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Der Kanzler im ZDF-InterviewMerz rettet Scholz

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Scholz gelingt es, seine Ukrainepolitik langsam besser zu erklären. Merz hingegen verwechselt Kiew mit Lüdenscheid – und Krieg mit Wahlkampf.

Wollte nie Zirkusdirektor werden: Bundeskanzler Olaf Scholz Foto: Thomas Kierok/dpa

W enn man den allermeisten Kommentaren glaubt, wären wir mit einem anderen Kanzler derzeit besser bedient. Olaf Scholz zögere – anstatt Putin die Stirn zu bieten, flugs Bundeswehr-Kampfpanzer nach Kiew zu liefern und überhaupt entschiedener zu wirken. So wie Friedrich Merz, der sein Herz auf der Zunge trägt.

Scholz hat mal gesagt, er wollte Kanzler und nicht Zirkusdirektor werden. Für Letzteres sind seine Talente auf jeden Fall überschaubar. Inszenierung ist nicht seine Stärke. Erst kanzelte er Fragen nach schweren Waffen als ahnungsloses Gerede ab. Dann erklärte er viel zu spät in einem Spiegel-Interview endlich doch seine Skepsis gegen die Lieferung von Angriffswaffen. Drei Tage später kam die Entscheidung, 50 Gepard-Panzer zu liefern. Ein Zirkusdirektor mit diesem Timing würde gefeuert. Wahrheit ist eine Frage des Zeitpunkts.

Im ZDF-Interview war nun ein recht vitaler, rhetorisch wacher Kanzler zu sehen. Nach Kiew wird er nicht reisen, weil man dem Bundespräsidenten nicht die Tür weisen kann, um den Kanzler einzuladen. Das ist nachvollziehbar, wirkt auch nicht beleidigt, und rückt die Maßstäbe zurecht. Es ist ja seltsam, einem Land, das der Ukraine militärisch, finanziell und politisch hilft, so rüde zu kommen. Point taken.

Aus der Kriegszieldebatte hält sich Scholz heraus. Dem US-Verteidigungsminister, der forsch eine dauerhafte Niederlage Moskaus zum Ziel erklärte, widerspricht er nicht direkt, lässt aber Distanz erkennen. Er kritisiert auch Ungarns Nein zum Ölembargo nicht. Die Devise lautet: Die Einheit von EU und Nato ist die schärfste Waffe gegen Putin. Daher gilt es den Konsens zu betonen, nicht den Dissens.

Was noch? Ein energisch vorgetragener, plausibler Einspruch gegen selbstbezüglichen, westlichen Moralismus. Es sei denkbar, so Scholz, dass Putin beim G20-Gipfel in Indonesien teilnehmen werde. Denn man müsse begreifen, wie man in Indien und Indonesien auf Krieg und Putin blickt. Der Westen braucht Verbündete, denen man besser nicht mit Belehrungen kommt. Es sei „ein schwerer Fehler“, Demokratie als „westliche Lebenskultur“ misszuverstehen.

Ansonsten freut sich der Kanzler, dass Baerbock und Habeck, die Talent als Performer und Erklärer haben, populär sind. Das wirkt nicht verkniffen, sondern selbstbewusst. Auch der dürre Kommentar zur Reise von Oppositionsführer Merz nach Kiew gelingt aufregungsfrei. Er habe nichts daran zu kritisieren und werde sich von Merz berichten lassen. Die Ampel braucht die Union unbedingt für das 100-Milliarden-Euro-Bundeswehr Paket. Da ist es unklug, zumal als Kanzler, unhöflich zu werden.

Für die Demontage sorgt in diesem Fall Friedrich Merz ja selbst. Man muss nicht stoßen, wer von alleine fällt. Die Reise von Merz ist so kurz vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW als Kritik am Kanzler gemeint und der Versuch, Punkte zu machen.

Es ist die Reise eines CDU-Vorsitzenden, der sich, falls die CDU in Düsseldorf verlieren sollte, unschöne Fragen anhören müssen wird. Wahlkampf aber macht man doch besser in den Fußgängerzonen von Flensburg und Lüdenscheid – und nicht vor dem dramatischen Prospekt von Putins brutalem Angriffskrieg. Scholz' oft arrogante, trockene Art hat angesichts des zirkusdirektorhaften Merz fast etwas Vertrauenerweckendes.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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8 Kommentare

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  • Hmm, so einfach die USA und Ungarn als zwei extreme in der NATO in einen Topf zu werfen ist aber auch einfach falsch. Wenn man eine Meinung zu Putin hat ist es falsch die nicht zu vertreten nur weil ein paar Freunden yon Putin dies nicht gefällt!

  • Scholz bleibt Scholz und die SPD ist nicht mehr die Volkspartei vor einem gewissen Gerhard Schröder. Ein vorgeblicher Wohlstand (vor 1955 hat ein Einzelverdiener noch eine ganze Familie ernähren können, bevor die neue anerzogene Bedürfnisstruktur auch Frauen eine verstärkte zuverdienstchance ermöglichte und heute fast unverzichtbar geworden ist) hat die Gesellschaft in eine Konsumentenhaltung versetzt, die auch Politik und Verwaltung betraf und jetzt stellt sich heraus, wie groß der Spalt zwischen den Parlamentsparteien, den Planern in den Vollstreckungsbehörden und den Mitmenschen geworden ist, die noch nicht einmal den von ihnen bezahlten Wissenschaftlern glaubten, wenn sie jetzt mitten in der Klimakatastophe und in einem Verteilungskrieg der Globalisten um die letzten und möglichst billigen Rohstoffplünderungen aufwachen. Wir dürfen zwar die Meinung sagen, leben in einem Medienmarkt, der sich auch gegen die Interessen der Menschen richten kann, wie Putin und Telegram beweisen, aber mit einer selbstgewussten, aufgeschlossenen demokratisch organisierten Gesellschaftsform, die ihre Anhänger*innen auch militärisch verteidigen würden, hat das wenig zu tun. Wenn jetzt die Globalisten -das hat ein gewisser Karl Marx schon im 19. Jahrhundert vorher-gesehen- an ihren Wettbewerb um die letzte Marge scheitern, wird deutlich: Um dem zu kontern und niemanden frieren und hungern lassen zu müssen, ist wieder die Solidarität des ganzen Volkes erforderlich, genauso, wie der russische Angriffskrieg die Ukrainer und vielleicht auch andere europäische Mitbewohner*innen zu einem gemeinsamen Miteinander bringen könnte ohne die Ellenbogenpropheten einer gelben Partei oder Chaos-verbreitenden Verschwörern wie Trump und seinesgleichen. Die Scholz und seine SPD haben da schon viel zu viel verspielt.

  • Ich kann dem Kommentar nur zustimmen und bin wirklich froh, dass wir mit Scholz einen besonnenen Kanzler haben, der sich auch nicht von FDP und Grünen und deren neu entdecktem Interesse an Rüstungs- und Kriegspolitik zu sehr vor sich hertreiben lässt. Die verbalen Entgleisungen von FDP und Grünen sind in diesem Kontext schon schwer erträglich. Umso wichtiger ist hier, ein passendes Maß innerhalb des Diskurses zu finden und das schafft Scholz mMn. bisher sehr gut.

  • 3G
    33556 (Profil gelöscht)

    "Scholz gelingt es, seine Ukraine-Politik langsam besser zu erklären."



    Wer's nicht kapiert, nicht kapieren will oder nur sein politisches Spchen kochen (wie die meisten Mainstream-Medien von Süddeutsche bis Spiegel, ganz abgesehen von den rechten - aber auch die ör wie Heute, Tagesschau etc, die nur noch "Waffen" und "Embargo" blaffen), denen kannst du es nicht erklären.

  • Yep! Merz und Söder sind wahrlich kein Maßstab für kluges Regieren, eher für mehr oder weniger kluge Selbstdarstellung. Mag drauf reinfallen, wer will. Von der FDP mal abgesehen, bin ich bisher mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden ...

  • Merkwürdige Worte angesichts der Tatsache, dass bereits ein paar Abgeordnete der Ampelkoalition nach Kiew gefahren sind. Wo blieb da diese harsche Kritik?

    Angesichts der Tatsache, dass der Bundeskanzler eine Reise lediglich wegen der Absage an den Präsidenten ablehnt kann ein wenig Druck nicht schaden. Das hat bei der Lieferung schwerer Waffen ja auch geholfen.

    Selbst wenn man das mit dem Wahlkampf ernst nehmen sollte, wieso sollte Wahlkampf für einen NRW Landtag in Flensburg gemacht werden?

    • @DiMa:

      Vielleicht für die Wahl in Schleswig-Holstein?

      • @mensch meier:

        Ja, nur dürfte die Wahl in Schleswig-Holstein für Herrn Merz und dessen Zukunft ohne jede Bedeutung sein.