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Deutsche AsylpolitikAbschieben in die Schattenwirtschaft

Flüchtende erwarten in Griechenland prekäre Jobs und Obdachlosigkeit. Aber Deutschland will Abschiebungen dorthin ermöglichen.

Zumutbar? Flüchtlinge auf Rhodos Foto: Lefteris Damianidis/epa

Lesbos taz | Vielleicht sucht ja der Wirt der Taverne, der den Touristen in der Straße hinter der Hafenpromenade hervorragenden Oktopus in Rotweinsoße serviert, noch eine Bedienung. Vielleicht braucht der Betreiber des Hotels, von dessen Zimmern aus man über das sichelförmige Hafenbecken Mytilinis, der Inselhauptstadt von Lesbos, bis zu den Bergen auf dem nahen türkischen Festland herüberschauen kann, noch jemanden, der die Betten macht. Oder vielleicht sucht auch ein Bauer auf der Insel noch eine Helferin für die Ernte, schließlich müssen ab Oktober die Oliven von den rund 11 Millionen immergrünen Bäumen auf Lesbos gepflückt werden.

Solche Jobs werden hier oft unter der Hand vergeben – prekär, temporär, schlecht bezahlt. „Schatten­wirtschaft“ heißt das dann. In Griechenlands Hotellerie, der Gastronomie, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft ist dies weit verbreitet. Vor allem für Mi­gran­t:in­nen geht dies oft mit Lohnbetrug, Mindestlohnverstößen, extrem langen Arbeitszeiten oder ungeschützter Arbeit in großer Hitze einher.

Doch in Griechenlands „Schattenwirtschaft“ nach Beschäftigung zu suchen – das empfahl kürzlich das Bundesverwaltungsgericht ab­geschobenen Flüchtlingen, um über die Runden zu kommen. Der erstaunliche Satz dazu lautet: Ihre „Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken“. Der Satz steht in einer Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 30. April. Das hatte zwei Urteile aus Hessen bestätigt. In den Verfahren ging es um die Frage, ob Deutschland nach rund 15 ­Jahren wieder regulär nach Griechenland abschieben darf.

So lange ist es her, dass Gerichte verboten hatten, Menschen aus Deutschland in den EU-Staat Griechenland zurückzuschicken. „Erniedrigende Haft- und Lebensbedingungen“ drohten dort, ­entschied bereits 2009 unter anderem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Laut Verwaltungsgericht Hamburg sind verbotene Tagelöhnertätigkeiten für Abgeschobene „zumutbar“

Griechenland gewährt Asylsuchenden heute zwar minimale Leistungen. Wer aber als Geflüchtete anerkannt wird, der bekommt gar nichts mehr. Das bloße Existenz­minimum – zuletzt unter dem Schlagwort „Bett, Brot, Seife“ in der Diskussion – ist nicht gesichert. Trotzdem sehen deutsche Gerichte es erstmals wieder so, dass es „keine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation“ gebe. „Arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge“ Männer dürften also abgeschoben werden.

Vier deutsche Innenminister – Wolfgang Schäuble (CDU), Thomas de Maizière (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Nancy Faeser (SPD) – hatten lange auf diesen Sinneswandel hingearbeitet. Mit Geld und guten Worten, aber auch mit Druck auf die griechische Regierung. Die Ampel hatte vor allem seit Anfang 2024 ihre entsprechenden Bemühungen dazu intensiviert. Das zeigen interne Dokumente aus dem Bundesinnenministerium, die die Informationsfreiheits-Plattform FragDenStaat zugänglich gemacht hat. Aus ihnen geht hervor, dass die Ministerialbeamten über den Umweg von Interventionen bei der griechischen Regierung gezielt versuchten, die „Rechtsprechungsänderungen der Obergerichte weiterhin vorantreiben“, wie die Beamten notierten.

Dabei hatten sie offenkundig Erfolg. In Griechenland seien zwar der „Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen“ mit „sehr großen Schwierigkeiten verbunden“ und Sozialleistungen praktisch nicht zu erlangen, befand 2024 der Verwaltungsgerichtshof Kassel. Die „größten Chancen, eine Arbeit zu finden“, gäbe es angesichts der „entspannten wirtschaftlichen Lage“ im „Sektor der Schattenwirtschaft“. Dies verwehre den dort Beschäftigten zwar „den Zugang zur sozialen Sicherheit und setzt sie anhaltender Unsicherheit aus“, so das Gericht.

Trotzdem sei es „nicht unzumutbar“, anerkannte Schutzberechtigte nach einer Abschiebung vorübergehend auf „Arbeit im Bereich der Schattenwirtschaft zu verweisen“. Ende Juni entschied auch das Verwaltungsgericht Hamburg, dass verbotene „Tagelöhnertätigkeiten“ für Abgeschobene in Griechenland „zumutbar“ seien. Dabei beklagte die Europäische Grundrechteagentur FRA schon vor Jahren „schwere Formen der Arbeitsausbeutung“ bei Mi­gran­t:in­nen in Griechen­lands Schattenwirtschaft. Eine Untersuchung der Universität Nottingham sah gar Formen „moderner Sklaverei“, etwa auf griechischen Erdbeer­plantagen.

Die Iranerin Setareh E.* sucht seit Monaten auf Lesbos nach Arbeit. Reihenweise bewarb sie sich bei Restaurants und Hotels auf der Insel – ohne Erfolg. „Keiner hat auf meine Bewerbungen auch nur geantwortet“, sagt sie. „None of Your business“ hat E. auf dem Unterarm tätowiert, die Augen­partie ist geschminkt, die Haare zusammengebunden, so kommt sie zum Gespräch in das Büro einer Hilfsorganisation in der Nähe des Fähranlegers von Mytilini. Wer sie nach ihrer Geschichte fragt, dem erzählt Setareh E. von ihrer Odysee, die damit ­endet, dass sie 2022 von Teheran bis nach Zürich geflohen war und dann wieder nach Griechenland abgeschoben wurde. Seit dem Frühjahr sitzt E. auf der Insel fest.

Am Abend, da wird das Licht weich über der Ägäis, das Blau des Meeres kriegt einen rosa­farbenen Schimmer und der Wind weht sanft aus der Türkei herüber. Seit dem vergangenen Jahr können Tür­k:in­nen für sieben Tage visafrei auf einigen griechischen Inseln Urlaub machen, und so ist jetzt, an einem Abend Anfang Juli, die Innenstadt von Mytilini gut besucht. Neue Restaurants und Hotels haben eröffnet, neue Flug- und Fährverbindungen bringen Touristen auf die Insel. „Aber die Jobs gehen alle an Griechen“, sagt Setareh E. Und so weiß sie nicht, wie sie über­leben würde, wäre sie nicht in einem Haus untergekommen, das eine NGO für queere Geflüchtete an­gemietet hat. „Ich will eine eigene Wohnung, will für mich selber kochen können, meine Ruhe haben, Besuch empfangen“, sagt E. Doch wie es aussieht, liegen diese Dinge für sie noch in weiter Ferne.

Die Iranerin Setareh E. sitzt seit dem Frühjahr wieder auf Lesbos fest und sucht verzweifelt einen Job Foto: Hibai Arbide Aza

2022 ging E. in Teheran auf die Straße, es war die Zeit der Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Die junge Frau war wegen „unislamischer Kleidung“ von der Sittenpolizei festgenommen worden. „Sie haben sie ermordet“, sagt E. über das Schicksal Aminis, der sie sich verbunden fühlt. E. ist ausgebildete Fitnesstrainerin, das war ihr Beruf im Iran. „Ich ging in meinem Sportoutfit auch auf die Straße“, sagt sie, sie trug das Kopftuch mit Absicht, so locker es eben ging. So geriet auch E. mit den Sittenwächtern aneinander.

Je länger die weltweit beachteten Proteste der iranischen Frauen im Herbst 2022 dauerten, desto brutaler wurde die Polizei. Mindestens 100 Menschen wurden bei den Protesten getötet, weit mehr verhaftet. E.s Angst wurde zu groß, sagt sie. Sie floh aus dem Iran, über die Türkei versuchte sie nach Griechenland zu gelangen. Drei Mal schob die ­Polizei sie Anfang 2023 über die Landgrenze am Evros-Fluss zurück. Dann bestieg E. ein Boot und erreichte Lesbos. Ende 2023 wurde ihr Asylantrag positiv beschieden. Sie musste das Flüchtlings­lager verlassen und saß auf der Straße.

So geht es jedes Jahr zehntausenden Geflüchteten in Griechenland. Das Land erkennt Schutz­suchende aus einer Reihe von Ländern vergleichsweise schnell an. Danach aber überlässt sie sie praktisch vollständig sich selbst – wohl auch in der Hoffnung, dass viele dann in andere EU-­Staaten weiterziehen.

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kamen seit 2020 nahezu 100.000 Ausländer:innen, die in Griechenland bereits Schutz erhalten hatten, nach Deutschland und beantragten hier erneut Asyl. Das sei zwar unzulässig, eine Abschiebung innerhalb ­Europas aber sei bei drohender „Verelendung“ im Zielstaat nicht rechtens, so das Bamf. Doch dass Menschen wie Setareh E. in Griechenland Verelendung drohe – „diese Sichtweise wurde nun durch das aktuelle Urteil revidiert“, so das Bamf.

Dessen Präsident Hans-Eckhard Sommer begrüßte das Urteil und sah seine „Rechtsauffassung bestätigt“. Das Urteil werde seine Behörde „sofort umsetzen und Asylanträge dieses Personenkreises konsequent als unzulässig ablehnen“. Und um „deutlich zu machen, dass sich die Weiterwanderung nach Deutschland nicht lohnt, muss es nun schnell zu Abschiebungen nach Griechenland kommen“.

Deutschland hatte lange darauf hingewirkt, dass es für Geflüchtete zumindest auf dem Papier „Bett, Brot, Seife“ gibt. Denn das Innenministerium will nicht nur die bereits in Griechenland Anerkannten zurückschicken. Geht es nach Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt, sollen auch all jene Asylsuchenden direkt dorthin zurückgewiesen werden, die künftig an den deutschen Grenzen aufschlagen, aber bereits in Griechenland behördlich erfasst wurden.

Die Bedingungen im Lager Kara Tepe auf der Insel Lesbos sind menschenunwürdig Foto: Petros Giannakouris/ap

Die Dokumente des Bundesinnenministeriums, die die Plattform FragDenStaat veröffentlicht hat, zeigen, dass die Ampel versucht hat, Griechenland zur Ausweitung eines EU-finanzierten Hilfsprogramms für Geflüchtete namens „Helios+“ zu bewegen. Dessen Vorläufer – „Helios“ – war Ende 2024 ausgelaufen. Leistungen daraus erhalten hatten in der vierjährigen Laufzeit seit 2020 insgesamt nur rund 4.200 Menschen. Das sind etwa 3 Prozent der in Griechenland lebenden Schutzberechtigten. Nur ein Bruchteil also – und kaum genug, um alle vor „Verelendung“ zu bewahren. Eine Ausweitung des Nachfolgeprogramms Helios+ aber würde die Lage für Geflüchtete in Griechenland verbessern, heißt es in einem Vermerk des Bundesinnenministeriums von 2024. „Hierdurch können wir dann auch weitere Personengruppen als lediglich junge, gesunde und erwerbsfähige anerkannt Schutzberechtigte zurückführen.“

Der Staatssekretär Bernd Krösser schickte dazu im April 2024 einen Brief an den damaligen griechischen Migrationsminister Dimitris Kairidis. Er „unterstütze ausdrücklich“, dass künftig auch jene Geflüchteten Hilfe aus dem Helios+-Programm bekommen können, die zwischendurch Griechenland verlassen hatten, so Krösser. So sollten nach dem Willen des Bundesinnenministeriums auch jene, die nach einem Aufenthalt in Deutschland abgeschoben werden, Leistungen beantragen können.

Die Rechnung ging auf: Im Urteil des VGH Kassel etwa werden – neben den Verdienstmöglichkeiten in der „Schattenwirtschaft“ – die Leistungen aus dem Helios+-Programm als Faktor genannt, der der Verelendung vorbeugen soll. Genau das aber ist höchst fraglich.

Im Juli 2024 notierten Beamte aus dem Bundesinnenministerium (BMI), dass Griechenland „Vorbehalte“ gegen die deutschen Vorstellungen zu dem Helios+-Programm habe. Eine Antragstellung noch vor einer Rückkehr aus Deutschland wollte Athen nicht gestatten. Eine Unterbringungen Abgeschobener „unmittelbar nach Rückführung“ mochte Griechenland nicht garantieren, die völlig unzureichende Wohnbeihilfe wollte es nicht erhöhen. „Gefahr der Obdachlosigkeit“, schrieben die BMI-Beamten dazu in einem internen Vermerk. Dies wäre nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der „Bett-Brot-Seife“-Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte zu erfüllen.

Gleichwohl tat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seither so, als sei bei dem Existenzminimum für nach Griechenland Abgeschobene alles geritzt. Im ersten Halbjahr 2024 hatte die Behörde nur 3,6 Prozent der Anträge von Asylsuchenden mit Flüchtlingsanerkennung aus Griechenland abgelehnt. Zwischen Juli und Oktober 2024 kehrte sich dies nach einer Auswertung von Pro Asyl um: Plötzlich wurden 87,1 Prozent der Antragsteller abgelehnt. Die Schutzsuchenden mit laufendem Verfahren bekamen einen Brief, um sie zur freiwilligen Rückkehr nach Griechenland zu bewegen. Von einem Abholservice vom Flughafen, vier Monaten kostenloser Unterkunft mit „Vollverpflegung“, Beratungsgesprächen für einen „erfolgreichen Neuanfang“ und einem Griechischkurs ist in diesem Brief die Rede.

Auf Anfrage der taz gibt sich das Innenministerium zugeknöpft. Bei Helios+ handele sich um ein „rein nationales Integrationsprogramm des griechischen Staates, an dem Deutschland nicht beteiligt ist“. Das Bamf verweist auf ein ergänzendes, ominöses „Überbrückungsprogramm“, das „Obdachlosigkeit entgegenwirken“ soll.

Als Setareh E. nach ihrer Abschiebung am Flughafen in Athen landete, „hatten die Polizisten nicht einmal meine Taschen als Gespäck aufgegeben“, sagt sie. „Ich hatte gar nichts, nicht mal eine Haarbürste. Wie kann man einer Frau so etwas antun?“, fragt sie. „Ich fühlte mich verlassen, ging zur Polizei, aber die sagten nur, „raus aus dem Flughafen', es gab keinerlei Hilfe.“ In Athen kannte sie niemand. Also rief sie eine Aktivistin an, die sie im Vorjahr auf Lesbos kennengelernt hatte. „Die schickte mir Geld für das Fährticket und holte mich am Hafen ab.“

Im Mai 2025 beantragte sie Unterstützungsleistungen aus dem Programm. „Bis jetzt habe ich nichts von ihnen gehört“, sagt sie. Ob sie etwas bekommt, ist fraglich: Voraussetzung sind ein Mietvertrag und ein Bankkonto in Griechenland.

Eine Untersuchung der Universität Nottingham sah in Griechenland gar Formen moderner Sklaverei

Mitarbeiter von unabhängigen Beratungsstellen auf Lesbos berichten, dass die für die Umsetzung des Programms zuständige IOM, die Internationale Organisation für Migration, noch dabei ist, Personal zu suchen. Helios+-Anträge könnten zwar gestellt werden, würden aber noch nicht bearbeitet.

Die für die Region zuständige IOM-Vertreterin Marina Liakis hat ein Büro in dem Lager Kara Tepe, etwas außerhalb von Mytilini. Es ist ein staubiges, umzäuntes Provisorium aus Containern und Zelten für 3.000 Menschen. Wer das Lager besucht, wird von Konstantin Scarellis, dem stellvertretenden Leiter, in einem klimatisierten Bürocontainer empfangen. Er zeigt eine Präsentation. Unter anderem ist darin ein Foto zu sehen, das eine Vertreterin der EU-Kommission zeigt. Sie besucht eine der „Jobmessen“ im Flüchtlingslager von Lesbos. Geflüchtete sollen so für die Zeit nach ihrer Anerkennung mit Arbeitgebern in Kontakt kommen, berichtet Scarellis. Für die Anerkannten gebe es also sehr wohl Wege in den Arbeitsmarkt, will Scarellis damit sagen. Allerdings: Gerade einmal 55 Menschen wurden so im ersten Halbjahr vermittelt, bei wie vielen dieser Jobs es sich nicht nur um Tagelöhnerei handelt, ist offen.

Ein Gespräch mit der IOM-Vertreterin Marina Liakis zum Thema Helios+ sei „gar kein Problem“, sagt dann einer von Scarellis Mitarbeitern. Dann heißt es, Liakis sei gerade beschäftigt und zu den IOM-Containern hätten Besucher keinen Zugang. Dann steckt der Mitarbeiter sein Handy aus. „Das ist ihre Nummer“, sagt er, man könne sich „draußen vor dem Tor“ mit Frau Liakis zum Gespräch verabreden, gar kein Problem. Doch die IOM-Frau Liakis verweist dann am Telefon auf die IOM-Zentrale in Athen, die auf wiederholte Anfragen nicht reagiert. Nach einer Woche schickt Liakis dann eine Nachricht, in der steht, dass sie „mehr Zeit“ brauche, bevor sie Fragen beantworten könne.

„Das Helios+-Programm ist nichts als heiße Luft, leere Versprechungen und eine Gefahr für Geflüchtete“, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. Was es verspreche, gebe es in der Realität nicht: Integrationsangebote und besonders eine sichere Unterkunft. „Die Realität ist, dass Geflüchtete immer noch in der Obdachlosigkeit landen, wenn sie in Griechenland anerkannt werden oder wenn sie im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Griechenland abgeschoben werden.“

246 Personen schob Deutschland 2024 nach Griechenland ab, im ersten Quartal 2025 waren es dann schon 176 Personen. Ginge es nach der Bundesregierung, würde die Zahl schnell weiter steigen. Eine taz-Anfrage, wie viele Menschen das BMI nach Griechenland abzuschieben gedenke, beantwortete das Ministerium nicht – das sei Ländersache.

Im Mai besuchte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Bundeskanzler Merz in Berlin. Man fühle sich „gemeinsam dem Problem der Migration nach Europa verpflichtet“, hieß es in der Mitteilung des Kanzleramtes. „Die Sekundärmigration von Griechenland aus nach Deutschland muss sinken. Die Rückübernahmen müssen steigen“, sagte Merz.

Doch in Athen sieht man die Sache etwas anders. Seit jeher ist Griechenland der Meinung, überproportional durch die Flüchtlingsankünfte belastet zu sein. Die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen hatte Mitsotakis’ Regierung sehr kritisch gesehen. Nach den Gerichtsurteilen, die den Weg für Abschiebungen nach Griechenland frei machten, sagte der – mittlerweile wegen eines Agrar-Korruptionsskandals zurückgetretene – rechtsextreme Migrationsminister Makis Voridis, dass eine Rücknahme aus Deutschland unter den derzeitigen Umständen nicht infrage komme, da Griechenland nach Zypern bereits die höchste Anzahl von Flüchtlingen pro Kopf in der EU beherberge.

„Solange es keine gerechte Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union gibt, wird Griechenland keine Rückführungen akzeptieren“, sagte Voridis. Anfragen zu Rücknahmen aus Deutschland werde man „nicht sehr freundlich gegenüberstehen.“

* Name geändert.

Die Reisekosten wurden von der ­Rosa-Luxemburg-Stiftung getragen.

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18 Kommentare

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  • Also Deutschlands Gerichte und die Politik empfehlen Illegale Arbeitsverhältnisse die auch als Sklaverrei gewertet werden als auskommen in Griechenland.



    Ist das Sarkassmus, Ignoranz oder ganz einfach der Verlust der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland?



    Da kann ich ja auch eine Bank überfallen und "ja und??" sagen.

  • Die Entscheidungen vom BAMF sind schon älter. Es gibt da einen dicken Packen mit Erklärungen zu den Entscheidungen und bei jungen Männern ohne chronische Erkrankung geht es zunächst nur um Schutz vor Verfolgung und den bietet Griechenland. Das ist unbestritten. Dann geht es in diesen Entscheidungen um sehr gedehnte Begriffe wie Sozialstaatlichkeit, Krankenversorgung, Arbeit und Schlafplatz. Es ist dann so, es gibt in Griechenland Reste eines Sozialstaats, Arbeitsplätze, bzw. Möglichkeit zur Arbeit und es gibt für Obdachlose Schlafplätze, dort sind sogar Kapazitäten von bis zu 60 Prozent gar nicht genutzt, in Athen und Piräus z.B.



    Ich kann verstehen, dass für Geflüchtete dies alles wie ein Alptraum klingt, statt Arbeit, Wohnung und Soziale Sicherheit, gibt es dann in Griechenland Unsicherheit, Leben mit anderen Obdachlosen und Abhängigkeit vom schwarzen Arbeitsmarkt. Das ist bitter, aber es ist eben auch die EU. Und die wollten die Menschen ja unbedingt einwandern.



    Ich glaube, dass Gerichte das Ganze nicht kippen werden. Einige Syrer werden lieber nach Syrien zurückkehren, anstelle von Griechenland. Andere werden trotzdem kommen und es erst in Athen merken, in was sie geraten sind.

  • In Griechenland gibt es keine oder so gut wie keine Sozialhilfe für griechische Staatsbürger. Es ist politisch nicht durchsetzbar Zuwanderern höhere Sozialleistungen zu gewähren als Einheimischen.







    Daraus folgen 2 Dinge:



    - Das Sozialhilfeniveau wird in Griechenland in absehbarer Zeit nicht das deutsche Niveau erreichen. Dies zu erwarten ist weltfremd.



    - Wenn deutsche Institutionen es für unzumutbar halten, daß Zuwanderer in Griechenland wie Griechen leben müssen und ihnen deswegen hier Schutz zu gewähren sei, dann müßten sie auch jedem Griechen in Deutschland die gleichen Leistungen zugestehen. EU-Bürger sollten nicht schlechter gestellt werden als nicht EU-Bürger.

    • @Donald Duck:

      Theoretisch gibt Griechenland höhere Sozialleistungen an Geflüchtete bereits aus. Aber eben in einem engen und zeitlich begrenzten Rahmen.

  • Ich kenne ein 20-jähriges Kind aus Somalia, B.



    Wir besuchen gemeinsam den Unterricht.



    Wir sind fast 40 Jahre auseinander.



    Er kam aus Griechenland,



    und jetzt schicken sie ihn wieder zurück.



    Er versteckt sich.



    In Griechenland leiden acht Millionen Menschen.



    Sie schieben die Schuld den Armen zu.



    Die Migranten sind schuld.



    Sie kennen die Lüge.



    Sie leben mit ihr wie mit einer zweiten Haut.



    B zittert, während er spricht, und versteckt sich wieder.



    Er öffnet Höhlen in sich selbst und versteckt sich darin.



    Die Welt sieht aus wie auferstandene Dinosaurier.



    In Deutschland gibt es eine Kultur des Zusammenlebens.



    Die AfD schmeißt eine Party.



    Alle schauen für einen Drink vorbei.



    Visionen haben ein Verfallsdatum—



    Hass auf die Armen nicht.



    Milliarden Menschen lieben das Leiden.



    Ihnen fehlt das Können.



    Ich habe es persönlich von einem griechischen Minister gehört:



    „Wenn du es wert bist, schaffst du es hier.“



    B fehlt im Unterricht.



    Er kennt niemanden in Griechenland.



    Arbeit dort ist wie früher—



    du weißt schon, ihr mit den Masken.



    B kam zum Unterricht.



    Er zeigt deutliche Anzeichen von Aufmerksamkeitsstörung.



    Er sieht aus wie ein Kanarienvogel im Käfig.



    Es ist dunkel, weil sich etwas darin versteckt.

  • Würde Griechenland sich an die Dublin-Vereinbarungen halten, käme es erst gar nicht zu Abschiebungen von Deutschland nach Griechenland und das Problem stellte sich nicht. So herum wird ein Schuh daraus.

    • @PeterArt:

      Das stimmt leider so nicht. Was stimmt ist, dass Griechenland sich nicht an die Dublinregelungen hält. Was nicht stimmt ist, dass es zu keinen Abschiebungen käme, wenn Griechenland sich daran halten würde. Denn die Dublin III VO greift nur, wenn jemand der über Griechenland in die EU eingereist ist oder dort einen Asylantrag gestellt hat dann nach Deutschland reist. In diesem Fall leitet das BAMF ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren ein und erlässt eine Abschiebungsanordnung für Griechenland. Zu einer Abschiebung kommt es, wenn Griechenland der Rücknahme zustimmt, was es aber nicht tut. Soll heißen, das Verhalten Griechenland sorgt tatsächlich, anders als sie glauben, gerade dafür, dass es zu kaum Abschiebungen kommt. Würde Griechenland sich an das Dublinverfahren halten, dann würde die Zahl der Abschiebung sogar steigen. Denn der Sinn des Dublinverfahrens ist es ja gerade, Abschiebungen zu ermöglichen. Man kann natürlich argumentieren, wenn Griechenland alle zurücknhemen würde, dann hätten die Leute weniger Anreize herzukommen, aber auch hier gibt es mehr als genug Möglichkeiten die Fristen auszusitzen, im Zweifel halt dank Kirche und dem "Kirchenasyl". Also...naja.

      • @Mike-in-the-Box:

        Sie verstehen mich gewollt oder ungewollt muss. Mein Punkt ist, dass wenn Griechenland sich an Dublin hielte, kein einziger Asylbewerber aus Griechenland nach Deutschland käme, daher Abschiebungen nach Griechenland sich erübrigten.

  • Um seine Flüchtlinge in der EU loszuwerden muss man in Zukunft einfach ein Stück unter dem deutschen Standard bleiben. Ich denke Schengen, wenn nicht die ganze EU ansich keine Zukunft hat. Es wird wieder zurück gehen zur Europäischen WItschaftsgemeinsschaft ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit etc.

    • @Franz Tom:

      Deutschland setzt im Dublin-Verfahren seine Standards nicht als Maßstab. Das sind EU-Standards, um die es hier geht und zentral ist 'Schutz', den bietet Griechenland z.B. gegen die Taliban. Und Griechenland geht mit Palästinensern viel besser um als Deutschland. Das griechische Asylverfahren hat sogar Vorteile gegenüber dem deutschen System und der deutschen Umsetzung. Es ist aber eben ein armes EU-Land und hat kaum noch Industrien oder Verarbeitungsindustrie. Das bedeutet, dass ungelernte Arbeiter oft nicht benötigt werden, abhängig vom Wohnort. Aber die EU verspricht Geflüchteten eben auch nur Schutz, mehr nicht.

  • "Doch in Griechenlands „Schattenwirtschaft“ nach Beschäftigung zu suchen – das empfahl kürzlich das Bundesverwaltungsgericht"

    Diese Aussage bedarf einer juristisch korrekten Einordnung, um sie richtig interpretieren zu können. Im Kontext des Artikels entsteht der Eindruck, dass BVerwG würde eine Empfehlung zur Schwarzabeit aussprechen. Das war in dem Urteil keinesfalls von den Richtern so gemeint.

    Das Gericht hat in seiner Urteilsfindung den Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegt. Es hat auf Basis der ihr vorliegenden Informationen eine Risikoprognose unter Berücksichtigung von Faktoren wie Gesundheitsversorgung, Unterkunft, Zugang zu Nahrung etc. getroffen. In diese Prognose mit eingeflossen sind auch zusätzliche Verdienstmöglichkeiten in der Schattenwirtschaft. Das ist nach internationalen Standard nicht ungewöhnlich, dass Gerichte dieses mitberücksichtigen, wenn bekannt ist das ein Land über eine solche im großen Ausmaß verfügt. Siehe die Türkei.

    Nach dieser wertenden Einschätzung besteht nach Auffassung des Gerichts kein Risiko des Eintretens einer extremen Notsituation.

    Fortsetzung folgt..

    • @Sam Spade:

      Eigentlich die "hohe Wahrscheinlichkeit", weil wir ja hier im nationalen Recht der Abscheibungsverbote sind (siehe auch www.bverwg.de/210422U1C10.21.0 , hier geht es um Afghanistan und das BVerwG spricht von der hohen Wahrscheinlichkeit). Wieso das Gericht hier jetzt auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit gegangen ist erschließt sich mir nicht ganz, aber das ist ein Trend der bei den Abschiebungsverboten generell zu beobachten ist. Man kann natürlich auch argumentieren, dass der Unterschied eher technischer Natur ist und ein Vorbringen was bei §4 AsylG wegen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu einem Schutz führen würde dann seltsamerweise bei den Abschiebungsverboten wegen der hohen Wahrscheinlichkeit nicht mehr berücksicht werden kann.

      • @Mike-in-the-Box:

        "Eigentlich die "hohe Wahrscheinlichkeit", weil wir ja hier im nationalen Recht der Abscheibungsverbote sind"

        "Beachtliche Wahrscheinlichkeit" ist ein juristischer Begriff und bezeichnet nicht den Grad der Gewissheit in derartigen Verfahren. Spricht das BVerfG in einem Verfahren von "hoher Wahrscheinlichkeit", dann ist dieses auf den Fall bezogen.

    • @Sam Spade:

      Griechenland bietet Schutz vor Verfolgung. Wenn nicht besondere Kriterien in einem Asyl-Antrag zu berücksichtigen sind, etwa Alleinerziehend, psychisch-psychiatrischer Bedarf, dann ist gegen einen Aufenthaltsort Griechenland nichts einzuwenden. Bei aller Kritik beurteilen griechische Behörden durchaus korrekt, wer und warum einen Asylgrund vorträgt und wer nicht.

    • @Sam Spade:

      Teil 2

      Es ist zudem eine Einzelfalentscheidung die sich auf die Situation "junger, arbeitsfähiger Männer" bezieht. Daraus kann nicht abgeleitet werden, wie es das BAMF jetzt tut, dass grundsätzlich Rückführungen nach Griechenland rechtlich zulässig sind.

      Da es sich beim Anlegen eines derartigen Maßstabs immer um auch um eine Quantizierung von Wahrscheinlichkeiten handelt, läßt sich ein solches Urteil auch relativ einfach revidieren, z. B. vor dem EuGH, wenn der Nachweis erbracht wird, z. B. in Form von Statistiken, dass die angesetzten Maßstäbe des Gerichts der Situation vor Ort nicht standhalten.

      Rechtlich jedoch ist die Herangehensweise des BVerwG weder außergewöhnlich noch zu beanstanden. Über das Ergebnis des Urteils kann man natürlich geteilter Meinung sein, besonders nach der Lektüre dieses sehr informativen Artikels.

      • @Sam Spade:

        Korrekt statt EuGH wäre der EGMR besser geeignet. Die KI Tastatur halt..

  • Das sind alles Themen, die in Griechenland zu klären sind und nicht in Deutschland. Und ob uns die Leute jetzt freundlich gesonnen sind oder nicht ist dann erst mal zweitrangig.

  • Danke für diesen großartigen Artikel!🙏



    Man kann vielleicht noch ergänzen, dass es sich um einen jahrelangen Streit zwischen Griechenland und der Rest-EU handelt, der auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen wird, was auch das harrsche Urteil des BVerwG erklärt, das wahrscheinlich vom EGMR in Straßburg kassiert wird:



    Griechenland empfindet die Dublin III -Regeln als höchst ungerecht, weil es neben Italien das klassische Ersteinreiseland ist, aber Menschen von dort kaum mehr nach Mitteleuropa abtauchen können. Deshalb war das Land glücklich, dass der EGMR den Mindeststandard "Brot, Butter, Seife" in Griechenland nicht gewahrt sah und Abschiebungen dahin verboten hat. In der Folge hat Griechenland peinlich darauf geachtet, Flüchtlinge keineswegs menschenwürdig unterzubringen und ist dazu übergegangen, allen dennoch in Griechenland eintreffenden Flüchtlingen großzügig europäischen Flüchtlingsstatus zu erteilen, in der Hoffnung, dass sie schnell den nächsten Flieger oder die Fähre ab Patros nehmen. Das wiederum hat die Deutschen erzürnt, die sich beim EuGH das Recht erstritten haben, alle Aufenthaltstitel aus Griechenland, obwohl EU-Staat, selbst noch einmal überprüfen zu dürfen.