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Deutsch-türkische Beziehungen60 Jahre Komplizenschaft

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei war unter Kanzlerin Angela Merkel toxisch. Auch nach ihrer Amtszeit wird es wohl so weitergehen.

16 Jahre kühle Beziehungen gepflegt: Merkel beim Abschiedsbesuch in Istanbul Foto: Murad Sezer/reuters

O kay, dass Angela Merkel kurz vor dem Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerinnenschaft auf Abschiedsreise nach Ankara gereist ist, überrascht wenig. Mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan hat die Kanzlerin stets eine kühl anmutende, aber politisch doch recht wohlwollende Beziehung gepflegt. Erdoğan, der Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz letzte Woche seine „Freundin“ nannte, hat während der Merkel-Jahre die Türkei zu einer De-facto-Autokratie umgebaut. Dabei konnte er, trotz gelegentlicher Kritik an Menschenrechtsverletzungen, immer auf Waffen aus Deutschland bauen.

Merkels Abschiedsbesuch in Ankara lässt sich aber zugleich als Warnsignal verstehen. Denn die toxische Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei wird mit Merkels Amtszeit wohl nicht enden. Das Flüchtlingsabkommen mit der EU soll weitergeführt werden. Auch wenn Erdoğan eine indirekte Wahlempfehlung für Laschet ausgesprochen hatte – die Ampelkoalition wird sicher nichts dagegen haben, „illegale Migration“ durch ein paar Milliarden Euro an die Türkei zu unterbinden.

Spätestens bei den nächsten Türkei-Wahlen dann wird die hiesige Presse wieder bestürzt feststellen, wie viele wahlberechtigte Deutschtürk_innen ihre Stimme der antidemokratischen AKP geben. Sollte Erdoğan im eigenen Land tatsächlich nur noch auf 30 Prozent kommen, wie es Umfragen nahelegen, wird sein Stimmenanteil bei den Deutschtürk_innen erwartungsgemäß höher liegen. Zum einen, weil Wäh­ler_innen in der Diaspora nicht jenen Problemen ausgesetzt sind, unter denen die dortige Bevölkerung leidet (Inflation, Arbeitslosigkeit). Zum anderen, weil die Stimme an die AKP oder ihren ultrarechten Koalitionspartner MHP auch Ausdruck einer Ideologie ist, an deren Verbreitung und Verfestigung hierzulande die Bundesregierung nicht unschuldig ist.

Rechte Strukturen bauten sich auf

Zufällig feiert gerade auch das Anwerbe­ab­kommen mit der Türkei 60-jähriges ­Jubiläum. Mit ihm kamen ja nicht nur ­Ar­bei­ter_innen, sondern auch politische Subjekte. „Die Bun­des­republik Deutschland ist ein nationalis­ti­scher Staat. Die dort lebenden Deutschen, sind, genau wie wir Türken, Natio­nalisten und Feinde des Kommunismus,“ erklärte eine türkische Broschüre in den 1960ern den neu ankommenden Arbeiter_innen. Und so waren es während des Kalten Kriegs vor allem linke Mi­grant_innenorganisationen, die in der BRD kritisch beäugt wurden. Rechte ­bauten indessen munter ihre Strukturen auf und wurden gar von deutschen Politiker_innen unterstützt.

„Graue Wölfe gibt es nicht einmal in der Türkei“, zitiert die taz 1980 den Leiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes, der keine rechtsextremen Tendenzen in der türkischen Community seines Bundeslandes erkennen konnte. „Dagegen führt der Staatsschutz in seinen schwarzen Listen über 20.000 Mitbürger aus der Türkei als linksextremistische Verfassungsfeinde, die (…) eine schwere Bedrohung der inneren Sicherheit darstellen“, heißt es weiter. Zwei Jahre zuvor lud der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß den Chefideologen der Grauen Wölfe, Alparslan Türkeş, zur Au­dienz nach München ein. Kurz darauf sprossen die sogenannten Idealistenvereine, in denen sich die rechtsextremen Grauen Wölfe organisierten, nur so aus deutschem Boden.

Linke Migrant_innen wurden kritisch beäugt, Rechte bauten munter Strukturen auf

Nachwirkungen dieser Politik sind heute noch spürbar in der exzellenten Vernetzung rechtsextremer Vereine. Auch wenn Forderungen nach einem Verbot der Grauen Wölfe lauter werden, ist der ihnen nahe stehende Dachverband Atib Mitglied im Zentralrat der Muslime und somit direkter Ansprechpartner der Bundesregierung. Die Kriminalisierung linker, vor allem kurdischer Aktivist_innen reicht indessen weiterhin von Ankara bis Berlin. Das sind die Früchte der 60-jährigen Komplizenschaft, die mit der Merkel-Ära nicht enden wird.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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14 Kommentare

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  • der türkische präsident verbietet sich ...

    die zuschauer aus dem ausland in der ersten reihe.

    er braucht keine internationalen zeugen, für das worauf die türkei noch zusteuert.

    vor dem jahreswechsel fehlt vielen menschen wichtiges im kühlschrank.



    und nicht nur dort.

    vielen sind kredite nunmehr über den kopf gewachsen. solche, die in ausländischer währung abgeschlossen wurden.

    es zeichnet sich ein sozialer vulkanausbruch ab.

  • Alle Parteien haben den Zentralrat der Muslime hofiert, der nicht nur ATIB umfasst sondern auch z.B. das vom Iran gesteuerte Islamische Zentrum Hamburg, reaktionäre Verbände des politischen Islam, die großen Einfluss bekommen haben, obwohl sie nur einen winzigen Teil der Muslim*innen hierzulande repräsentierten. Hofiert wird der Zentralrat der Muslime von CDU/CSU, SPD, den Grünen, der Linken (um Christiane Buchholz). Auch von NGOs. Auf der Auftaktkundgebung der unteilbar-Demonstration 2018 durfte Aiman Mazyek reden, als Repräsentant des Zentralrats. Einer seiner Stellvertreter im Zentralrat ist Mehmet Alparslan Çelebi, ATİB-Vorstandsmitglied.

    • @LeandraM:

      Ja, dann passt ja wieder alles zusammen! „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Minarette sind unsere Bajonette … die Moscheen sind unsere Kasernen."

  • Ich bedanke mich für Ihr historisches Wachrütteln. Wer, wie die deutsche Politik, einem Narzissten wie Erdogan diplomatisch-höflich begegnet, der muss sich über solche Egomanie nicht wundern. Diplomatie ist eben die Kunst den anderen nicht zu brüskieren, damit eigene Interessen gewahrt bleiben. Und sei es auf Kosten der Menschenrechte.

    • @Struppo:

      Erdogan ist eine kleine Fliege..

      Wenn es um höffliche Begegnung unserer Staat gegen Diktaturen geht, wird Nummer#1 die People's Republic of China... PRC...

      Haben Sie dran schon gedacht?



      Wenn die Menschenrechte* so wichtig für uns ist, was sollen wir mit China machen? Ehrlich und fofen besprechen wir nie darüber..

      * Tibet, Uiguristan, Hong Kong, und bald Taiwan.....

  • Die Wurzeln für diese unsägliche Kumpanei gehen noch viel tiefer. Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entdeckte der damalige Sultan des damaligen osmanischen Reichs das im Westen des habsburger Reiches aufstrebende aber noch kleine Preußen und gewährte Preußen militärische und politische Entwicklungshilfe. Im 1. WK waren das von Preußen dominierte deutsch Kaiserreich und das osmanische Reich Verbündete und die kaiserlicher Armee sicherte den Völkermord der türkischen Armee an den Armeniern ab.

  • Hatten wir (egal Links und Konservativen) nicht Erdogan von 2002 bis Anfang 2010er unterstüzt?

    Sowohl die Grüne (u.a. Cem Özdemir) und SPD als auch CDU und FDP hatten ihn nicht viel gelobt???



    Ich möchte nicht mehr hören, dass er aber damals anders gewesen sei.



    Man gibt die Schafe nie an einem Wolf... Auch wenn er getarnt ist.. Wir haben aber es gemacht.

    Und sogar sehr gut(!) gemacht...

  • Meine Vermutung ist aber zudem, dass die türkischen Migranten der letzten 60 Jahre sicher kein repäsentatives Bild der türkischen Gesellschaft abgebildet haben. Es scheint doch eher so, dass es die einfachere Arbeiterfraktion und Landbevölkerung war die nach DE migrierte. Dass die sowohl politisch konservativer als auch religiöser waren als der Gesamtdurchschnitt der TürkInnen in der Türkei liegt für mich auf der Hand. Die entsprechend konservativen und Erdogan-treuen Wahlergebnisse hier in DE bei Türkischen Wahlen scheint daher logisch.



    Um so mehr hätte man das aber bei den Entscheidungen rund um DITIP und deren Prediger beachten müssen und stringenter auf Ausgewogenheit achten müssen. Blöd, denn dann wäre es aber bei anderen Themen mit Erdo noch schwieriger geworden. Das wollte man nicht; Wirtschaft und Flüchtlingsstrom sowie anfangs die NATO-Kumpelei war eben wichtiger.

  • Das Verhältnis Deutschland zur Türkei zeigt für mich im Grunde zwei Dinge:

    1. es ist endlich an der Zeit, mit den Lebenslügen aufzuhören und offen mit der Türkei umzugehen.

    Dazu gehört endlich klipp und klar zu sagen, dass die Türkei niemals ein EU-Mitglied werden wird. Das ganze Rumgeeiere um das Thema ist würdelos und genau das, was Erdogan letzten Endes groß gemacht hat.

    2. die doppelte Staatsbürgerschaft war, ist und bleibt ein Riesenfehler.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      da wird der Recep aber untröstlich sein, und weiter?

  • Danke für diesen Artikel. Es füllt ein diffuses Gefühl, das ich schon lange hatte mit knackigen Fakten.

    "Die Bun­des­republik Deutschland ist ein nationalis­ti­scher Staat ..." -- Ein kleines Juwel. Danke dafür & für die anderen!

  • May be. But.

    Die Komplizenschaft - war - jedenfalls & verschärft unter Merkel:



    Eine hinhaltende - ArminArm mit der EU =>



    Die türkische Zivilgesellschaft hängen lassen => Türkei bleibt draußen!



    & sodele =>



    Hat so erst Ziehvater Erbakan & den Langen möglich gemacht •



    “Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.



    Die Minarette sind unsere Bajonette … die Moscheen sind unsere Kasernen.“

    kurz - Hinterhofpolitik - (“hinten weit in der Türkei…“) - vom Feinsten!



    Atlantikbrücke & 🇺🇸 lassen - Grüßen! Newahr.



    Normal.

    unterm—— servíce



    de.wikipedia.org/w...k%C4%B1nma_Partisi



    &



    de.wikipedia.org/wiki/Necmettin_Erbakan

  • Wieder einmal zeigt sich, dass wirtschaftliche Interessen vor Politik gehen. Warum nicht einmal politisch dergestalt einwirken, dass hierzulande keine türkischen Flugzeuge mehr landen und starten dürfen und ein strikt kontrolliertes Verbot von Waffenexporten in Erdogans Reich durchgesetzt wird ? Nein, im Gegenteil, eine billige türkische Lira schreit geradezu danach, hier ökonomisch tätig zu werden, wenn der Faktor menschliche Arbeit wieder einmal günstiger produzieren lässt. genauso wie die Globalisierung schon früher einmal prosperierende Staaten schon Argentinien und Chile ökonomisch zerstört haben und Marionettenregierungen für Ruhe und Ordnung sorgen.

    • @Dietmar Rauter:

      ?

      Deutsche Unternehmen investieren doch derzeit wegen der instabilen Lage kaum in der Türkei.

      Warum sollten hier keine türkische Flugzeuge mehr landen dürfen?

      Warum sollten die hier lebenden Türken ihre Verwandten nicht mehr besuchen?



      Wollen Sie Türkei-Urlaub verbieten?

      Wegen der Politik?



      Chinesische und russische Flugzeuge dürfen hier auch landen.