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Den Erzfeind lieben lernen

Im sächsischen Osterzgebirge ist eine neue Mine in Planung, um den Batterie-Rohstoff Lithium aus der Erde zu holen. Der AfD-Bürgermeister könnte das Geld gut gebrauchen, Kri­ti­ke­r:in­nen sorgen sich um ihr Idyll

Der Bergbauspezialist Marko Uhlig will Altenberg zu einem Standort für den Zukunftsrohstoff Lithium machen

Aus Altenberg Hannes Koch (Text) und Sven Döring (Fotos)

Das Erzgebirge in Sachsen heißt nicht umsonst so. Bis kurz nach der Wiedervereinigung hievte der Förderturm aus rötlichem Stahl Zinn-Erz ans Tageslicht. Im nahen Museum kann man sich anschauen, wie hier Bergleute schon vor 500 Jahren Erzbrocken aus dem Fels hämmerten. Ein Schaukasten zeigt eine Flasche mit hochprozentigem Alkohol, der die Arbeit erträglich machen sollte.

„Die jahrhundertealte Bergbau-Tradition ist hier positiv besetzt“, sagt Marko Uhlig. Die Einheimischen betrachteten diese Geschichte als ihre. In den Fenstern der Häuser sind oft Schwibbögen zu sehen – rund gewölbte Konstruktionen zum Beispiel aus Holz, oben mit Kerzen, darunter kleine, stilisierte Bergmannsfiguren in alter Kluft.

Bergwerksspezialist Uhlig – sehr kurze graue Haare, blaues Poloshirt – sitzt in seinem Büro, überragt vom alten Förderturm. In Stahlregalen hinter ihm stapeln sich Bodenproben aus der Umgebung. Uhlig hat einen Plan. Er will die Tradition fortsetzen, eine neue Mine eröffnen und das Leichtmetall fördern, das heute als Schlüsselrohstoff für die Energiewende und technischen Fortschritt gebraucht wird – Lithium. Eingebaut in jegliche Akkus, ob groß wie Autobatterien oder klein und schmal für Smartphones, ist das weiße Gold unerlässlich. Jedoch lösen alter Bergbau und neuer Bergbau, das muss Uhlig immer wieder feststellen, unterschiedliche Reaktionen aus.

Turm, Museum und Büro stehen im Städtchen Altenberg, fast auf dem Kamm des Erzgebirges, südlich von Dresden, nahe der tschechischen Grenze. In den Gesteinsschichten unter dem Ortsteil Zinnwald liegt nach Angaben von Uhligs Firma „eines der größten Lithium-Vorkommen Europas“. Es soll für bis zu einer Million Elektroauto-Batterien jährlich reichen, jahrzehntelang.

In einem unterirdischen Tunnel würde künftig das Erz zum neun Kilometer entfernten Dorf Liebenau transportiert, wo unweit der Autobahn eine Aufbereitungsanlage und eine Abraumhalde entstünden. 400 direkte und über 1.000 indirekte Arbeitsplätze stellt das Unternehmen in Aussicht. Die örtliche Zinnwald Lithium GmbH, die Uhlig als Geschäftsführer leitet, gehört einer gleichnamigen Gesellschaft an der Londoner Börse. Dort will sie etwa eine Milliarde Euro Investitionskapital von Investoren beschaffen.

Malte Eismann betrachtet den geplanten Bergbau, die Chemiefabrik, die Halde und den zu erwartenden Lkw-Verkehr als grundsätzlichen Angriff auf seine „Arbeit als Berufsimker“. Deshalb engagiert er sich in einer Bürgerinitiative. Aus dem Münsterland stammend, später in Berlin ansässig, ist er vor fünf Jahren ins Erzgebirge gezogen. „Eine geilere Honig-Qualität gibt es nicht“, sagt er.

Eismann platziert seine Bienenstöcke so, dass die Insekten es nicht bis zu den Rapsfeldern weiter unten schaffen, sondern die Blütenpollen der blühenden Wiesen hier auf den Höhen sammeln. Am Küchentisch dreht er sich eine Zigarette, da lenkt etwas seine Aufmerksamkeit ab. Einige Bienen fliegen herein – das sollen sie nicht. Eismann springt auf, greift sie mit Daumen und Zeigefinger, befördert sie nach draußen, schließt das Fenster.

Hat der jahrhundertelange Bergbau dem Erzgebirge früher nicht auch Reichtum gebracht, und wäre er nicht heute wieder eine Chance? „Wir haben hier Vollbeschäftigung“, antwortet der Imker. Wobei das nicht ganz stimmt: Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge liegt die Arbeitslosigkeit bei 5,5 Prozent, rund 7.000 Personen suchten im Juli 2025 eine bezahlte Tätigkeit. Wenn schon neue Jobs, dann nicht in der „Schwerindustrie“, sondern bitte im „sanften Tourismus im Einklang mit der noch erhaltenen Natur“, sagt Eismann. Die Region habe einen Wandel vom Bergbau zum Tourismus durchgemacht – „mit viel Fördergeld. Das war anstrengend, und wir möchten nicht, dass die nächste Generation das erneut durchleben muss.“

Auch ein weiteres Versprechen will Eismann gleich aus dem Weg räumen: „Das Geld wird abfließen, es bleibt nicht hier.“ Damit meint er zum Beispiel, dass Zinnwald Lithium seine Investitionskosten sicherlich mit potenziellen Gewinnen verrechne, sodass für Altenberg und seine Bür­ge­r:in­nen keine Gewerbesteuer übrig bleibe. Und entstünden schließlich doch Gewinne, so werde die Mutterfirma sie garantiert nach London umleiten, befürchtet der Aktivist.

Lithium

Was ist Lithium?

Lithium ist ein Leichtmetall und sehr reaktionsfreudig, weshalb es in der Natur nicht in reiner Form vorkommt. Anders als allgemein angenommen, gehört Lithium nach chemischer Definition nicht zu den seltenen Erden, wie auch etwa Aluminium und Cobalt nicht.

Wie wird Lithium gewonnen?

Lithium macht etwa 0,006 Prozent der Erdkruste aus. Damit ist es häufiger zu finden als etwa Zinn oder Blei, durch seine stärkere Verteilung aber schwieriger zu gewinnen. Die weltweite Produktion fokussiert sich in absteigender Reihenfolge maßgeblich auf Australien, Chile, China, Argentinien und Brasilien. Dabei wird es dort vor allem aus Gestein (Australien) oder aus lithiumhaltigen Salzseen (Chile) gewonnen. Den Großteil der weltweiten Raffinerien, in denen Lithium anschließend isoliert wird, beherrscht indes allein China, das sich so im gesamten Produktionsprozess eine Vormachtstellung sichert. Die Förderung schädigt vielfach die Umwelt, das Material ist kaum recyclebar.

Warum ist Lithium so wichtig?

Durch seine Eigenschaften ist Lithium aus der Energiespeicherung nicht mehr wegzudenken. Gerade sein Gewicht besticht bei naturgemäß schweren Akkus. Deshalb sind Lithium-Ionen-Akkus die Wahl bei Laptops, Handys, Elektroautos und vielen anderen elektronischen Geräten. Mit der Natrium-Ionen-Batterie gibt es zwar eine Alternative, die deutlich ressourcenschonender ist – Koch- und Meersalz bestehen etwa aus dem Element. Ihre Entwicklung ist jedoch noch nicht abgeschlossen, weshalb Lithium-Akkus bis auf Weiteres unersetzbar bleiben. bms

Lithium ist ein globales Thema. In Europa findet sich nur ein kleiner Teil der natürlichen Vorkommen, neben dem Erzgebirge etwa auch in Serbien. Fast die Hälfte liegt in Südamerika, ein Viertel in Nordamerika, auch Australien und Asien verfügen über große Lagerstätten. China, Australien, Chile und Argentinien fördern das meiste Erz.

Dabei protestieren An­woh­ne­r:in­nen von Abbau-Projekten immer wieder gegen die ökologischen und wirtschaftlichen Folgen. In der Umgebung des chilenischen Atacama-Salzsees sinkt der Grundwasserspiegel und gefährdet die örtliche Landwirtschaft. Die Bevölkerung im serbischen Jadar-Tal befürchtet Ähnliches. So drängt sich die Frage auf: Wäre es verantwortungsvoller, die Probleme nicht in entfernte Länder auszulagern, sondern Bergbau in Deutschland zu betreiben, wenn hier schon Rohstoff-Vorkommen vorhanden sind? Schließlich bietet die hiesige Rechtsordnung gute Voraussetzungen, die Umweltschäden so weit wie möglich verringern.

Europäische Po­li­ti­ke­r:in­nen treibt außerdem dieser Punkt um: Fast alle Elektroauto-Batterien stammen momentan von asiatischen, vor allem chinesischen Herstellern. Angesichts wachsender Spannungen mit China hat sich die EU deshalb zum Ziel gesetzt, eine gewisse Eigenversorgung mit kritischen Rohstoffen, darunter Lithium, aber auch Batterien zu erreichen.

Im Frühjahr 2025 wurden dafür 47 europäische Industrieprojekte ausgewählt. Eine Lithium-Firma in Rheinland-Pfalz gehört dazu und das teilweise staatliche, tschechische Unternehmen Geomet, das von Tschechien aus dieselbe Lagerstätte ausbeuten will wie Zinnwald Lithium in Altenberg. Das Unternehmen auf deutscher Seite schaffte es dagegen nicht auf die Liste – möglicherweise, weil die Vorbereitungen noch nicht weit genug vorangeschritten sind. Eine offizielle Begründung für die Ablehnung fehlt. Trotzdem freuen sich die Gegner:innen.

„Der Wandel von Bergbau zu Tourismus war anstrengend und hat viel Geld gekostet“

Malte Eismann, Bio-Imker

Tritt man bei Imker Eismann vor die Tür, sind an diesem sonnigen, warmen Wochentag keine Zivilisationsgeräusche zu hören. Blühende Büsche und viele Blumen stehen in den Gärten. Tiefe Täler, steile Straßen – ideal für Rad­le­r:in­nen mit dicken Waden. Angeblich dreht sich hier vieles um Tourismus. Trotzdem kann man eine halbe Stunde fahren und findet kein geöffnetes Restaurant. Es gibt Pensionen und Gästezimmer, aber kaum größere Hotels. Ab und zu duckt sich ein kleiner Industriebetrieb an den Hang, nicht selten der Rest eines DDR-Kombinats. Die Dörfer sind meist schmuck, die Häuser tragen Namen wie „Villa Bergblick“. Es sind kaum Leute zu sehen und wenige Autos unterwegs.

Protestplakate stehen auf Wiesen, zum Beispiel in Liebenau, dem Ortsteil von Altenberg, wo die Fabrik gebaut werden soll: „Für unsere Heimat! Keine Lithium-Aufbereitungsanlage, keine Abraumhalde!“ Auf der anderen Seite der Straße steht: „Nein zum Kita Aus“. Neben dem Schriftzug auf hellem Tuch sind die bunten Umrisse von Kinderhänden aufgemalt.

Altenberg ist hoch verschuldet, für viele öffentliche Einrichtungen fehlt Geld, auch für Kindertagesstätten. Über einen neuen Gewerbesteuer-Einzahler würde sich André Barth deshalb freuen. Andererseits gibt der amtierende Bürgermeister zu bedenken: Touristen müssten auf dem Weg später erst mal an der entstehenden Abraumhalde vorbei. Kein guter Start in die Sommerfrische oder den Skiurlaub.

Hinter Uhligs Büro stapeln sich Gesteinsproben

Barth macht Politik für die AfD, auch als Abgeordneter des Landtags in Dresden. Die Rechtsextremisten haben den Wahlkreis Osterzgebirge bei der Bundestagswahl 2025 mit 47 Prozent der Zweitstimmen gewonnen. Beim Lithium-Projekt verhält sich die Partei neutral. Die sächsische Landesregierung aus CDU und SPD unterstützt das Industrie-Vorhaben. Ex-SPD-Kanzler Olaf Scholz hat mehrmals freundliche Besuche abgestattet. Eindeutige Ablehnung äußert hingegen der Umweltverband Grüne Liga, und auch die sächsischen Grünen sind überwiegend kritisch.

Viele Einheimische lehnen das Industrievorhaben ebenfalls ab, im Dorf Liebenau fast alle, wie kürzlich eine Umfrage ergab. An diesem Nachmittag im August treffen sich 30 Leute im Schützenheim unter Hirschgeweihen. Die hiesige Bürger­initiative ruft auf, im Raumordnungsverfahren möglichst viele schriftliche Einwendungen bei der Landesdirektion Sachsen einzureichen – unter anderem in der Hoffnung, das folgende Planfeststellungsverfahren gegen Zinnwald Lithium beeinflussen zu können.

Christian Lehnert erklärt den Anwesenden die Pläne. Früher war er Pfarrer im nahen Müglitztal, später Theologe an der Uni Leipzig. Heute wohnt er ein paar Hundert Meter von Liebenau entfernt. Würden die Aufbereitungsanlage und die Abraumhalde tatsächlich hier errichtet, „entvölkere“ sich das Dorf mit der Zeit, prophezeit Lehnert. „Welche junge Familie will neben einer Chemiefabrik leben?“

Wäre es verantwort­ungsvoller, die Probleme des Lithium-Abbaus nicht in entfernte Länder auszulagern?

Der entscheidende Punkt, der Gegenwehr auslöse, betont er, sei „die Dimension der Industrieanlage“. Millionen Tonnen Gestein müssten jährlich zerkleinert und chemisch behandelt werden. Die Produktion benötige so viel Wasser, dass es den Einheimischen fehlen werde. Manche Siedlung sei in ihrer Existenz gefährdet, wenn der Grundwasserspiegel sinke und die Brunnen austrockneten. Die Abraumhalde erreiche eine Höhe von 60 Metern, vergleichbar mit einem Wohnhaus von etwa 20 Stockwerken. Viele Leute hätten Angst, dass starker Wind das aufgehäufte, zerkleinerte Gestein in die Umgebung wehe. Und Zehntausende Schwerlaster störten die Ruhe, besonders in der Bauphase des Bergwerks. Dabei habe das Ost­erzgebirge „seit 30 Jahren eine kulturelle Prägung für Erholung, Sport und Kur“ entwickelt, sagt Lehnert.

Haben die möglichen Vorteile also wirklich gar kein Gewicht? Die Einnahmen der Gemeinde, Geld für die Kitas, Arbeitsplätze und Einkommen für die Privathaushalte? Lehnert berichtet, dass örtliche Gewerbetreibende sich eher Sorgen machten, der neue Bergbau nähme ihnen die sowieso knappen Arbeitskräfte weg. Insgesamt findet der Theologe die geplante „profitorientierte Industrialisierung, die rücksichtslos auf Landschaftsverbrauch setzt, unethisch und unzeitgemäß“. Er hält sie für eine Attacke auf „Lebensqualität, Luft, Wasser, dörfliches Miteinander“. In der Versammlung heißt es: Eine „klassische Heuschrecke“ sei Zinnwald Lithium, geleitet von „Managernomaden“, ausgestattet mit „krimineller Energie“.

Tatsächlich handelt es sich um ein internationales Unternehmen. 30 Prozent der Anteile gehören dem in den Niederlanden ansässigen Rohstoffkonzern AMG, weiteres Kapital stammt von europäischen Privatinvestoren. Immerhin hat Geschäftsführer Marko Uhlig seine Bergbau-Ausbildung in Westsachsen und sein Studium an der Bergakademie Freiberg absolviert, nahe Altenberg.

Ob Malte Eismann auch noch mit Lithium-Werk in der Nähe in gleicher Qualität seinen Honig herstellen kann?

Im Büro unterhalb des alten Förderturms erläutert der Manager einige Details des Konzepts. Man wolle das Lithium bis zu 300 Meter unter Zinnwald abbauen. Die Zerkleinerung des Gesteins finde ebenfalls in der Tiefe statt, nicht an der Oberfläche. Dann werde das Erz auf einem ebenfalls unterirdischen Förderband bis zur Aufbereitungsanlage in Liebenau transportiert, was den Dörfern viel Lkw-Verkehr ersparen würde. Uhlig betont, dass es sich bei den für die Fabrik vorgesehenen Flächen um ein Areal handelt, welches früher bereits zur Entwicklung eines Gewerbegebietes vorgesehen war – ­Lastwagen könnten also direkt von der Autobahn dorthin fahren, ohne eine Siedlung zu passieren.

Die Abraumhalde werde so errichtet, dass es möglichst nicht zu Verwehungen komme, welche die An­woh­ne­r:in­nen belasteten, so Uhlig. „Wir haben Feinstaubgrenzwerte, deren Einhaltung das Bergamt auch kontrollieren wird.“ Was die in der Lithium-Aufbereitung benötigten Wassermengen betreffe, fänden Messungen in den Flüssen und im Grundwasser statt. Der Geschäftsführer bittet um Verständnis, dass das Unternehmen jetzt noch keine Lösungen für alle denkbaren Probleme präsentieren könne. 2026 will man eine Machbarkeitsstudie vorlegen, die weitere Antworten geben werde.

Es stimmt, die von Zinnwald Lithium zu zahlende Gewerbesteuer werde zunächst wohl mit den Kosten der Firma verrechnet, räumt er ein. Trotzdem profitiere die Kommune, denn die zusätzlichen Arbeitskräfte entrichteten Lohnsteuer, neue Zulieferer auch Gewerbesteuer. Das hieße auch: Mehr Geld für die Gemeinde, für Kindergärten, Sportstätten, Buslinien. Doch die Bürgerinnen und Bürger von Altenberg scheinen daran bislang wenig Interesse zu haben.

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