Detonationen im Libanon: Tausende Verletzte durch Pager
Bei mysteriösen Explosionen von Funkempfängern im Libanon wurden offenbar tausende Menschen verletzt. Der Angriff wird Israel zugeschrieben.
So zeigt etwa eine Aufnahme einer Überwachungskamera eines Shops den Moment der Explosion: An der Kasse steht ein Mann, plötzlich gibt es eine kleinere Explosion, und er sackt in sich zusammen auf den Boden, die Kassiererin springt auf und bringt sich in Sicherheit. Weitere Videos zeigen mögliche Betroffene mit blutigen Verletzungen, etwa an der Hüfte. Viele Menschen tragen Handys oder andere Kleingeräte in den Hosentaschen, die Position der Verletzungen scheint damit übereinzustimmen.
Nach Angaben des libanesischen Roten Kreuzes sind alleine vonseiten der Rettungsorganisation über 30 Krankenwägen im Einsatz. Fünfzig weitere seien in Alarmbereitschaft versetzt worden. Laut Berichten des katarischen TV-Senders AlJazeera soll in einem Krankenhaus in Beirut bereits der Platz ausgehen, um die vielen Verletzten zu behandeln. Nach Angaben libanesischer Telegram-Kanäle sind vor allem im Süden des Landes die Krankenhäuser überfüllt. Mehrere Spitale sollen die Bürgerinnen und Bürger des Libanon mittlerweile außerdem aufgefordert haben, Blut zu spenden. Nach lokalen Angaben sind vor allem in Südbeirut auch am frühen Dienstagabend noch permanent die Sirenen der Krankenwägen zu hören.
Iranischer Botschafter unter den Verletzten
Mindestens acht Menschen sollen bisher durch die Pager-Attacke getötet worden sein. Nach Angaben einer libanesischen Quelle der taz soll unter den Toten auch der Sohn von Ali Ammar, ein Abgeordneter der Hisbollah im libanesischen Parlament sein. Ein weiteres Politmitglied der Hisbollah soll ebenso betroffen sein. Das berichtet auch die israelische Online-Zeitung The Times of Israel. Nach deren Angaben soll unter den Toten außerdem ein neunjähriges Mädchen in der Bekaa-Ebene sein.
Desweiteren befindet sich unter den Verletzten der Botschafter der Islamischen Republik Iran im Libanon, Mojtaba Amani. Er war im Besitz einer der explodierten Pager, nach Angaben der iranischen Botschaft soll sein Zustand allerdings nicht kritisch sein.
Das Gesundheitsministerium des Libanons forderte seine Bürgerinnen und Bürger auf, sich von „kabellosen Kommunikationsgeräten“ fernzuhalten. Es erklärte weiter, für die Kosten der Behandlungen der Verletzten aufzukommen, und hielt Angestellte im Medizinbereich Tätige an, sich sofort an ihre Arbeitsstätten zu begeben.
Dutzende libanesische Telegram-Kanäle, Instagram-Accounts sowie Medien gaben an, dass Israel hinter den zeitgleichen Detonationen stehe. Auch die Nachrichtenagentur AFP gab an, eine der Hisbollah nahestehende Quelle habe ihr berichtet, dass Israel hinter den Explosionen stecke. Die US-Agentur Reuters nannte den Vorfall die „bislang größte Sicherheitslücke“ seit dem 7. Oktober. Israel äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht.
Der Angriff erfolgt nur kurz nachdem Israel bekannt gab, einen Angriff der Hisbollah-Miliz im Libanon auf ein ehemaliges Mitglied des israelischen Sicherheitsapparates verhindert zu haben. Der bisher Ungenannte hätte wohl von einem ferngezündeten Sprengsatz getötet werden sollen.
Weshalb die Hisbollah Pager nutzt
Nach Angaben des Militäranalysten Elijah Magnier gegenüber AlJazeera nutzt die Hisbollah die antiquiert wirkenden Geräte, um einem Abhören ihrer Kommunikation seitens Israel zuvorzukommen.
Es sei möglich, so Magnier, dass die Geräte bereits vor der Ausgabe an die Mitglieder der Hisbollah manipuliert worden sein könnten. Das bedeute wiederum, dass – so die Explosionen ein Werk des israelischen Geheimdienstes sein sollten – dieser Zugriff zu Lieferungen aus dem Iran an die Hisbollah gehabt habe. Das meiste Equipment, dass die Hisbollah nutze, werde vom Iran bereitgestellt.
Magnier stellt außerdem eine Möglichkeit vor, wie die Geräte zum Explodieren gebracht worden sein könnten: In dem Gerät sei wohl ein Sprengvorrichtung versteckt gewesen, die dann wahrscheinlich mittels Radiofrequenz zur Explosion gebracht wurde.
Dass die Explosionen ein Anzeichen einer möglichen Invasion des israelischen Militärs ist, befürchten nun viele Libanesinnen und Libanesen. Nach Angaben israelischer Medien treffen sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant mit Mitgliedern des Verteidigungsapparats in deren Hauptquartier in Tel Aviv in einem Notfallmeeting.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken