Angriff auf Israel: Zäsur für die Entwicklungsarbeit
Die Bundesregierung verurteilt den Hamas-Angriff in Israel. Sie will Entwicklungsprojekte in den Palästinensischen Gebieten auf den Prüfstand stellen.
Berlin taz | Infrastrukturvorhaben, Leitungsnetze für die Wasserversorgung, Unterstützung im Gesundheitsbereich oder Ausbildungsprojekte: Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit zahlreiche Projekte in den Palästinensischen Gebieten finanziert. Laut dem zuständigen Ministerium umfassen die Entwicklungszusagen derzeit rund 250 Millionen Euro. Rund die Hälfte des Betrags ist für bilaterale Projekte über beispielsweise die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in diesem Jahr und 2024 vorgesehen.
Ein ähnlich hoher Betrag fließt an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA. Eine direkte Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde gibt es nicht. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) will nun angesichts der brutalen Angriffe der Hamas auf Israel „das gesamte Engagement für die Palästinensischen Gebiete auf den Prüfstand stellen“.
„Wir haben auch bisher schon streng darauf geachtet, dass unsere Unterstützung für die Menschen in den Palästinensischen Gebieten dem Frieden dient und nicht den Terroristen“, erklärte Schulze. „Aber diese Angriffe auf Israel sind eine fürchterliche Zäsur.“ Derzeit ist noch unklar, ob Entwicklungsprojekte eingestellt werden oder nur auf Eis liegen. Unterstützungszahlungen werden aber nach Angaben des Ministeriums „derzeit nicht vorgenommen“. Schulze will sich bei der Prüfung der finanzierten Vorhaben vor allem mit der israelischen Regierung absprechen und mit den internationalen Partnern abstimmen. „Denn auch Israel hat ein Interesse daran, dass die Menschen in den Palästinensischen Gebieten langfristig in Stabilität leben können“, so Schulze.
Auch das Auswärtige Amt stellt Mittel für die Palästinensischen Gebiete bereit. 2023 sind es rund 72 Millionen Euro, die in die Nahrungsmittelnothilfe, Gesundheitsversorgung oder auch in die psychosoziale Betreuung fließen. Man prüfe fortwährend und immerzu, dass Hilfe auch wirklich bei den Menschen in Not ankomme heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt. Kein Geld gehe an die Hamas, Deutschland finanziere keinen Terror.
Schärfere Kontrollen gefordert
Die Debatte um Hilfen für Palästinenser:innen ist nicht neu, kommt aber angesichts der Gewalteskalation wieder neu auf. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte auf X, früher Twitter, dass die Zahlungen in Millionenhöhe „nun sofort eingestellt werden“. Er forderte das Auswärtige Amt zudem auf, nachzuweisen, dass alle bisherigen Zahlungen an zweckgebundene Projekte gingen und nicht an Organisationen wie etwa die Hamas.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mahnte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), eine Entscheidung zu treffen. „Der Terror ist erschütternd. Auf ihn sollten wir nicht nur mit Worten reagieren“, sagte Lindner der Bild am Sonntag. „Ich erhoffe mir daher eine Empfehlung der Außenministerin, wie der deutsche Staat mit der finanziellen Unterstützung der Palästinenser weiter verfahren sollte.“
Unterstützung für diesen Vorstoß kommt auch vom Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck. „Mit deutschem Steuergeld darf Terrorismus und Antisemitismus nicht finanziert werden.“ Er sprach sich für schärfere Kontrollen der Zahlungen aus. Linken-Politiker Gregor Gysi sagte dem Spiegel: „Palästinensische Organisationen können und müssen unterstützt werden, die Hamas allerdings nicht.“
Leser*innenkommentare
UriAvnerylebt!
"Schulze will sich bei der Prüfung der finanzierten Vorhaben vor allem mit der israelischen Regierung absprechen und mit den internationalen Partnern abstimmen. „Denn auch Israel hat ein Interesse daran, dass die Menschen in den Palästinensischen Gebieten langfristig in Stabilität leben können“, so Schulze.
Wie naiv ist diese Dame, dies anzunehmen! Nach dem Völkerrecht wäre Israel als Besatzungsmacht für die gesamten Infrastrukturkosten der besetzten Gebiete verantwortlich, zieht es allerdings vor, diese Kosten durch das Ausland finanzieren zu lassen. Darüberhinaus zerstört die Besatzungsmacht viele der vom Ausland finanzierten Infrastrukturmassnahmen!
Anstatt ein sofortiges Ende der israelischen Besatzung zu fordern, die Ursache der ganzen Misere ist, will die Bundesregierung nun die lebensnotwendige Unterstützung der Opfer der Besatzung einstellen. Diese Heuchelei und Doppelmoral schreit zum Himmel!
47351 (Profil gelöscht)
Gast
Die Tatsache, dass der Gaza-Streifen als selbständiges Gebilde weder überlebensfähig noch erhaltenswert ist, ist nun gewiss keine neue Erkenntnis.
www.deutschlandfun...egt-brach-100.html
ingrid werner
@47351 (Profil gelöscht) Und was ist ihr Schluss daraus?
47351 (Profil gelöscht)
Gast
@ingrid werner Ägyptisches Protektorat oder ggf. entmilitarisierte Zone unter UN-Verwaltung. Das Problem wird jedoch sein, dass sich darum niemand reißen wird.
BluesBrothers
Läßt sich die begrüßenswerte Unterstützung ziviler Projekte von der ungewollten Terrorfinanzierung sauber trennen, oder ist beides zwangsläufig verknüpft. Bsp.: Die Hilfszahlungen in Höhe von X ermöglichen den Betrieb eines Krankenhauses. Kommt dieser Betrag X mittelbar der Hamas zu Gute, das Krankenhaus muss ja nicht mehr finanziert werden, oder ist ausgeschlossen, dass die eingespaaren Gelder an die Hamas weitergereicht werden?
Jim Hawkins
@BluesBrothers Es werden ja mit den Geldern auch die Schulen der UNRWA unterstützt, in denen antisemitisches Lehrmaterial zum Einsatz kommt und die somit einen wesentlichen Beitrag zur Verhetzung der Schülerinnen und Schüler leisten.
Offensichtlich sind die Geldgeber nicht willens oder nicht in der Lage, daran etwas zu ändern:
"In der Studie werden zahlreiche Beispiele genannt, darunter 133 UNRWA-Lehrkräfte und -Mitarbeiter, die laut UN Watch und IMPACT-se 2022 in den sozialen Medien Hass und Gewalt propagierten. So pries ein syrischer UNRWA-Mathematiklehrer den Attentäter, der im März 2022 in Bnei Brak vier israelische Zivilisten und einen Polizist getötet gatte, als »Märtyrer«, dessen Name »für immer für Feuer, Macht und die Größe« stehen solle.
Im Libanon lobte ein anderer UNRWA-Lehrer den getöteten Anführer der Al-Aqsa-Brigaden, Ibrahim Nabulsi, als »edle Seele«. Nabulsis Zelle war für mehrere Anschläge auf israelische Soldaten und Zivilisten im Westjordanland verantwortlich, darunter den Anschlag auf das Josephsgrab in Nablus. In seinem Post ermutigte der Lehrer auch andere, Nabulsis Weg zu folgen. Eine UNRWA-Mitarbeiterin in Syrien teilte ein Foto von Adolf Hitler und forderte ihre Follower auf »aufzuwachen”. Sie fügte hinzu: »Es gibt immer noch Menschen, die man verbrennen muss«."
www.juedische-allg...n-weit-verbreitet/
BluesBrothers
@Jim Hawkins Erschreckend. Mir kommt es, auch da mit Shani Louk Deutsche unter den Entführungsopfern sind, mehr und mehr absurd vor, dass wird hier finanzielle Unterstützung leisten.
BenLawers
@BluesBrothers Und was wäre die Alternative? Das Krankenhaus nicht mit Hilfsmitteln ausstatten und die Menschen verrecken lassen?
BluesBrothers
@BenLawers Irgendwie passt Ihre Erwiderung so gar nicht zu meiner Frage. Oder wollten Sie mir konkludent mitteilen, dass eine Trennung ausgeschlossen ist und jedes zivile Engagement mittelbar den Terror finanziert? Das wäre wirklich tragisch und wir befänden uns in einer kaum noch aufzulösenden Problematik.
Martin Rees
Offensichtlich gibt es Motivationen und Ziele, die aus der Ferne ziemlich irrational erscheinen müssen:
30 Jahre nach Oslo berichtete die taz:
„Wir machen den Gazastreifen zum zweiten Singapur“, frohlockte Dschibril Radschub, Chef des palästinensischen Geheimdienstes im Westjordanland, kurz vor dem in Israel extrem umstrittenen Abzug. Endlich hatten die PalästinenserInnen im Gazastreifen das, was ihnen im September 1993 versprochen worden war: Autonomie. Ohne nächtliche Ausgangssperren, ohne Siedlungen und ohne BesatzungssoldatInnen.
Und dann kamen der Wahlsieg der Hamas, die palästinensischen Lagerkämpfe und schließlich der Raketenbeschuss auf Israel aus dem von den Islamisten kontrollierten Gebiet. Von Singapur keine Spur. Dabei hätte man beste Voraussetzungen gehabt mit den endlos langen Mittelmeerstränden, mit Gasvorkommen vor der Küste Gazas und mit einer internationalen Gemeinschaft, die nur darauf wartet, die Region wirtschaftlich von Hilfszahlungen unabhängig zu machen."
taz.de/30-Jahre-Os...-Abkommen/!5956646
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2018 in der taz:
"Flüchtlinge, Grenzen, Jerusalem. Es sind genau diese Fragen, die auch vor 25 Jahren im Oslo-Abkommen ausgeklammert wurden. Vielleicht war es schon damals utopisch, eine diplomatische Lösung für diese Streitpunkte zu erreichen. Vielleicht war es falsch, diese Kernfragen auszulagern und auf später zu verschieben – das sagte auch der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, in dieser Woche. Aber hinterher ist man immer schlauer."
taz.de/Nahost-Konf...Abkommen/!5531989/
Philippo1000
Es klingt ganz so, als würden die gestellten Forderungen nach Kontrolle und ohne Finanzierung des Terrorismus bereits eingehalten.
Die Aufregung ist also künstlich. Parteipolitik.
Dass das Entwicklungshilfeministerium alles dennoch wiederholt prüft, zeigt die zeitgemäße Handlungsbereitschaft, unabhängig von unqualifizierten Zwischenrufen.
Den Terror verurteile ich, die Solidarität mit Israel besteht.
Ernährungsmaßnahmen, Gesundheitswesen etc. sind allerdings Förderungen, die Bestand haben müssen.
" Sippenhaft" ist seit dem 3. Reich abgeschafft.
Abdurchdiemitte
@Philippo1000 Die Quadratur des Kreises besteht schon in der Frage, wie die wirtschaftliche Infrastruktur in Gaza aufgebaut werden kann - wofür ich sehr bin -, ohne zugleich die terroristischen Strukturen der Hamas mitzufinanzieren. Sonst sind die Hilfen für die Palästinenser ein Fass ohne Boden. Für ernst gemeinte Vorschläge und Anregungen wäre ich dankbar.
Selbstverständlich bin ich NICHT der Meinung, die palästinensische Bevölkerung gehöre für die terroristischen Schandtaten der Hamas kollektiv bestraft. Das wäre zynisch und inhuman. (Leider tut das die israelische Regierung nach jeder Eskalation immer wieder, das sollte jedoch nicht unser Maßstab sein.)
Aber wie kann Gaza aus der “Geiselhaft” der Hamas befreit werden?
Axel Berger
> Kein Geld gehe an die Hamas, Deutschland finanziere keinen Terror.
Auf eine sehr direkte und wörtliche Weise stimmt das sogar. Wenn aber fast alle Infrastruktur- und Versorgungsausgaben, also der Hauptzweck der staatlichen Steuererhebung, aus dem Ausland übernommen wird, dann werden die Steuereinnahmen zur freien Verwendung frei. Daneben gibt es sehr wohl direkte Zahlungen. Die seit Jahren immer wieder monierten extrem antisemitischen Schulbücher voller Haß und Gewaltaufrufen werden sehr wohl unverändert direkt bezahlt.
Zudem wurden die von der ameriknischen Vorgängerregierung stark gekürzten Zahlungen fast komplett ohne Verwendungskontrolle von der EU, tatsächlich fast ausschließlich von Deutschland übernommen. Bis 2020 ist Jahr für Jahr die Zahl der Anschläge und Opfer gefallen. Seit Biden den Geldhahn wieder weit aufdrehte haben sie sich, Stand Juni 2023, vervielfacht. Es kamen in einem einzigen Monat doppelt so viele Israelische Zivilisten um wie in einem ganzen Jahr Trump. Ohne Finanzierung kein Terror.
Siehe auch taz.de/!5880395/#bb_message_4397671
Benzo
Seid Jahrzehnten sind die Europäer die größten Geldgeber der Palästinenser. Ein nüchternes Fazit ist längst überfällig. Mit den Millionen wurde eigentlich nichts erreicht.
Martin Rees
@Benzo Für historische Bezugspunkte und sich anbahnende Friktionen fand ich zur Komplexität der Zusammenhänge im Netz eine sehr ausführliche Darstellung mit detaillierten Angaben:
/
www.europarl.europ...-2023-0283_DE.html
ke1ner
Sehr viel wichtiger wäre es m.E., die Rolle des Irans zu untersuchen und Wege zu finden, ihm seine Unterstützung für diesen Terror unmöglich zu machen - schon die Reaktion der Bundesregierung auf den Aufstand der Frauen, der Zivilgesellschaft im Iran war und ist völlig unzureichend - ein unwürdiges Sich-Winden, noch nicht mal die Revolutionsgarden sollen auf die EU-Terrorliste.
Und die gegenüber allen Vorgängerregierungen so massiv vorgetragene Kritik hinsichtlich ihrer Energiepolitik und den daraus entstandenen Abhängigkeiten auch auf das aktuelle eigene Handeln zu beziehen: alle Energie z.B. aus Katar, auch LNG, muss durch die Meerenge von Hormuz.
Die der Iran kontrolliert, dicht machen kann (ganz abgesehen von seinen Kooperationen mit Katar): das sind neue Abhängigkeiten, die jetzt Handlungsmöglichkeiten, Solidarität mit dem angegriffenen Israel massiv einschränken.
Klar, von "Infrastrukturvorhaben, Leitungsnetze[n] für die Wasserversorgung, Unterstützung im Gesundheitsbereich oder Ausbildungsprojekte[n]" sollte natürlich nichts für Terror abzweigbar sein, sollte wan auch untersuchen.
So sollte aber keinesfalls die Finanzierung des aktuellen Terrors durch den Iran in den toten Winkel, aus den Augen geraten.
Bzw. die eingeschränkten Möglichkeiten zu echter Solidarität, Hilfe, die diese Bundesregierung selbst zu verantworten hat, unter den Tisch fallen.