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Demokratie in CoronapandemieDas Parlament muckt auf

Die Parlamente haben bei den Coronamaßnahmen bislang wenig zu sagen. Abgeordnete schmieden neue Bündnisse für mehr Mitsprache.

Ihr wird Top-down-Politik vorgeworfen: Kanzlerin Merkel Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Es kommt selten vor, dass ein Linkenpolitiker seine knappe Redezeit im Bundestag mit einem Lob an die FDP beginnt. Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, der sonst gern auf die politische Konkurrenz rhetorisch draufhaut, tat das am Donnerstag. Er lobte den Antrag der Liberalen zur „Stärkung von Demokratie und Parlamentarismus“ als „überraschend gut“. Deshalb würde ihn die Linksfraktion unterstützen. Auch das ist ungewöhnlich.

Die FDP fordert in ihrem Antrag, den Bundestag und die Länderparlamente stärker mit einzubeziehen, insbesondere wenn es um Maßnahmen mit wesentlichen Grundrechtseingriffen geht, wie sie die Kanzlerin am Mittwoch verkündete: Reisefreiheit passé, Versammlungsfreiheit auch, Kneipen, Sportvereine und Kinos zu. Alles beschlossen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes, das den Landesregierungen erlaubt, „notwendige Schutzmaßnahmen“ per Verordnung zu erlassen. Also in der Krise durchregieren, und zwar ohne die eigentlichen Gesetzgeber, die Parlamente, mit einzubeziehen.

Die Liberalen sind weder die Ersten noch die Einzigen, denen der autoritäre Zug der Pandemiepolitik zunehmend auf die Nerven geht. Korte kritisierte, dass die Ministerpräsidentenkonferenz, die sich derzeit im Zweiwochentakt trifft, wie eine Ersatzregierung agiere. Da klatschte auch AfD-Fraktionschef Alexander Gauland – was Korte wiederum missfiel. Gauland hatte zuvor in rechtspopulistischer Manier von „Coronadiktatur“ geredet.

Die Linkspartei hatte schon im März vorgeschlagen, das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung auf Ende September zu befristen, um dann noch einmal neu zu überlegen, wer was entscheiden soll. Das lehnte der Bundestag ab. Genau wie im Mai den Antrag der Grünen, die eine Zustimmung von Bundesrat und Bundestag zu den Verordnungen und Anordnungen forderten. Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, mahnte am Donnerstag: „Die Ministerpräsidentenkonferenz ersetzt keine Debatte im Parlament.“

Doch genauso läuft es derzeit. Am Mittwoch hatten Merkel und die Ministerpräsidenten neue Einschränkungen beschlossen und auch gleich verkündet. Am Tag danach folgte die Generaldebatte im Parlament. Ohne Abstimmung, also ohne Folgen. Die Zahl der Intensivpatienten, so die Kanzlerin, habe sich in kurzer Zeit verdoppelt. Die Gesundheitsämter könnten 75 Prozent der Infektionen nicht mehr nachvollziehen. Risikogruppen abzuschirmen, wie es die Kassenärztliche Vereinigung vorschlägt, sei keine Alternative, weil die Gruppe zu groß sei und auch Jüngere schwer erkranken. Daher sei der jetzige halbe Lockdown „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“. Es war die erwartbar kühle Erörterung, in der die Fortschritte bei präventiver Testung und die europäische Impfstoffinitiative gewürdigt werden.

Die Top-down-Politik von Bundeskanzlerin und Mi­ni­ster­präsident:innen stößt aber auch innerhalb der CDU auf Kritik. Wolfgang Schäuble, graue Eminenz der CDU und Präsident des Bundestags, wandte sich am 19. Oktober per Brief an alle Fraktionen und mahnte darin an, „dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen muss, um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“. Auch Schäuble schlägt auf Basis eines Gutachtens vor, Maßnahmen zu konkretisieren, zu befristen, den Bundestag zu beteiligen und besser zu unterrichten. Dass Journalist:innen die geplanten Maßnahmen zur Pandemiebekämfpung am Mittwochmorgen vor den Par­la­men­tarier:innen lesen und bewerten konnten, ärgerte Letztere mächtig.

So kritisierte FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag, dass das Parlament nur nachträglich debattieren kann, was Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder schon entschieden hatten. Erst die Debatte im Parlament und die anschließende Entscheidung wäre besser. Denn gerade weil die Maßnahmen anders als im Frühjahr zu Recht kontroverser debattiert werden – wie auch die Kanzlerin einräumte –, sollte das Parlament mehr mitentscheiden. Auch die Grünen fordern dies. Die FDP will deshalb klare Kontrollmöglichkeiten und Fristen in das Infektionsschutzgesetz einziehen.

Aber auch führende CDU-Po­li­tiker:innen reagieren empfindlich, wenn sie auf das Thema angesprochen werden. Ralph Brinkhaus, Fraktionschef der Union, der normalerweise ein moderater Redner ist, warf Lindner vor, die Pandemiebekämpfung als Aktionismus zu bezeichnen sei „für einen Liberalen unwürdig“. Seine Vorgänger hätten „sich dafür geschämt“. Es sei eine historische Aufgabe zu zeigen, dass effektive Corona­bekämpfung in einer Demokratie möglich sei, nicht nur in China.

Aber so effektiv, wie Brinkhaus behauptet, ist die Coronapolitik eben nicht. Die Entscheidungen werden zwar schnell getroffen, aber anders als im Frühjahr werden die Maßnahmen viel stärker öffentlich kritisiert. Die Akzeptanz für diese kann sinken, wenn sie nicht breit legitimiert sind. Auch die SPD hat diese Gefahr erkannt und schlägt sich schon halb auf die Seite der Opposition von FDP, Linksfraktion und Grünen. SPD-Mann Johannes Fechner sagte, der Vorstoß der FDP weise in die richtige Richtung. Die SPD-Fraktion kündigte am 20. Oktober an, sie wolle bald das Infektionsschutzgesetz reformieren.

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7 Kommentare

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  • Zitat: „Es sei eine historische Aufgabe zu zeigen, dass effektive Corona­bekämpfung in einer Demokratie möglich sei, nicht nur in China.“

    Da hat er recht, der gute Ralf. Aber an genau dieser Aufgabe scheitert Deutschland gerade. Und zwar quer durch alle Institutionen.

    Dass der Fraktionschef der Union das offensichtlich nicht begreift, ist meiner Ansicht nach eine Bankrotterklärung sämtlicher Gewalten in diesem Land. Denn eigentlich sollten Legislative, Exekutive, Judikative und Freie Presse einander ja kontrollieren und ggf. korrigieren. Gerade in schwierigen Zeiten. Momentan tun sie das leider allenfalls in homöopathischen Dosen. Vermutlich aus Angst davor, irgendwann (mit-)verantwortlich gemacht zu werden für die (Spät-)Folgen dessen, was grade passiert.

    Ralph Brinkhaus, Fraktionschef der Union, kann das entweder nicht begreifen, oder er will schlicht nicht verstehen, dass die aktuelle Politik eben NICHT auf demokratischen Spielregeln beruht. Sondern auf chinesischen. Weil die Opposition eben KEINE Möglichkeit hat, mitzuentscheiden. Es gibt ja gar keine Opposition derzeit. Was passiert, entscheidet allein die Regierung. Dass die nicht aus einer Person besteht, sondern aus einer kleinen Gruppe mächtiger Menschen, ändert am Prinzip überhaupt nichts. Und da ist niemand, der Ralf B. zwingen könnte oder auch nur wollte, die einzig vernünftige Konsequenz zu ziehen aus seiner Unfähigkeit und/oder Ignoranz: den Rückzug ins Private anzutreten.

    Ich wette, Brinkmann und Co. würde die Ähnlichkeit zwischen der chinesischen und der deutschen Corona-Politik selbst dann nicht kapieren, wenn Angela Merkel ganz allein bestimmen würde. Xi Jinping ist schließlich keine Frau. Und 1 ist auch eine eher kleine Zahl. Das Volk, jedenfalls, starrt entweder wie ein Kaninchen auf die Schlange auf Äußerlichkeiten und große (Infektions-)Zahlen, oder es ist dumm genug, das Kind mit dem Bade auskippen zu wollen. Scheiß Konditionierung!

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Sie haben Recht, unserer Parlament wirkt geschlossen sehr unglaubwürdig

  • Diese konspirativen Kaminzimmer-Machenschaften sind sowas von daneben. Zurecht wird da jetzt aufgemuckt.



    Schön, dass die taz es inzwischen aus dem Tunnel der Hofberichterstattung geschafft hat und vermehrt versucht das Geschehen auch kritisch zu beleuchten. Das war ne Weile nämlich unerträgliches Coronoia-Geschwurbel Also schonmal +1 dafür. Traut euch auch bitte auch an die heißen Eisen, da liegt einiges im Argen um es mal vorsichtig zu formulieren und hat nix mit Aluhüten zu tun, ist aber dennoch haaresträubend genug...

  • Es mag der durch unsere Ohnmachtsgefühle gebeutelten politischen Seele gut tun, auf Merkel und Co. einzudreschen, verfehlt aber das eigentliche Ziel. Die Debatte über die Aushöhlung der Demokratie droht sich auf die Pandemie-Maßnahmen zu verengen. Sicher wird Corona von einigen Regierungen auch dazu benutzt, um demokraische Rechte einzuschränken und ihre ökonomische und soziale Agenda durchzupauken. Es droht dabei aber leider, daß das ZENTRALE STRUKTURELLE PROBLEM aus dem Blick verloren wird - die konzertierte Herrschaft der digitalen Ideologie und Praxis der Finanzmärkte, deren Allmacht sich, im Rücken der Pandemie-Krise sozusagen, ausgedehnt hat.

  • An der Erzählung die da von einigen Parlamentariern aufgemacht wird irritiert so einiges, scheinen sie doch suggerieren zu wollen, dass eine Entscheidung im Parlament etwas wäre das ihnen die Bundesregierung nach Gutdünken netterweise zubilligt oder eben auch nicht. Tatsächlich sind die Zuständigkeiten und Verfahren aber klar geregelt. Die Regierung aus dem Parlament gewählt und kontrolliert, nicht umgekehrt. Und es fehlt dort auch nicht an Instrumenten diese Kontrollfunktion wahrnehmen zu können, von der Blockade von Gesetzen, über Klagemöglichkeiten und Untersuchungsausschüsse bis hin zum Misstrauensvotum. All dies nicht zu nutzen und dann hinterher darüber zu jammern, dass das Kabinett im Krisenmodus seine Arbeit gemacht und dabei keine Extrarunden gedreht hat, kommt einer Selbstverzwergung gleich. Auch scheint höchst fraglich ob der Zeitpunkt dieser Klagen unmittelbar nach der Ankündigung eines neuen Lockdowns Zufall ist, etliche Abgeordnete dürften wohl recht froh darüber sein diese und andere unpopuläre Maßnahmen nicht selbst entscheiden und dann im eigenen Wahlkreis verteidigen zu müssen, sondern die Verantwortung dafür gegenüber ihren Wähler*innen bequem ans Kanzleramt abschieben zu können.

  • Ich kann es nicht mehr hören: Die Bundesregierung und die Landesregierungen hätten die entsprechenden Parlamente übergangen und Corona-Maßnahmen als unlegitimerte Exekutiv-Dekrete den Geschundenen und Entrechteten (Menschen, Unternehmen, Kultur, Verkehr, Sport) aufgedrückt. Die Parlamente, auch die jetzt aus dem Gebüsch kommenden Oppositionsparteien jeglicher Couleur, hatten viele Monate Zeit, das Verfahren durch Gesetzesinitiativen zu Grundsatzfragen der Pandemie-Bekämpfung an sich zu ziehen, … und verpennt. Aber jetzt jammern und nörgeln.

  • Aber nicht nur das Agieren der Regierung ist im Blick auf die Pandemie-Politik befremdlich, auch die bisherige Schläfrigkeit des Bundestages. Immerhin überlegt er sich gegenwärtig doch noch einmal, nicht direkt vom Sommerschlaf in den Winterschlaf überzuwechseln. Andererseits: Aufgrund der vielen lukrativen Nebentätigkeiten ist auch wieder zu verstehen, dass für so Nebensächlichkeiten wie die Haupttätigkeit von Abgeordneten auch nicht mehr soviel Zeit bleibt. Das Parlamente auch anders agieren können und es auch tun, zeigt ganz nebenbei bemerkt, Belgien. Mehr dazu hier: europa.blog/der-de...el-schlaft-weiter/