Demonstrant in Hamburg verletzt: Pferdehufe im Einsatz
Am 1. Mai wurde in Hamburg ein Mann von einem Polizeipferd ins Gesicht getreten. Die Staatsanwaltschaft prüft ein Ermittlungsverfahren.
HAMBURG taz | Schusswaffe, Knüppel und Pfefferspray waren nicht die Übeltäter, sondern ein Pferdehuf: Nachdem am Rande der Revolutionären Demonstration in Hamburg am 1. Mai ein Mann von einem Polizeipferd im Gesicht verletzt wurde, steht die Reiterstaffel in der Kritik. „Eine Strafanzeige liegt nicht vor“, sagte Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Aber die Staatsanwaltschaft prüfe von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen die berittene Polizistin – wegen Körperverletzung im Amt.
Es passierte kurz nachdem die Polizei damit begonnen hatte, die Demonstration im Hamburger Karolinenviertel mit Wasserwerfern und Polizeipferden zu räumen. Das spätere Opfer saß hinter geparkten Autos auf einem Fahrradbügel und schaute dem Treiben auf der Straße zu. Da scheute eins der Polizeipferde vor der auseinander eilenden Menge.
Die Polizistin im Sattel verlor die Kontrolle über ihr Pferd, das Tier lief an dem Mann am Straßenrand vorbei, trat nach hinten aus und traf ihn im Gesicht. Die Polizistin hatte Probleme, ihr Pferd wieder in den Griff zu bekommen. Der getretene Mann wurde von Sanitätern versorgt und dann mit einem Rettungswagen weggebracht. Das alles ist gut zu sehen in einem Beitrag, den „Spiegel TV“ am Sonntag ausstrahlte.
Unter Juristen werden solche Vorgänge gern als Reitunfall bagatellisiert, obwohl das Pferd eigentlich nur seinem natürlichen Fluchtinstinkt folgt und der sich bewegenden Menschenmenge ausweicht. Genau dieser Reflex, vor einer unübersichtlichen Situation zu fliehen, wird den Tieren in der monatelangen Polizeipferde-Ausbildung abtrainiert. Passiert es im Einsatz doch, ist es eben ein Unfall.
Im September 2010 nahm die Reiterstaffel in Hamburg mit 10 Reitern und 9 Pferden ihren Dienst auf. 1975 war die Einheit aus Kostengründen aufgelöst worden:
Befürworter betonen, die Reiter wirkten durch ihre schiere Anwesenheit präventiv und könnten so etwa Randale am Rande von Fußballspielen oder bei Events wie Hafengeburtstag verhindern.
Im Juli 2012 stand die Reiterstaffel kurz davor, aufgelöst zu werden, nachdem bei einem Neonazi-Aufmarsch in Wandsbek Demonstranten durch Pferde der Staffel verletzt wurden. Innensenator Michael Neumann (SPD) hielt aber an der Einheit fest, da die Reiter in Einfamilienhaus-Gebieten zur Einbruchsbekämpfung gebraucht würden - weil sie so gut in Vorgärten schauen könnten.
In diesem Fall am 1. Mai hätte jedoch die Reiterin frühzeitig erkennen können, dass ihr Pferd an diesem Tag für so einen Einsatz nicht geeignet war. Denn schon zehn Minuten vor dem Tritt ins Gesicht, als die Pferdestaffel am Anfang der Demonstration eine Sperre bildete, scheute der Schimmel nach einem Böllerwurf, drehte sich um die eigene Achse und brachte die ganze Formation der Pferdestaffel und durcheinander. Auch das ist auf dem Video gut zu sehen.
Dieser Vorfall scheint nun die Debatte über Sinn und Unsinn der 2010 wieder eingeführten Hamburger Reiterstaffel neu zu beflügeln. Damals hatten sich der amtierende Polizeipräsident Werner Jantosch und CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus für den Aufbau der Reiterstaffel stark gemacht. Jantosch erinnerte sich an einen Besuch in New York, als auf dem Broadway vor einem Theater Krawalle drohten, berichtete er damals.
Dort seien dann die Reiter des „New York City Police Department“ angeritten gekommen und hätten durch ihre ruhige Art Krawalle verhindern können. „Pferde sind gut sichtbar, vermitteln Präsenz und wirken deeskalierend“, sagte Jantosch damals. Die Einsatzgebiete könnten Hamburger Parks oder der Elbstrand sein – Regionen, die mit dem Auto schwer zu erreichen seien, sagte er.
Die Reiterstaffel wird aber gern bei Demonstrationen in der Stadt eingesetzt und dazu seien Pferde, wie Kritiker immer wieder betonen, nicht geeignet. Das zeigte sich zuletzt auch bei den Protesten gegen einen Neonazi-Aufmarsch am 2. Juni 2012 in Hamburg-Wandsbek. Da ritt die Reiterstaffel in eine Blockade hinein und mehrere Personen wurden dabei durch Pferde verletzt.
„Der gesamte Komplex wird nun Thema im Innenausschuss sein“, sagte jetzt die innenpolitische Sprecherin der mitregierenden Grünen, Antje Möller. Auch Christiane Schneider von der Linken, forderte nun endlich Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen. „Pferde sind Fluchttiere und in einer solchen Situation nicht beherrschbar“, sagte Schneider. „Sie werden werden damit zur gefährlichen Waffe und für das Tier ist es Quälerei.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner