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Der Borkenkäfer und sein schlechter RufMeister des Recyclings

Forstwirte und Waldbesitzer sind sich einig: Der Borkenkäfer ist ein Schädling und muss weg. Doch ist es wirklich so einfach?

Der Borkenkäfer, überlebensgroß Illustration: Franziska Bretthauer

Der Borkenkäfer ist winzig. Selbst auf dem Fingernagel sieht er aus wie ein Holzsplitter. Erst in der Vergrößerung glänzt sein Körper: schwarz, braun, rot, manchmal sogar lila. Feine Härchen ummanteln ihn. Obwohl er nur vier bis sechs Millimeter groß ist, verändert er ganze Landschaften.

Ist vom Borkenkäfer die Rede, ist in diesem Text – und auch sonst meistens im deutschen Sprachgebrauch – der Ips typographus gemeint, der Buchdrucker, auch Großer Achtzähniger Fichtenborkenkäfer genannt. Dieser Käfer ist der Feind der Forstwirtschaft, manchem Menschen scheint er gar verantwortlich für das Waldsterben. Dabei gehen ihm die Klimakatastrophe, Dürre, Stürme und eine defizitäre Waldbewirtschaftung voraus. Der Borkenkäfer braucht den Tod, doch er verursacht ihn nicht.

Der Buchdrucker kann unter der Rinde oder im Boden überwintern. Steigen die Temperaturen, meist Mitte bis Ende April, schwärmen männliche Pio­nier­kä­fer aus. Sie fliegen, gleiten still, auf der Suche nach Bäumen für ihren Nachwuchs. Dort bohren sich die Käfer in die Rinde und legen Höhlen an, Rammelkammern genannt. Mehrere Weibchen folgen dem Duft der männlichen Sexualpheromone in die Höhle, nach der Paarung bohren sie einen Muttergang und legen ihre Eier ab.

Sorgsam kümmern sie sich um den ungeborenen Nachwuchs: Sie putzen die Eier und beschützen sie vor anderen Käfern. Dann schlüpfen milchig-weiße Larven, fressen sich zwischen Borke und Splintholz in den Bast und hinterlassen ein kunstvolles Fraßbild, verschlungen und filigran wie ein Farnblatt. Dem Baum jedoch kappen diese Kunstwerke die Lebensadern ab, sie zerstören die Leitungen, in denen er Wasser und Nährstoffe von unten nach oben und umgekehrt transportiert.

NRW ist besonders stark betroffen

Die feste Haut der Buchdruckerlarve ist nicht dehnbar, dreimal muss sie sich häuten, bevor sie sich verpuppt und schließlich der Jungkäfer schlüpft. In einer kalten, feuchten Region dauert die Entwicklung vom Ei zum Käfer drei Monate, ist es warm und trocken, geht es schneller. Normalerweise entstehen so im Laufe eines Sommers ein bis zwei Käfergenerationen.

Im Sauerland waren es 2020 vier. Die Wälder in Nordrhein-Westfalen sind besonders betroffen von Klimaveränderung und Borkenkäferbefall, das nordrhein-westfälische Umweltministerium zählte von 2018 bis September 2020 30,7 Millionen Kubikmeter Schadholz allein in Fichtenwäldern – Tendenz steigend.

Als eine Reaktion darauf veröffentlichte der Landesbetrieb Wald und Holz NRW den „Praxisleitfaden Fichten-Borkenkäfer, Erkennen – Bekämpfen – Vorbeugen“. Das Ziel ist deutlich: Der Käfer muss gestoppt werden.

Geführt wird der Kampf gegen das Insekt mit einem Harvester, einem sogenannten Holzvollernter. Die Forstmaschine ähnelt einem übergroßen Bagger, ihr Greifarm hat eine Reichweite von zwölf Metern und knickt Bäume ab wie Mikado-Stäbchen. Wird Käferbefall festgestellt, rollt der Koloss in den Wald. Harvester gegen Borkenkäfer: Zwanzig Tonnen gegen fünf Millimeter. Achtzig Prozent der Käferpopulation stirbt. Fällt dabei Rinde vom Baum, wird sie mit schwarzer Folie abgedeckt. Das soll das Abwandern der restlichen Käfer verhindern.

Was bleibt, sind Kahlschläge. Leere Flächen, auf denen kein Baum mehr steht und auch kein Totholz mehr liegt, kein Käfer mehr krabbelt und die Lebensgrundlage von Millionen anderen Organismen gleich mit zerstört wurde.

Anruf beim Borkenkäfer-Freund

Anruf bei Heinz Nöllenheidt, er ist pensionierter Forstamtsleiter aus dem Sauerland. Bereits auf einer Dienstbesprechung im Herbst 1990 hatte er den Borkenkäfer als seinen Freund bezeichnet. Fast drei Jahrzehnte später, als der Borkenkäferbefall im Jahr 2018 deutlich zunahm, erhielt er eine Whatsapp-Nachricht von einem ehemaligen Kollegen: „Jetzt siehst du, was dein Freund anrichtet.“

Nöllenheidt lacht ins Telefon, als er davon erzählt. Kein wütendes oder verbittertes Lachen, er schmunzelt über die Denkweise seiner Kollegen. Zwar würden immer mehr Förster naturgemäßen Waldbau praktizieren, doch bleibe die Natur in Deutschland mit der Wirtschaft verflochten.

Nöllenheidt spricht sich gegen ­großflächigen Kahlschlag aus. Wenn es nach ihm ginge, würde ein großer Teil des Schadholzes im Wald ver­bleiben und mit ihm der Borkenkäfer, der Meister des Recyclings. Die Baumstämme speichern noch viele Jahre nach ihrem Tod Kohlenstoff und Feuchtigkeit und kühlen so den Wald an heißen Tagen. Wurzelteller stabilisieren den ­Waldboden und versorgen ihn mit ­wichtigen ­Nährstoffen, im Schutz der abgestorbenen Stämme und toten Kronen wachsen junge Bäume.

Totholz ist ein Lebensraum

Totholz dient für mehr als fünf Prozent der ­Lebewesen im Wald als Lebensraum, Brutstätte und Nahrungsquelle. Bis heute schreibt Nöllenheidt E-Mails mit dem Betreff „Mein Freund, der Borkenkäfer“.

Unter den Waldbesitzern im Sauerland wird für das Waldsterben vor allem der Borkenkäfer verantwortlich gemacht. Doch der bewohnt Mittel­europa länger als der Mensch. Mehr als 120 Arten sind heimisch, jede spezialisiert auf ein bestimmtes Holz. Sie sind Teil des Ökosystems Wald: Der Borkenkäfer arbeitet als Sterbebegleiter, er führt kranke und schwache Bäume in den Tod.

Denn eigentlich ist er ein Schwächeparasit. Gegen eine Fichte von guter Gesundheit hat ein einzelner Käfer keine Chance: Bohrt er sich in die Rinde, ertrinkt er, der Baum tötet ihn mit Harz. Bis zu zweihundert Borkenkäfer kann ein gesunder Baum abwehren. Doch ist der Wald als Ganzes krank, reicht das nicht.

Und der Wald ist immer häufiger krank, viele Bäume leiden unter dem Klima der vergangenen Jahrzehnte. Sie verdursten, haben Sturm- oder Hitzeschäden und für Abwehrmechanismen keine Kraft mehr. Dringt der Käfer in ihre Rinde ein, wandelt er einen kleinen Tropfen Harz – ein letzter, verzweifelter Abwehrversuch – in Lockstoffe um. Damit signalisiert er seinesgleichen optimale Bedingungen und weitere Käfer folgen.

Stehen zu viele geschwächte Bäume beieinander, potenziert sich der Käferbestand, bis er irgendwann so groß ist, dass auch gesunde Bäume keine Chance mehr haben.

Symptom- statt Ursachenbekämpfung

Für die Ursachen dieses Problems ist der Mensch verantwortlich. Für ihn dient die Natur als wirtschaftliches Gut, und so pflanzte er lange Zeit Fichten, Fichten, Fichten – die wachsen schnell und liefern gut verwertbares Holz, das sich für viele Zwecke eignet.

Doch Fichten würden in Deutschland eigentlich erst in einigen hundert Metern Höhe wachsen, sie mögen es kühl, was es immer seltener ist. Ihre Anpflanzung als Monokultur statt in Mischwäldern schafft unnatürliche Lebensräume, die anfällig sind gegen äußere Einflüsse, wovon der Borkenkäfer profitiert – und der Mensch bekämpft ihn als Schädling. Ein Kampf gegen Symptome statt gegen Ursachen.

In der Ökologie ist der Borkenkäfer kein Schädling, denn „Schäden“ sind eine Chance auf gesunde Natur. Ein Blick in den Naturwald zeigt, dass auch dort Bäume sterben, und auch dort gibt es den Käfer, doch er wird nicht bekämpft. Lässt man Natur Natur sein, entsteht ein neuer, gesunder Lebensraum, der sich selbst reguliert und dabei vom Borkenkäfer unterstützt wird. Ein jahrtausendealtes Modell könnte der Wald der Zukunft sein.

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7 Kommentare

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  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

    “ Tief im Süden:



    "..haben alle ihre Aufgabe in der Natur. " [....] "Auch ein Virus hat prinzipiell regulative Aufgaben. Und wenn irgendwo die Balance nicht mehr stimmt, dann stirbt halt eine Population aus oder wird vertrieben." Ja, aber diese Natur auch. Immerzu verteilt sie Aufgaben. Und die Viren stehen ganz oben in der Aufgabenkette. Selten so gelacht.“

    kurz - anschließe mich.



    Es gibt sicher Aufgaben - die auch tazler bewältigen können. Diese hier gehört nicht dazu - wa!

  • Na ja, wenn man denn sone Baustelle aufmachen will, dann muss die Erbsen auch bis zu Ende zählen.

    Grundlegend gibts halt schlicht keinerlei Schädlinge an sich. Auch Blattläuse, Flöhe, Zecken, Mücken, Heuschrecken und Co. haben alle ihre Aufgabe in der Natur. Und man könnte sagen, überall da wo sie dem Menschen gefährlich werden oder in einem kultivierten Ökosystem massiven Schaden anrichten, hat der Mensch sich zu weit ausgebreitet bzw. Fehler gemacht.

    Auch ein Virus hat prinzipiell regulative Aufgaben. Und wenn irgendwo die Balance nicht mehr stimmt, dann stirbt halt eine Population aus oder wird vertrieben.

    Wenn man das aushalten kann, dann braucht man die "Nützlinge" auch nicht bekämpfen.

    Und wenn man warten kann, bis die neuen Mischwaldanpflanzungen die vor 100 Jahren angepflanzrten Monokulturen erstzt haben, dann brauch man auch den Borkenkäfer nicht bekämpfen.

    • @Deep South:

      Liggers. Was immer wieder & gerade in der taz - vom Hocker haut: ist diese - Rainer B. hats schon anderort aufgespießt - weitgehend fehlende naturwissenschaftliche Denke.



      Stattdessen Sandkastenniveau =>



      “Ätschibätsche - Er - isset nich in Schuld“



      Dämlicher geht’s eigentlich nicht.

      kurz - “Hab da mal was gelesen“ - reicht schlicht nicht • Nö.



      Normal nich!

      • @Lowandorder:

        Ja, an die Einäugigkeit, mit der der hier auf die Fahne geschriebene "Haltungsjournalismus" eben oft einhergeht, hab ich mich nie komplett gewöhnen können, kanns aber ganz gut einordnen.

        Leider hab ich das Gefühl, das in den letzten Jahren vor lauter Haltung und Meinung zunehmend die Grenzen von subjektivem Kommentar und hintergründig recherchiertem Journalismus verschwimmen.

        Und so sehr, wie ich die taz für ihre investigativen Recherchen, die ans Eingemachte gehen und schon so manchen Skandal aufgedeckt haben, liebe, so oft muss ich den Kopf schütteln, wie unterkomplex daneben so mancher Artikel dahingwurschtelt wird.

        • @Deep South:

          🦆🦆🦆

  • Der europäische Wald im allgemeinen ,ganz besonders aber der mitteleuropäische/deutsche Wald ist seit Jahrhunderten bis Jahrtausenden vom Menschen auf vielfältige Weise geprägter Kulturwald.Und da ging und geht es natürlich immer die wirtschaftliche Nutzung des Waldes.Kapitalismus findet auch im Wald statt.Und solange dieser eben unser Denken prägt,sieht es nicht gut für den sogenannten Naturwald aus. Neben dem naturnahen Wald,gibt es noch andere Lösungsmöglichkeiten. Bspw. das Einführen neuer ,an die höheren Temperaturen und Trockenheit gewohnten Baumarten. Angesichts der profitorientierten Verwertungslogik ,scheint mir eine solche Entwicklung wahrscheinlicher,als die Hoffnung in ein paar Generationen einen natürlicheren Wald zu haben. Leider!

  • Will ja nicht meckern. But.

    Das bei wiki liest sich aber wesentlich differenzierter!



    Insbesondere bzgl Befall von gesunden Bäumen.



    So schlicht um schlicht dufte - Scheint diese Laudatio nicht zu stimmen.

    unterm—— Reminiszenz ——



    Da mein *39 sechs Jahre älterer Bruder Förster werden wollte.



    War ich nolens volens wie er in den 50/60 Jahren im Wald im lübschen Wald heimisch.



    “Sei doch mal still. Hör mal!“ & Däh das Fressen der Borkenkäfer =>



    Als würde es relativ kräftig regnen! Gruselig.