zu erwarten oder zu fordern, ist naiv. Und das ist eine sehr freundliche Umschreibung.
Diese deutsche Politik schürt das Feuer und wundert sich, dass es brennt.
Wer sich über UNRWA im Klassenzimmer informieren möchte, wird hier fündig:
www.timesofisrael....-unrwa-classrooms/
Übersetzung und Berichte aus der Region:
www.memri.org/
Und dann das Ask project "
Want to know what Israelis and Palestinians really think? Ask."
www.youtube.com/@C...lShusterAskProject
*Sabine*
@Octarine "Da stellt sich die ganz unschuldige Frage, durch welche "unabhängige" Einrichtung wurde die Mittelverwendung vor Ort überprüft?"
Das habe ich mir auch überlegt. Wenn keine neutralen, unabhängigen Dritten vor Ort sind, lässt sich, meiner Einschätzung nach, die Verwendung der Mittel nicht überprüfen. Ich habe mich allerdings auch schon daran gewöhnt, dass wir direkt und indirekt die Hamas und deren Anhänger unterstützen, ähnlich wie in Afghanistan die Taliban.
oct7map.com/women
Octarine
@*Sabine* Das sehe ich auch so.
Was mich aber besonders ärgert, ist diese Unverschämtheit, mit der diese Lügen präsentiert werden.
Bmit
Es ist immer etwas verdächtig wenn sich jemand makellose Arbeit bescheinigt. Vor allem wenn sonst das Budget gekürzt wird.
Es ist keine "Fakenews", dass Deutschland Hamas finanziert. Das geschieht in jedem Fall indirekt, indem es Aufgaben von Hamas übernimmt und dadurch Mittel freiwerden. Und möglicherweise direkt, da Deutschland der größte Finanzier von UNRWA ist, und deren Mitarbeiter vor Ort mutmaßlich mit der Hamas zusammenarbeiten.
Eine andere Frage wäre noch: was hat das Geld bisher gebracht? Es soll die Zivilgesellschaft gefördert werde, aber die scheint es offenbar nach Jahrzehnten mit Förderung immer noch nicht zu geben.
Socrates
"Ihnen wird Hamas-Propaganda vorgeworfen, dass Terroristen die Hilfsgüter für ihre Zwecke nutzen."
Falls jemand etwas zu den Vorwürfen lesen will:
unwatch.org/wp-con...3-Report-UNRWA.pdf
Bei der Beurteilung der UNRWA muss man sich bewusst sein, das die untere-mittlere Mitarbeiterebene vor Ort zu großem Teil selbst aus Palästinensern besteht, und somit unter Ihnen das Ansichtsspektrum wohl dem der palästinensischen Bevölkerung entspricht. Die obere Ebene bezieht ihre Informationen natürlich von der unteren, Außerdem ist die UNRWA auf die Kooperation der örtlichen Machthaber angewiesen, um ihre Aufgabe erledigen zu können - im Falle von Gaza das Wohlwollen der Hamas.
Ein UNRWA-Mitarbeiter vor Ort kann wohl kaum eine Äußerung machen, die den lokalen Machthabern nicht passt, sonst ist er seinen Job los, so wie Matthias Schmale, ehemaliger UNRWA-Chef von Gaza.
www.spiegel.de/aus...-ac1f-6b180f65d6a4
www.juedische-allg...entschuldigt-sich/
Als neutral funktionierende Organisation kann man sie also kaum betrachten.
Dass es bei zigtausend Lehrern in Anstellung der UNRWA immer wieder welche gibt die mit ihren Äußerungen unangenehm auffallen ist wenig verwunderlich. Bedenklicher erscheint der Vorwurf, dass die UNRWA erst bekannt gegeben haben soll, dass die Hamas 36.000 Liter Treibstoff geklaut hat, dann aber unter Druck der Hamas die Meldung widerrief.