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Der Bundestag konstituiert sichUnd schon droht Ärger mit der AfD

Der bisherige Finanzminister Wolfgang Schäuble soll am Dienstag zum Bundestagspräsidenten gewählt werden. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag größer als je zuvor.

AfD-Politiker Glaser benötigt in den ersten beiden Wahlgängen die Stimmen der Mehrheit aller Abgeordneten, also 355 von 709 Foto: dpa

Berlin dpa | Genau einen Monat nach der Bundestagswahl nimmt das neue Parlament am Dienstag seine Arbeit auf. Der bisherige Finanzminister Wolfgang Schäuble soll zum Bundestagspräsidenten gewählt werden. Ärger droht mit der AfD. Politiker aller anderen Fraktionen wollen den AfD-Kandidaten für einen der Vizepräsidentenposten, Albrecht Glaser, durchfallen lassen. Die nationalkonservative Alternative für Deutschland, die nach Union und SPD die drittstärkste Fraktion im neuen Parlament stellt, will nicht einknicken.

In seiner 19. Legislaturperiode ist der Bundestag mit 709 Abgeordneten größer als je zuvor. In der vergangenen Wahlperiode waren es 631 Parlamentarier. Als sicher gilt, dass Schäuble zum Bundestagspräsidenten gewählt wird. Der 75-jährige CDU-Politiker übernimmt damit das formell zweithöchste Staatsamt nach dem Bundespräsidenten, aber noch vor der Bundeskanzlerin. Die AfD will geschlossen gegen Schäuble stimmen – unter anderem wegen seiner Eurorettungspolitik.

Jede der sechs anderen neben der CDU im neuen Bundestag vertretenen Parteien erhält einen Vizeposten. Bisher war es üblich, dass die Stellvertreter fraktionsübergreifend gewählt werden. Der 75-jährige AfD-Politiker Glaser stößt jetzt aber in allen anderen Fraktionen auf Ablehnung. Stein des Anstoßes sind Äußerungen des früheren Frankfurter Stadtkämmerers über den Islam. Der AfD-Politiker benötigt in den ersten beiden Wahlgängen die Stimmen der Mehrheit aller Abgeordneten, also 355 von 709. Im dritten Wahlgang reicht es, wenn er mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt. Wenn der Kandidat auch dann noch durchfällt, muss der Ältestenrat entscheiden, wie es weitergeht.

Streit um die Kandidatur eines Bundestagsvizepräsidenten gibt es nicht zum ersten Mal. Im Herbst 2005 fiel Linkspartei-Chef Lothar Bisky in vier Wahlgängen durch. Die Fraktion stellte schließlich im Frühjahr 2006 Petra Pau als Ersatzkandidatin auf. Sie wurde im ersten Anlauf gewählt.

FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann empfahl, mit Glaser wie damals mit der Linkspartei umzugehen. „Demokraten wählen Demokraten. Wer darunter fällt, das muss jeder Abgeordneter mit sich selbst ausmachen“, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstag). Der Parteienforscher Oskar Niedermayer riet zu einem differenzierten Umgang mit der AfD. Abgeordnete dieser Partei sollten für Posten nur bei konkreten Vorwürfen wie im Fall von Glaser abgelehnt werden, sagte Niedermayer der Heilbronner Stimme (Dienstag). Ansonsten stärke das die AfD „in ihrer Opferrolle“.

Lob und Tadel

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) setzt auf Schäuble, um die AfD zu bändigen. „Die Rechtspopulisten der AfD werden schnell merken, dass Wolfgang Schäuble Form und Inhalt demokratischer Willensbildung im Deutschen Bundestag durchsetzen wird“, sagte Gabriel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag). Das neue Amt gönne er Schäuble „von ganzem Herzen“.

Allerdings verband Gabriel die Wünsche auch mit heftiger Kritik am scheidenden Kabinettskollegen. Schäuble habe Europa in einen „Scherbenhaufen“ verwandelt, „der jetzt von anderen wieder mühsam zusammengesetzt werden muss“, kritisierte der SPD-Politiker und betonte: „In Europa ist es Schäuble gelungen, nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten gegen Deutschland aufzubringen.“

Die Eröffnungsrede im neuen Bundestag hält der FDP-Politiker Hermann Otto Solms. Eigentlich hätte Schäuble als dienstältester Abgeordneter das Rederecht zur Eröffnung gehabt. Da er aber nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten eine Antrittsrede halten wird, ließ er dem 76-jährigen Solms als Parlamentarier mit den zweitmeisten Dienstjahren den Vortritt.

Mit der Konstituierung des Bundestags endet offiziell auch die Amtszeit der bisherigen Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre noch 14 Minister erhalten anschließend von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunden, bleiben dann aber noch geschäftsführend bis zur Vereidigung einer neuen Regierung im Amt.

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15 Kommentare

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  • Glaser sagte im April laut Spiegel: "Wir sind nicht gegen die Religionsfreiheit. Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen." - Ich denke man sollte dies zumindest einmal zum Gegenstand einer Diskussion machen. Die Aussage Glasers pauschal von der Hand zu weisen, wird nicht ausreichen. Versuche, den Islam von seinen grundrechtswidrigen Bestandteilen zu befreien, endet bis jetzt nicht erfolgreich; sieheSeyran Ateş, die in Berlin eine liberale Moschee eröffnet hat und Polizeischutz benötigt.

  • Ich finde, Herr Glaser fügt sich wunderbar in die Reihe der Bundestagsvizepräsidenten ein, wenn man an die SA- oder SS- und/oder NSDAP-Mitglieder Jäger, Preusker, Scheel und Stücklen denkt. Da ist noch Luft nach oben. Zum Bundestagspräsident oder gar zum Bundespräsident.

  • "FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann empfahl, mit Glaser wie damals mit der Linkspartei umzugehen. „Demokraten wählen Demokraten. Wer darunter fällt, das muss jeder Abgeordneter mit sich selbst ausmachen“"

    Da es niemand anderes tut, muss ich an dieser Stelle gegen den impliziten Vergleich Lothar Biskys, eines wirklich respektablen Mannes, mit irgendeinem Affen für Deutschland protestieren.

  • Zum Thema Schäuble und EU.

     

    Die Position des Bundeskanzlers beinhaltet auch gegenüber den Kabinettsmitgliedern die Richtlinienkompetenz. Bei der Europa-Politik sind sich Merkel und Schäuble stets einig gewesen und haben die ungute deutsche Dominanzposition gegenüber den anderen EU-Ländern immer zusammen ausgespielt.

     

    Die Kanzlerdominanz macht sich in einer Koalitionsregierung vor allem bei der Außenpolitik bemerkbar. Das Kanzleramt ist quasi zugleich immer das „Foreign Office“. Wer auch immer Außenminister war … Fischer, Westerwelle, Steinmeier oder Gabriel. Es gab schöne Bilder und Umfragewerte für sie. Entschieden wurde im Kanzleramt.

     

    Randbemerkung. Wie abstrus oder wie sehr das Politikverständnis der AfD gegen Null tendiert oder gar im Minusbereich ist, zeigt deren Begründung wg. der EU-Politik Schäuble nicht zum BT-Präsidenten wählen zu wollen. Selten so gelacht … war er es doch, der zusammen mit Merkels CDU und den anderen Hardcore-Neoliberalen aus FDP (und im Geiste auch mit der AfD), die die für den EU-Süden desaströse „Trojka-Politik“ der EU aufgezwungen hatte.

     

    Die „alternativlose“, unsoziale, nur den deutschen Banken und Unternehmensinteressen dienende EU-Politik ist doch in Wahrheit die „ganz große Koalition“ (zu der neben CDU, FDP & AfD in großen Teilen auch SPD & Grüne gehören). Wenn die AfD ehrlich wäre, müsste sie ihren Wählern sagen: „Schäuble hat „unsere deutschen Interessen“ in Brüssel sehr gut vertreten mit seiner Knebelungspolitik. EU-Politik spielt aber in der AfD keine Rolle mehr, da sich mit Hetze, Fakenews, verbaler Gewalt gegen Migranten, Flüchtlinge, Schwule, emanzipierte selbstbewusste Frauen oder Linke und Grüne mehr Stimmvieh zusammentreiben lässt.

  • Ich habe von einem Lösungsvorschlag gehört, den ich höchst originell finde: Die Abgeordneten aller anderen Parteien sollten sich der Stimme enthalten. Dann würde Herr Glaser zwar gewählt, aber nur von seinen eigenen Parteikollegen.

     

    Dem Formalismus wäre Genüge getan, alle Bundestagsparteien hätten ihren stellv. Bundestagspräsidenten; auch die AfD. Aber vor allem wäre es der AfD nicht gelungen, den Bundestag gleich zu Beginn über dessen eigene Geschäftsordnung stolpern zu lassen!

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Das habe ich auch gelesen. Wäre sinnvoll gewesen. Das haben sie leider nicht getan. Jetzt suhlt sich die braune Grütze in der Ungerechtigkeit.

  • „Politiker aller anderen Fraktionen wollen den AfD-Kandidaten für einen der Vizepräsidentenposten, Albrecht Glaser, durchfallen lassen“

     

    Vermutlich wird es so kommen, und es sei ihm und seiner Partei (die inzwischen vor Kraft kaum noch laufen kann), gegönnt!

    Immerhin könnte er sich damit trösten, dass er nicht der erste wäre. Lothar Bisky (Linkspartei) ist 2005 gleiches passiert: er fiel in allen 4 Wahlgängen durch.

     

    Diejenigen, die zwischen „ganz Linken“ und „ganz Rechten“ ohnehin keine großen Unterschiede sehen, werden sich bestätigt fühlen. Welcher der beiden Parteien wird das peinlicher sein?

  • Bisher war das üblich, bisher war dieses üblich und bisher war es üblich für das Establishment, sich die eigenen Taschen vollzustopfen und darüber nicht zu sprechen. Wenn das im Grundgesetz so vorgegeben ist, dass jede Fraktion einen Vizeposten erhalten soll, wenn dieser mit einfacher Mehrheit vom Parlament gewählt wird, finde ich, ist die Reglung doch eindeutig. Die AfD bekommt keinen Vize, weil es die Parlamentarier nicht in der erforderlichen Mehrheit für ihren Kandidaten überzeugt hat. So einfach ist das.

    Dieses ganze Übliche und man hat schon immer sich beim Postenbazar geeinigt, finde ich sowas von abstoßend und demokratierfeindlich. Ich sag Euch nur eines, wenn mein Bundestagsabgeordneter seine Pfoten für einen AfD-Mann hebt, wird er die nächsten 4 Jahre jede Woche einen Brief von mir bekommen.

  • Zu FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann:

     

    Ich bin sehr weit davon entfernt, für die AfD zu sympathisieren. Aber diese Bemerkung Buschmanns zeigt, dass ER kein Demokrat ist. Denn bei ihm ist schon jemand kein Demokrat mehr, der anderer Meinung ist. Und DAS ist nun tatsächlich undemokratisch.

     

    Wenn wir Feindbilder aufbauen und nicht auch mit AfD Mitgliedern reden, werden wir es schwer haben, ihre Anhänger wieder für einen toleranten, demokratischen Staat zu gewinnen. Denn dann haben sie immer den Vorteil, sich auf so einen ausgrenzenden Unsinn wie den Herrn Buschmanns zu berufen. Wenn wir sie nicht fair demokratisch behandeln, haben sie den Demokratiebonus auf ihrer Seite. Auch, wenn's schwer fällt.

     

    Selbstredend würde ich (demokratisch) einen Herrn Glaser nicht zum Vize wählen, wenn er solche Äußerungen macht. Und da wird sich die AfD auch schwertun, jemanden zu finden, dem man solche Bemerkungen nicht nachweisen kann.

    • @Jalella:

      Sie wollen Menschen die "das System" abschalten wollen, offen Anitdemokratisch sind mit Reden wieder für einen toleranten demokratischen Staat gewinnen. Diejenigen, die ihre Rechte nur nutzen wollen um sie Anderen zu entziehen?

      Viel erfolg!

    • @Jalella:

      Merkwürdig. Woher nehmen Sie die generelle Ausgrenzung in dieser Frage?

       

      Der Mann ist doch genau der gleichen Meinung wie Sie: Wenn man einen Kandidaten nicht für einen Demokraten hält, wählt man ihn nicht, und wenn doch dann doch - wie damals bei der Linkspartei, als Bisky vier Mal durchfiel, Pau (gleiche Partei) aber problemlos gewählt wurde. Wo ist also Ihr Problem - außer dass wenn einer FDP-Funktionär ist, er so eine Äußerung ja nur undemokratisch meinen KANN...? ;-)

  • Zitat " Schäuble habe Europa in einen „Scherbenhaufen“ verwandelt, „der jetzt von anderen wieder mühsam zusammengesetzt werden muss“, kritisierte der SPD-Politiker und betonte: „In Europa ist es Schäuble gelungen, nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten gegen Deutschland aufzubringen.“

     

    und wer hat dabei mitgeholfen, wer war noch gleich mit in der Regierung? mist vergessen....

    • @nutzer:

      Das spielt keine Rolle - Allein die Kanzlerin gibt per Verfassung Richtung vor und eine andere Politik war mit CDU nicht möglich. Schließlich hat der Wähler diese Partei mit 40% gewählt.

       

      In der Krise musste gehandelt werden - der Koalitionspartner hatte also keine andere Wahl. Wer neoliberal wählt, darf sich nicht beklagen über neoliberale Politik.

      • @Unvernunft:

        Lustig. Die Sozen haben also die ganzen Jahre nicht mit zugestimmt am Kabinettstisch oder brav im Bundestag ihre Hand gehoben, wenn es um die Umsetzung von Regierungspolitik ging. Nichtmal für die Kanzlerin gestimmt haben sie ursprünglich...

        Nur zur Info: Die SPD regiert erst seit 2013 wieder mit. Die Austeritätspolitik gab's da schon, kann sie also nicht wirklich nach der Kanzlerwahl überrumpelt haben.

         

        Man könnte einfach ehrlich sein und mit Nahles sagen, dass aus SPD-Sicht Regierung(sverantwortung) eben gestern war, und heute gibt's oppositionell auf die Fresse. "Siggi Pop" (da war mal sowas...) konnte schon immer politische Rollen an- und ausziehen wie einen alten Mantel und so tun, als wäre sein früheres Ich irgendwer anders.

      • @Unvernunft:

        'Allein die Kanzlerin gibt per Verfassung Richtung vor'

         

        Ich weiss ja nicht, ich hab irgendwie ein anderes Exemplar, wahrscheinlich ne alte Westausgabe oder so?